Albtraum und Wirklichkeit
Plattenbausiedlungen in Wien»Die Platte« – seit einiger Zeit in aller Munde, zentrales Thema mitteleuropäischer Diskurse zur Stadtentwicklung. In Wien schien man bis dato eher ungern diesbezüglich vor der eigenen Haustür kehren zu wollen. Es scheint, als wollte man dem eher schlechten Image der Großsiedlungen nicht auch noch das noch schlechtere von Plattenbausiedlungen überstülpen. Nicht nur in Wien, generell wird in den Städten des ehemaligen »Westens« das Thema »Plattenbau« gerne als ein rein osteuropäisches angesehen.
Tatsächlich war der Plattenbau auch im Westen weit verbreitet – zunächst auch hier weitgehend positiv als Linderung der Wohnungsnot und Verbesserung des Wohnstandards aufgenommen, in sozialer Hinsicht zum Teil jedoch von Anfang an wesentlich problematischer als bei den östlichen Nachbarn. In den ehemals kommunistischen Ländern war die Bevölkerungsstruktur in den Plattenbausiedlungen – bedingt durch den im Vergleich zum Altbaubestand deutlich höheren Komfort und die damit verbundene hohe allgemeine Attraktivität der Neubauten – sozial stark durchmischt; »der Professor neben dem Arbeiter« ist sprichwörtlich geworden. Der Westen hingegen kreierte durch die mit der Errichtung von Sozial-(Platten-)Bauten in der Regel intendierte Versorgung des untersten Nachfragersegments am Wohnungsmarkt Enklaven sozial unterprivilegierter Bevölkerungsgruppen – ein Faktum, das einerseits tatsächlich zu sozial problematischen Situationen führte und andererseits die Stigmatisierung der Stadtteile erleichterte. Sozialen Auffälligkeiten wurde besondere Aufmerksamkeit gewidmet: Es entstand ein einseitiges Bild von verwahrlosten Betonburgen, geprägt von Trostlosigkeit, Vandalismus, Drogen und Kriminalität.
Liegt der Grund für diese tendenzielle Überbewertung von Negativ-Meldungen in Großsiedlungen im so offensichtlichen Gegensatz zur im Zuge ihrer Errichtung versprochenen schönen, heilen Welt? Liegt es an der mit fortschreitender Nachkriegszeit immer unangenehmeren Nähe zur sozialistischen Wohnungspolitik hinter dem eisernen Vorhang?
Mit dem Untergang des real existierenden Sozialismus in Mittel- und Osteuropa wurden Plattenbausiedlungen – zusammen mit einem ganzen Staatssystem – sowieso generell zu einer zwar bautechnisch und wohnungspolitisch problematischen, eigentlich aber für die westliche Auf- und Abgeklärtheit angenehm herausfordernden Schrulligkeit abgetan. Das ideologische Konzept hinter der Errichtung dieser Siedlungen scheint ja einigermaßen überholt zu sein: geschlichtetes, uniformiertes Wohnen im schmucklosen Block hat nun mal keine Chance gegen den City-nahen Altbau oder das Einfamilienhaus mit Garten.
Wien: Eine Sondersituation?
Wien ist wieder einmal ein bisschen dazwischen. Hier verhinderte allein die schiere Quantität öffentlichen Wohnbaus – über 200.000 Wohnungen der Gemeinde bedeuten ein Viertel des Wiener Wohnungsmarkts – eine sozial allzu einseitige Belegung. Dazu kommt, dass bis heute der Gemeindebau für ausländische StaatsbürgerInnen – deren größerer Teil nicht zu den einkommensstarken Bevölkerungsgruppen in Wien zählt – nicht zugänglich ist. Diese viel diskutierte Frage hat jedenfalls den Effekt, dass ethnisch-soziale Segregation in den relativ zentralen Gründerzeitvierteln entlang des Gürtels stattfindet und periphere »soziale Ghettos« – bekannt aus französischen, aber auch deutschen Städten – in Wien nicht entstanden. Zuletzt hatte unter anderem Integrations-Stadträtin Sonja Wehsely eine Öffnung des Gemeindebaus mit dem Argument, sie wolle »egalitäre Verhältnisse« und keinen »Unterbringungsort für die sozial Schwächsten«, explizit abgelehnt.[1]
