» Texte / After Culture - Kulturstadt Salzburg - Reality Check

Oswald Putzer


Von Kulturstädten und Käsedörfern

»Was machst du hier? Du bist eine Touristin. Verschwinde!«[1] Wer sich via Autobahn der Stadt Salzburg nähert, wird von Großschildern begrüßt, auf denen sich Salzburg selbstaffirmativ als real existierende 'Kunst- und Kulturstadt' bezeichnet. Diesen städteweit an Peripherieautobahnen aufgerichteten Visiten- und Eintrittskarten mit nahen seriellen Geschwisterprodukten wie Stadtführern, Politikerstatements etc. ist folgendes gemein: Ihr ungewollter Witz und ihr zielsicheres Vorbeischießen und Danebenliegen, was die angewandten Begriffe betrifft. Es gibt in Salzburg Umgebung eine Gemeinde, die sich auf Schritt und Tritt als eine des Käses anpreist. Man findet im Käsedorf allerdings keine Käsetausendsassas, neugierige KennerInnen oder überzeugende LiebhaberInnen, sondern eine Union aus angelieferten TouristInnen und ihren BedürfnisbefriedigerInnen.
AdressatInnen dieser zurufenden Identitätsausweise sind also nie zeitgenössische AktivistInnen als frei bewegliche Intelligenzen, sondern immer touristische ZeitgenossInnen. Für die ersteren sind solche Markierungen beengende Drohungen, für die zweiteren willkommene Inklusionen als erwartete Orientierungshilfen. Wer oder was ist ein Tourist: in der Regel kein Wissender wie auch kein Produzierender, passiv und versorgungsbedürftig, im Haupttemperament unkritisch nahe der Selbstaufgabe, selbstverloren bereit, Klischees für bare Münze zu nehmen und überhöhte Preise zu bezahlen - in einem Wort: der perfekte common alien als Idiot. Salzburg ist eine Touristenstadt; und das ist im großen Ganzen gedacht, gemeint, gewollt und gelebt, wenn von offizieller Seite aus von Kulturstadt gesprochen wird.
Zukunftsfreudig gefragt: Was ist Salzburg dazwischen, daneben, darüber hinaus!? Was kann, was will es sein und werden!? Aktuell stehen zwei neue kulturelle Großprojekte ante portas: 'Museum im Berg' und 'Unipark Nonntal'. Ich komme später auf sie zurück. Zunächst will ich mittels einer urbanpsychologischen Freitour durch den Stadtkörper ein Arsenal gesammelter Atmosphären erstellen, um auf Basis dieser künftigen Metastadtkarten wirkungsvoll operieren zu können. Eine solche bewusste Synchronspiegelung, die das komplexe urbane Feld mehrachsig und kombinatorisch begreift, prägt und präzisiert die Rückkoppelungs- und Interferenztechniken.

Importprojekt Fassadenkultur

»Ein Glücksfall hat es mit sich gebracht,... dass also, was von Vorvätern und Urvätern geschaffen wurde, sich treu in seiner traditionellen Form erhalten konnte.«[2] Am Ende von 'Jedermann', dem konservativen Schauherzstück der Salzburger Festspiele, fliegt on fake ein Erlösungsengel ein, um das Böse zu besiegen. So platt, so gestrig, so dämlich. Seine Erlösungskompetenz müsste eine inverse sein, um wache Heutige zu begeistern: Erlösung vom kulturellen Mindsetting dieser Stadt, die sich im Sommer zu virtueller Größe aufbläht, um alljährlich herbstlich zu implodieren. Wie auch von der tabugeladenen Künstlichkeit und Jetztzeitausgrenzung der Kulisse namens Altstadt, die offenbar als History-Themenpark sowie Staffage für tendenziell reproduktive Inszenierungen die deprimierenden Grenzen ihrer alltagspraktischen Tauglichkeit erreicht hat. After culture, culture will happen! Will stadtpolitisch heißen: Überwinde die ängstliche und selbstgefällige Fassadenverlogenheit und öffne dich der vielschichtigen Wirklichkeit! Fördere sie!
»Die ganze Stadt ist Bühne. ... Salzburg, wo jeder Blick erlesener Harmonie begegnet, wo eine ganze Stadt Schönheit als ihr innerstes Wesen offenbart...«, fantasierte der Theatraliker und Festspielgründer Max Reinhardt um 1900 bei seiner Kontaktaufnahme mit dem 28.000-Seelen-Städtchen Salzburg und verwurzelte damit eine kulturelle Verfasstheit, die bis heute nachwirkt. Diese irrational-schwärmerischen Aufwallungen waren rural (schöne Landschaft) und reliktal (schöne Ruinenkulisse) motiviert und ergo keine, die das reale Stadtleben zum Ausgangspunkt nähmen oder auch nur daran interessiert wären.
Das Importprojekt Sommerkultur hat begonnen. Hier wird, was auf Entgegnung wartet, negiert, Wirklichkeit ausgeblendet, Vergangenheit verkultet und Wunderwelt gegaukelt. Das Augen-Zu gegenüber gesellschaftspolitischen Strömungen und Lebenswirklichkeiten wie der Präferenz für scheuklappenlastig Irreales ist ein zwangsläufiges Muss eines solchen Kultur-, Festival- und Kunstbegriffes. Der speziell im Salzburg der Zwischenkriegszeit aggressiv hetzende Antisemitismus wurde solange überspielt, bis die Juden Max Reinhardt & Co verdrängt waren und anpassungswillige Regimegünstlinge und Kollaborateure und ihr NS-Publikum unter sich waren. Der letzte Festspielleiter Gerard Mortier schließlich bemühte sich, unter so ulkigen wie zähen Widerständen und Verständnisproblemen, in den 90ern Schöpfungen der 60er in die Festspielpraxis zu integrieren. Derselbe: »Ich habe in der Wüste gepredigt.«

Zeitlos weltfremd

Salzburg ist vielfach ein Musterbeispiel für das ewige konservative Missverständnis, dass schön ist, was vergangen und weltfern ist. Gegenargumentiert wird in der Regel immer mit einer archetypisch-zeitlosen Gültigkeit als Aktualität, als ob nicht klar wäre, dass erstens jede starke Zeit ihre eigenen Sprachen entwickelt, in neuer Medialität tönt, und zweitens Kunst in Wesen und Praxis immer Produktion ist. In ihrer Hauptprägung gleichen die Salzburger Festspiele wie auch andere zentrale Reproduktionsorgane mentalstrukturell und bedürfnistechnisch einem Oldtimertreffen: man poliert ewig kreisend die alten Stücke auf - in sich vertiefender Betriebsblindheit, dieses Damalige sei die eine Schönheit, die einzige Wahrheit. Womit der Weg zur typischen Mixtur aus intellektueller Flauheit und technisch-handwerklicher Perfektion geebnet ist. Hegendes Konservieren, sattes Wiederaufbereiten und dynamisches Entwerfen in angeregter Neulandlust sind very different ways of life.

Ein noch folgender zweiter Teil geht auf die spezielle sozialarchitektonische Ausformung des Salzburger Stadtprojektes ein, behandelt den Altstadtkomplex und seine gesellschaftlichen Verknüpfungen, driftet durch periphere(re) Stadtzonen ins weitere Umland und landet bei zeitgenössischen Kulturnetzwerke(r)n und aktuellen wie offenen städtischen (Groß)Planungen im Bereich Bildung und Kultur.

Fußnoten


  1. Aus dem Film »Fight Club«, David Fincher 2000. ↩︎

  2. Stefan Zweig, »Die Stadt als Rahmen« (1935) ↩︎


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