Andre Krammer

Andre Krammer ist selbstständiger Architekt und Urbanist in Wien.


Jan Turnovsky´ (1942-1995) war ein tschechisch-­österreichischer Architekt, Hochschullehrer und Theoretiker. Er studierte in Prag, emigrierte 1966 nach Österreich und wurde schließlich Assistent und Professor am Wohnbauinstitut der TU Wien. Über das akademische Umfeld hinaus – er war ein ebenso beliebter wie unkonventioneller Architekturlehrer – wurde Turnovsky´ vor allem durch seine Dissertation Die Poetik eines Mauervorsprungs bekannt. Der Text schaffte es in die berühmte Bauwelt Fundamente-Reihe, in der er 1987 veröffentlicht wurde (2014 erschien ein Reprint) und auch international für Aufsehen sorgte. Er zählt heute zum architekturtheoretischen Kanon. Turnovsky´ vermaß darin auf neue und origine­lle Weise die Beziehung zwischen Denken, Sprache und Architektur.
Nun wurde verdienterweise auch die Master-These Turnovsky´s, die dieser 1978 an der Londoner Architectural Association bei Hans Harms und Roy Landau einreic­hte, veröffentlicht. The Weltanschauung as an Ersatz Gestalt ist ein Hybrid aus Essay, kritisch-­philosophischem Text und Sprachkunstwerk. In der vorliegenden Ausgabe der Park Books ist die ursprüngliche Typografie als Faksimile zu bewundern, die auch durch Darstellungen besticht, die vom Autor selbst stammen. Das englische Original wird mit deutscher Übersetzung präsentiert. Es handelt sich um 60 von Turnov­sky´ penibel gestaltete Seiten und Grafiken. Schon auf den ersten Blick verraten diese die Ironie und den Humor, die bereits im Untertitel des Textes – Happy-open-­end-environmental-design-science-fiction-image-story – ihren Niederschlag finden.
Inhaltlich orientiert sich der ausgedehnte Essay an der Theorie offener Systeme, die Umberto Eco, als einer der führenden Semiotik­er geprägt hat. Zeitgenössische Theorien der Ästhetik, der Ideologie und der Sprache werden als magische Formeln unter­sucht und in ihre Bestandteile zerlegt. Zeitgenossenschaft und Interesse an den Diskursen der Zeit wird deutlich und gleichzeitig wieder ironisch gebrochen, um Distanz zu wahren und Konventionen zu hinterfragen. Die Bezüge sind mehr als vielfältig. Philosophen wie Umberto Eco, Ludwig Wittgenstein, Edmund Husserl, Karl Popper, Roland Barthes, Hegel, Karl Marx, Louis Althusser geistern ebenso durch den Text, wie die LiteratInnen Virginia Woolf und Franz Kafka, Politiker wie Lenin und Stalin, Künstler wie Marcel Duchamps oder Architektur­theoretiker wie Anthony Vidler, Robert Venturi und Manfredo Tafuri – nur um die wichtigsten zu nennen.
Turnovsky´ interessieren dabei immer Fragen der Wahrnehmung (Konstruktion) von Gestalten (Architektur), in ihrer Rolle eine kollektive Weltanschauung zu repräsentieren. Er hütet sich dabei, den linguistic turn, der damals in Mode war, eins zu eins auf Architektur und Raumproduktion anzuwenden. Architektur ist nicht einfach zu schreiben. Architektur kann nicht einfach gelesen werden. Doch gleichzeitig enthält sie wie die Sprache eine Bedeutung, wenn auch eine instabile, stets im Wandel begriffene. Der persuasive Charakter der Architektur und wohl auch der Stadträume, also die Tendenz, eine Vorstellung zu vermitteln, wie wir leben sollen, kann immer durch einen anderen Blick, eine veränderte Wahrnehmung und durch neue Formen des Gebrauchs konterkariert werden. Darin liegt eine grund­sätzliche Qualität der Offenheit. Gleich­zeitig bedeutet dies, dass jeder Versuch Archi­tektur endgültig zu determinieren, zum Scheitern verurteilt ist. Architektur ist insofern auch kein verlässliches Medium zur Kommunikation. Und doch sind ihr kulturelle Codes eingeschrieben, die in ihrer Funktion der Gesellschaft zu dienen nicht gänzlich aufgelöst werden können, aber variiert und abgewandelt werden können. Diese Ambiva­lenz, diesen Schwebezustand scheint Turnovsky´ einfangen zu wollen. Sein Text und nicht zuletzt seine Illustrationen – wie etwa die Grafik, die variable Möglichkeiten zeigt, einen Knopf anzunähen und somit linguistische Modelle einerseits paraphrasiert und andererseits humorvoll ad absurdum führt – bestechen in ihrer Eigenschaft, nicht eindeutig zwischen Ernsthaftigkeit und Humor unterscheiden zu wollen. Wo Ironie Distanz schafft, die notwendig ist, um magisc­he Formeln des Zeitgeistes auch als Zaubersprüche zu entlarven, ermöglicht der Humor Befreiung und jene Offenheit, die Turnovsky´ fasziniert. Der Text wie sein Autor scheinen vom Bewusstsein getragen, dass gerade die Logik in äußerster Konsequenz dem Irrationalen gefährlich nahe kommen kann. Denkt man an die von Psychosen zerrütteten Biografien bedeutender Logiker wie Ludwig Wittgenstein oder Kurt Gödel wird das ja auch augenscheinlich.
Bei Jan Turnovsky´ scheinen sich an manch­er Stelle Humor und ein Hang zur Melancho­lie, wenn nicht gar zur Morbidität zu vermählen. Auf Seite 49 des vorliegenden Buches findet sich ein Gedicht, das vom Autor selbst stammt. Überschrieben ist es mit The happiest End. Die erste Zeile lautet: You are dying smiling. Die Herausgeberinnen haben sich entschieden, das Gedic­ht unübersetzt zu lassen, es für sich selbst sprech­en zu lassen. Jan Turnovsky´ hat 1995 den Freitod gewählt. Am Ende des er­wähnten Gedichtes heißt es: … all good-byes the clearly absurd trials attempting closing something


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