Dennoch: Auch in Wien mangelt es der Großsiedlung an sich an Renommee. Im kollektiven Gedächtnis gespeichert sind doch vor allem singuläre Ereignisse wie die Morde im Umfeld der Per-Albin-Hansson-Siedlung in den achtziger Jahren, Elisabeth T. Spiras Alltagsgeschichten aus der Großfeldsiedlung (und die darin gezeigte Auswahl an BewohnerInnen) oder diverse nicht mehr näher spezifizierbare Vandalismus-Akte etwa am Rennbahnweg oder Am Schöpfwerk. – Die einzige Siedlung, die stets positiv vom Negativ-Klischee ausgenommen war, ist der Wohnpark Alt-Erlaa – und die Betonung der Ausnahme scheint erst recht die Regel zu bestätigen. Die Kontroversen um Spiras Alltagsgeschichten in der Großfeldsiedlung sind ein gutes Beispiel für den medialen Umgang mit Großsiedlungen – und für die Hilflosigkeit der BewohnerInnen im Umgang damit, wenn sie sich (unter parteipolitischer Anleitung) zur Anfertigung von Gegendarstellungsvideos genötigt sehen. Dem offensichtlichen Wunsch nach positiver Identifikation mit dem jeweiligen Wohnumfeld steht hier das – aus durchaus unterschiedlichen Beweggründen – hartnäckig reproduzierte Bild einer medialen Öffentlichkeit gegenüber, welches einzelne Merkmale auf die Gesamtheit von Ort und dort lebenden Menschen überträgt. Die tiefere Problematik vieler BewohnerInnen liegt nämlich darin, nicht nur persönlich in einer gesellschaftlich benachteiligten – um nicht zu sagen marginalisierten – Position zu sein, sondern auch über ihren Lebensmittelpunkt, ihren Wohnort, der zu einem gesellschaftlichen Un-Ort erklärt wird, diskreditiert zu sein. Die daraus resultierende Kongruenz von sozialem und räumlichem Ausschluss wird heute als eines der zentralen Themen der Stadtentwicklung diskutiert.
Am Institut für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften läuft seit April 2003 das INTERREG IIIA-Forschungsprojekt »Plattenbausanierung in Wien und Bratislava«.[2]
Mit einer Laufzeit bis 2006 strebt das Projekt auf Basis einer weit reichenden Grundlagenforschung innovative Strategien für umfassende Verbesserungsmaßnahmen in bautechnischer, architektonischer, städtebaulicher und sozialer Hinsicht an. Ein bedeutender Teil des Projekts ist die systematische Erfassung der Wiener Plattenbausiedlungen. Gemeint sind damit ziemlich genau alle größeren Wohnbauvorhaben der Gemeinde Wien im Zeitabschnitt 1962 bis 1981; 20 Siedlungen wurden und werden näher untersucht. Ein wesentlicher Punkt der Grundlagenforschung ist die Hinterfragung der Klischees, die den Siedlungen üblicherweise entgegengebracht werden. Untersucht wurden u. a. Daten zur sozioökonomischen Struktur[3], Daten der Kriminalstatistik[4] oder auch die Wahlergebnisse[5] als Maßstab für die Anteilnahme der BewohnerInnen an öffentlichen Entscheidungsprozessen. Entscheidende Aussagekraft erlangen die Daten durch vergleichende Analyse: Verglichen werden die Siedlungen untereinander und mit dem Wiener Durchschnitt bzw. mit relevanten Bezirksdurchschnitten. Auf diese Weise wurden so genannte Siedlungsprofile erstellt, welche die Position der jeweiligen Siedlung in Bezug auf die unterschiedlichsten Indikatoren im Vergleich zur Gesamtstadt (jeweiliger Wert für Wien = 100) darstellen.
Konfrontieren wir also Image mit Realität – soweit es sich in der Datenlage widerspiegelt:
Bild 1: Der Wohnort der sozial Schwachen.
Insgesamt dominiert in Wiener Plattenbausiedlungen ein Milieu, das man als strukturkonservative Wohlstandsverlierer bezeichnen mag: Im Durchschnitt aller Siedlungen ist das Bildungsniveau niedrig (BewohnerInnen mit Matura 43 Prozent unter dem Wiener Durchschnitt), der Anteil der ArbeiterInnen an den Beschäftigten überdurchschnittlich (12 Prozent über Wiener Durchschnitt) und der Anteil der Selbständigen unterdurchschnittlich (mehr als 60 Prozent darunter). Überdurchschnittlich gewählt werden die ohnehin schon immer allergrößte Partei in Wien (die SPÖ erreicht in einigen Siedlungen locker über 60 Prozent Stimmenanteil) und jene geschrumpfte Partei, mit deren Wahl man das soziale Establishment offenbar noch immer am besten vor den Kopf zu stoßen glaubt. Auffallend ist die weitgehende Inexistenz eines »alternativen« Milieus, wenn man dies einerseits an den Wahlergebnissen der Grünen und andererseits an der vorhandenen Haushaltsstruktur festmachen will: Die Grünen erreichen in den untersuchten Siedlungen kaum mehr als ein Drittel ihres Stimmenanteils in Gesamt-Wien, der Anteil der Single-Haushalte liegt um 30 Prozent unter, die durchschnittliche Haushaltsgröße um 13 Prozent über dem Wiener Durchschnitt: klassische Familie.
