5 Codes – Farben der Angst
Besprechung von »5 Codes. Architektur, Paranoia und Risiko in Zeiten des Terrors« herausgegeben von IG MadeUm den steigenden Einfluss der „Kultur der Angst“ auf Urbanismus und Architektur „in Zeiten des Terrors“ in einem einprägsamen Buchtitel zu benennen, haben sich die Herausgeber der Gruppe IG Made die in den Farben Grün, Blau, Gelb, Orange und Rot gehaltenen Terrorwarnstufen (5 Codes) der US-amerikanischen Homeland Security ausgewählt. Darüber, ob das ein klug gewählter Titel ist, mag man streiten. Einerseits ist er prägnant und das kann einem Buch nie schaden, andererseits ist es fraglich, ob man den 5 Codes eine derartige Bedeutung geben soll.
Aus der Entfernung kann man sicherlich schwer beurteilen, wie sehr diese Farben für die US-AmerikanerInnen eine Rolle spielen, aber von in den USA Lebenden, hört man meistens, dass sich kaum jemand im Alltag sonderlich davon beeindrucken lässt. Mag sein, dass sich das in der ersten Zeit nach 9/11 noch anders dargestellt hat, aber könnte es nicht sein, dass die 5 Codes genau das Gegenteil dessen sind, was uns das Buch vermitteln will? Nämlich ganz und gar keine raffinierte Methode um die Angst der Bevölkerung zu steuern, sondern vielmehr ein misslungenes Manöver, das kaum jemand ernst nimmt, denn die Änderung der Warnstufe bedeutet für die Menschen, wie sie in den letzten Jahren festgestellt haben, keine veränderte Bedrohungslage sondern höchstens lästige Kontrollen und Ähnliches. Erinnert man sich an Dennis Hoppers Film Colors – Farben der Gewalt (1988), war die Verbindung Farben und Angst schon einmal intensiver und direkter und im Fall von Bandenkriminalität, die dieser Film zum Thema hatte, ist es vielleicht noch immer so.
Brian Massumis hier wiederveröffentlichter Artikel Angst (sagte das Spektrum), der die HerausgeberInnen möglicherweise auf die Idee zu ihrem Buch brachte, versucht zwar nachzuweisen, dass sich die Angst „auch ohne externen Auslösereiz potenziell selbst verursacht“, also „in Antizipation ihrer selbst inszenierbar wird“ und eine Bevölkerung in Angst anfälliger für totalitäre Regime ist, aber seine Ausgangsthese, dass die Bedrohung (die das Terrorwarnsystem kommunizieren will) die künftige Ursache einer Veränderung in der Gegenwart sei, weswegen sie nicht „wirklich“ sondern „virtuell“ sei, ist nicht überzeugend. Denn die Bedrohung ist nicht künftig oder „virtuell“ sondern aktuell, künftig kann höchstens die Ursache der Bedrohung – z.B. ein möglicher Terroranschlag sein. Die Bedrohung ist somit die aktuelle Ursache der Veränderung in der Gegenwart. Wäre die Bedrohung eine „virtuelle“ und keine „wirkliche“, könnte man dies darauf zurückführen, dass die für die Terrorwarnstufen Verantwortlichen, Gefahrensituationen falsch interpretieren oder (was natürlich nicht auszuschließen ist) gar erfinden.
Am überraschendsten im Buch sind einige erfreulich uncoole Aussagen von Noam Chomsky. Chomsky, der seit 9/11 neben Michael Moore einer der Lieblingsamerikaner der EuropäerInnen geworden ist, (vorher wurden seine politischen Bücher fast ausschließlich von Linksradikalen gelesen und fanden sich keineswegs auf den Bestsellerlisten), wird in Europa geliebt, weil er als Jude und US-Bürger Israel und die USA kritisiert, weswegen man hier glaubt mitheulen zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen als Antiamerikaner und Antisemit bezeichnet zu werden. Auf die Frage, ob er das 5 Codes-Warnsystem als propagandistisch bezeichnen würde, sagt Chomsky: „Ehrlich gesagt, sehe ich nichts schlimmes daran – ich habe ja auch nichts gegen Verkehrsampeln. Dahinter steckt der Gedanke, dass man den Terror ernst nehmen soll. Und natürlich soll man das.“
Eyal Weizmann, der mit einem Beitrag über den israelischen Sicherheitszaun vertreten ist, spielt im europäischen Raum eine nicht unähnliche Rolle wie Noam Chomsky. Wieder einmal muss Israel, dessen Gefährdung und Sicherheitsbedürfnis eigentlich für jedermann nachvollziehbar sein sollten, für eine Anklage herhalten. Den Sicherheitszaun kann man zwar ob seiner Linienführung und anderer Details (mir ist schon klar, dass das für palästinensische AnrainerInnen keineswegs Details sind) kritisieren, warum er aber in der derzeitigen Situation grundsätzlich abzulehnen sein soll, kann Weizmann nicht überzeugend darlegen (er verweist allerdings auf zwei andere Artikel, die ich nicht kenne, in denen er sich der Frage ausführlich widmet). Wie Weizmann darauf kommt, Israel ziele darauf ab „Chaos zu stiften, (...) das es dem Staat erlaubt, seine bisherige Politik fortzusetzen“, ist völlig schleierhaft. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Zahl derjenigen in Israel, die „Chaos“ wollen und nicht endlich Frieden und Sicherheit, eine relevante Zahl erreicht.
Sehr schön ist Gerd de Bruyns Text Architektur im Zeitalter der Paranoia oder Urhütten im Schrebergarten, der großartige Querverbindungen von Ludwig Wittgenstein über Daniel Gottlob Moritz Schreber, dem die Schrebergärten ihren Namen verdanken, oder Mischa Wolf (ehemaliger Leiter der Staatssicherheit der DDR) bis zu dem als Unabomber bekannt gewordenen Theodore Kaczynski, dem er zwar großes Interesse aber glücklicherweise keine Sympathien entgegenbringt (leider kann man sich da ja nie so sicher sein), zieht. „Reale Urhütten sind materielle Räume, in denen Theorien konstruiert werden, die ihrerseits Denkräume ausbilden, in denen fiktive Urhütten aus dem Boden schießen ...“
Die weiteren Artikel des sehr schön gestalteten Buches bilden ein breites Spektrum von interessanten Einblicken wie Victor Burgins Der paranoide Raum bis zu Janice Kerbels amüsantem Projekt Der perfekte Bankraub, dem leider die Bank abhanden gekommen ist. Markus Miessens Artikel Freiheitsstatu(t)en. Räumliche Positionierung als eine Blaupause des Bösen können Sie übrigens in einer aktualisierten Version auf den Seiten 37 bis 42 der vorliegenden dérive-Ausgabe nachlesen.
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.