Bild 2: Der soziale Brennpunkt.
Nun ist es ja nicht so, dass die Zusammensetzung der Bevölkerung an sich ein Problem darstellt – das Problem ist hier, dass sich der Rest der Gesellschaft gerne schon an dieser Äußerlichkeit stößt und die entsprechende Legendenbildung beginnt. In Verbindung mit anderen Indikatoren ergeben sich jedoch zum Teil Konstellationen, die durchaus als problematisch eingestuft werden können.
Um einem Klischeebild gleich entgegen zu wirken: Ein generelles »Problem Plattenbausiedlungen« gibt es nicht, jedenfalls nicht in sozioökonomischer Hinsicht. Zu unterschiedlich sind die Daten in den einzelnen untersuchten Siedlungen. So liegt etwa die Arbeitslosenquote[6] im Durchschnitt der Siedlungen bei 12 Prozent (Wien: 11 Prozent), einzelne Siedlungen weisen jedoch Arbeitslosenquoten von unter zehn Prozent (z. B. Siedlung Eipeldauerstraße mit sieben Prozent), andere von bis zu 17 Prozent (Mitterhofergasse, das sind 63 Prozent mehr als im Wiener Durchschnitt) auf. Wenn dann, wie im Falle der Siedlung Mitterhofergasse, gleichzeitig der ArbeiterInnenanteil um fast 100 Prozent über und der Anteil der MaturantInnen um zwei Drittel unter dem Wiener Niveau liegen, kann man schon von einem strukturellen Problem sprechen. Wenn dann zusätzlich noch der Anteil der MuslimInnen an der Bevölkerung um 50 Prozent und der Anteil der Unter-15-Jährigen um 70 Prozent über dem Durchschnitt liegt, liegen im beschriebenen Kontext soziale oder gar ethnisch-kulturelle Spannungen in der Luft.
Umgekehrt gibt es Siedlungen, deren Werte nahe am Wiener Durchschnitt liegen oder positiv von diesem abweichen. Bei der Siedlung Siemensgründe etwa liegt der Anteil der MaturantInnen auf exakt gleichem Niveau wie im Wiener Durchschnitt, die Erwerbsquote liegt 15 Prozent darüber, die Arbeitslosigkeit um 12 Prozent darunter.
Bild 3: Immer mehr Ausländer.
Eines funktioniert bei Plattenbausiedlungen auch nicht: den AusländerInnenanteil als Maßstab für die soziale Problematik eines Stadtteils heranzuziehen. Das Thema Zuwanderung und kulturelle Verschiedenheit ist dennoch für die Entwicklung der Bedingungen des sozialen Zusammenlebens in den Siedlungen in der näheren Zukunft ein so aktuelles wie sensibles. Der AusländerInnenanteil ist aus bereits erwähnten Gründen deutlich unterdurchschnittlich und liegt im Durchschnitt aller Siedlungen mit sechs Prozent um mehr als 60 Prozent unter dem Wiener Wert für 2001 (16 Prozent). Den niedrigsten Wert weist hier die Per-Albin-Hansson-Siedlung Ost mit nur zwei Prozent AusländerInnenanteil an der Wohnbevölkerung auf. Relevanter ist das in der Volkszählung 2001 erstmals erhobene Merkmal des Geburtslands, da es zumindest Rückschlüsse auf die Zahl der in den Siedlungen lebenden fälschlicherweise Neo-ÖsterreicherInnen genannten, also eingebürgerten MigrantInnen, zulässt.[7] Auch für dieses Merkmal liegt der Wert für alle Siedlungen (15 Prozent) unter dem Wert für Wien (24 Prozent), wenn auch nur um ein Drittel. Interessanterweise deckt sich der Anteil der MuslimInnen nur zum Teil mit den Werten für im Ausland geborene ÖsterreicherInnen und liegt dem Wiener Durchschnitt mit sechs Prozent am nächsten (Wien: acht Prozent). Tatsache ist, dass trotz dieser unterdurchschnittlichen Werte das Thema »AusländerInnen« in den Siedlungen höchst kontroversiell präsent ist. Dies lässt sich einerseits aus im Zuge des Projekts durchgeführten Befragungen und andererseits aus Gesprächen mit Institutionen vor Ort (Schulen, Jugendzentrum etc.) ablesen. In der Tat hat sich der Zuzug von »Neo-ÖsterreicherInnen« seit 2001 offensichtlich verstärkt, was jedoch nicht statistisch belegt werden kann, sondern aus Gesprächen mit Schulen und Kindergärten evident wird, wonach in den letzten Jahren der Anteil der Kinder, die Deutsch nicht als Muttersprache haben, wie auch inter-ethnische Spannungen[8] sprunghaft zugenommen haben. Dies führt, ohne besondere öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen, in einigen Siedlungen zu Verhältnissen, wie sie in den neunziger Jahren in den Gründerzeitvierteln entlang des Gürtels zu finden waren. Eine Entwicklung, auf die kaum eine Siedlung infrastrukturell vorbereitet sein dürfte.
Bild 4: Jugendlicher Vandalismus.
Das Bild vom Problem der Plattenbausiedlungen ist untrennbar mit jenem der Kriminalität orientierungsloser männlicher Jugendlicher verbunden. Nun deuten die erhobenen Daten auf zwei Ebenen in eine andere Richtung:
Zum einen ist generell ein deutlicher Trend in Richtung Überalterung zu verzeichnen. Die in der Regel allzu homogene demographische Struktur von Großsiedlungen ist ein Grundproblem, das im Zeitverlauf unterschiedlich in Erscheinung tritt. War es vor kurzem noch ein Übermaß an Kindern und Jugendlichen, das unter inadäquaten Freiräumen zu leiden hatte, so hat es heute den Anschein, als gälte es für die Zukunft vor allem die Entstehung von »SeniorInnen-Enklaven« zu verhindern. Insgesamt ist die Bevölkerung in Plattenbausiedlungen im Vergleich zum Wiener Durchschnitt derzeit nach wie vor jünger (der Anteil der Unter-15-Jährigen liegt um 20 Prozent über, jener der mindestens 60-Jährigen um 15 Prozent unter den Werten für Wien). Der Trend zur Überalterung hat sich jedoch in den älteren Siedlungen (z. B. Siebenbürgerstraße und Bundesländerhof) bereits vollzogen, in jüngeren zeichnet er sich ab. So liegt der Anteil der mindestens 60-Jährigen in der Siedlung Bundesländerhof bereits bei 38 Prozent – ein Wert, der fast um drei Viertel über dem Wiener Wert (22 Prozent) liegt (vgl. Abb. 2). Das damit und zudem mit steigender Arbeitslosigkeit verbundene Absinken der Erwerbsquote in den einzelnen Siedlungen (Bundesländerhof von 74 Prozent 1981 auf 50 Prozent 2001) führt zu einer Kumulation von nicht erwerbstätigen, ökonomisch kaum aktiven und tendenziell von gesellschaftlicher Exklusion bedrohten Menschen, von denen kaum Impulse zur Gestaltung und Entwicklung ihres Wohnumfelds ausgehen. Eine wesentliche Zukunftsfrage für die Siedlungen ist die Rückgewinnung von Attraktivität für jüngere BewohnerInnen insbesondere in älteren Siedlungen.
Zum anderen zeigt eine von der Bundespolizeidirektion dankenswerterweise für das Projekt durchgeführte Sonderauswertung der Kriminalstatistik Erstaunliches: Die Anzahl der Delikte (Delikte je 1.000 Einwohner) liegt bis auf eine Siedlung deutlich unter den entsprechenden Werten für die gesamten Bezirke. Auch im Bereich Sachbeschädigung (darunter fallen primär Vandalismus-Akte, die jugendlichen Tätern zugeschrieben werden, zumeist aber unaufgeklärt bleiben) liegen die Werte durchgehend unter jenen für die Bezirke. Gleiches gilt für Einbrüche (v. a. Kfz-Einbrüche) und Körperverletzung. Vergleicht man die Ergebnisse der einzelnen Siedlungen untereinander, so lässt sich zudem kein Zusammenhang zwischen der sozioökonomischen Struktur der BewohnerInnen und der Kriminalitätsrate herstellen. Dieser frappierende Unterschied zwischen »objektiven Daten« und medial produziertem Bild der Realität deutet auf die große Beständigkeit einmal entstandener sozialer Klischees hin.
Bild 5: It’s hip to be square.
Sind Plattenbausiedlungen Kult? Mit Blick auf Berlin – vielleicht. In Wien lässt sich bis heute eine besondere – abgesehen von einer abstrakten – Faszination von KünstlerInnen, ArchitektInnen oder urbanen Typen im Allgemeinen für diese Bauwerke eher nicht feststellen. Es ist hier wohl einerseits nahe liegender, sich mit dem Schmied Bratislava als mit dem Schmiedl Wien zu beschäftigen. Andererseits fehlen bestimmte Voraussetzungen, die etwa in Berlin zu gentrification-artigen Prozessen in Plattenbausiedlungen führten und führen. Zunächst ist die Wiener Alternativ- und Kulturszene mit jener Berlins kaum vergleichbar – Plattenbaubesetzungen sind hierzulande grundsätzlich sehr schwer vorstellbar. In Wien gibt es laut Angaben von Wiener Wohnen in Plattenbausiedlungen praktisch keinen Wohnungsleerstand – er liegt je nach Siedlung im vernachlässigbaren Bereich zwischen 0,06 Prozent und 1,54 Prozent. Der Leerstand ist jedoch einer der zentralen Punkte der ostdeutschen Stadtumbau-Debatte. Erst der Leerstand ermöglicht Neu-Definition und Neu-Besetzung von Räumen und er heizt eine Diskussion an, wie sie hierzulande eigentlich nicht geführt werden kann: Die Diskussion um den Abriss der Siedlungen, welche durch den identitätsstiftenden Aspekt von Plattenbausiedlungen in Ostdeutschland weiter verschärft wird – ein Aspekt, der in Wien ebenso fehlt.
Nein, in Wien kann von kulturellem Aufbruch oder neuer sozialer Mischung in den Plattenbausiedlungen nicht gesprochen werden. Dabei könnte gerade der Leerstand in den nächsten Jahren auch in Wien ein heißes Thema werden. Neben der angesprochenen zunehmenden Überalterung weisen praktisch alle Siedlungen seit 1981 bedeutende Bevölkerungsrückgänge auf (z. B. Per-Albin-Hansson-Siedlung Ost 29 Prozent, Bundesländerhof, Autokaderstraße, Mitterhofergasse jeweils 25 Prozent).
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt begannen in den neunziger Jahren Sanierungsmaßnahmen, die sich vor allem auf die Korrektur bautechnischer Hinfälligkeiten, ästhetische Maßnahmen im Bereich der Fassadengestaltung und schon viel kleinere Maßnahmen im Bereich der Freiraumgestaltung konzentrierten. Notwendig erscheinen jedoch umfassende Entwicklungskonzepte, welche die Siedlungen als das erfassen, was sie sind: die Stadterneuerungsgebiete von heute und morgen.
Fußnoten
Red., Keine generelle Gemeindebau-Öffnung für Migranten. In: Der Standard 6. 8. 2004. http://derstandard.at/?url=/?id=1749270, 24. 8. 2004 ↩︎
Leitung Mag. Dr. Vera Mayer, wissenschaftliche Mitarbeit DI Christoph Gollner, DI Johannes Huemer ↩︎
Statistik Austria (Hg.), Volkszählung 2001. Daten der ISIS-Datenbank. Wien, 2004. bzw. Statistik Austria (Hg.), Arbeitsstättenzählung 2001. Daten der ISIS-Datenbank. Wien, 2004. ↩︎
Bundespolizeidirektion Wien (Hg.), Auswertung der kriminalpolizeilichen Lokalevidenz in Bezug auf »Plattensiedlungen«. Bericht. Sachbearbeiter: Thomas Frank. Wien: Eigenverlag, 2004 bzw. Bundespolizeidirektion Wien (Hg.), Sonderauswertung der Kriminalstatistik 2004. Wien: Eigenverlag, 2004 ↩︎
Magistrat der Stadt Wien, MA 62 (Hg.), Ergebnis der Nationalratswahl 2002. Landeswahlkreis Wien. In: http://www.wien.gv.at/wahl/NET/NR021/NR021-109.htm, 10. 8. 2004. Wien ↩︎
Arbeitslose zum Stichtag der Volkszählung, am 15. 5. 2001 ↩︎
Der Sinn der Erfassung von eingebürgerten MigrantInnen liegt nicht in der Relativierung der erworbenen österreichischen Staatsbürgerschaft. Für die Abschätzung der Zusammensetzung der Bevölkerung in ethnisch-kultureller Hinsicht bzw. die Abschätzung etwaiger daraus resultierender Konfliktpotenziale ist die Herkunft der BewohnerInnen allerdings ein wichtiger Parameter. ↩︎
Angesprochen waren hier v. a. Spannungen zwischen den verschiedenen ZuwandererInnen-Gruppen ↩︎
Christoph Gollner