Andreas Rumpfhuber

Andreas Rumpfhuber is an architect and researcher in Vienna.


Im Sommer erschien eine Art Enzyklopädie alternativer Raumpraktiken als Ergebnis eines mehrjährigen EU-Forschungsprojektes. Die beiden Herausgeber, Peter Mörtenböck und Helge Mooshammer, hatten unter der Ägide von Irit Rogoff Networked Cultures am Department of Visual Cultures des Goldsmiths College in London initiiert, in dessen Umfeld seit Jahren, unter anderem auch mit der Gründung des Centre of Research Architecture, unter der Leitung von Eyal Weizman, mit neuen Formaten der Architekturausbildung mutig experimentiert wird.

Das zirka 300 Seiten dicke Kompendium versammelt in vier Abschnitten – vernetzte Kreativität, umkämpfte Räume, Handelsplätze, Parallelwelten – eine bunte Sammlung von Texten, Interviews und Fotoessays einer globalen Community, die sich auf unterschiedlichste Weise mit räumlichen und kulturellen Effekten geopolitischer Transformationen beschäftigt. Das Buch wird durch eine beigelegte DVD der beiden Herausgeber ergänzt: Unterteilt in die Kategorien des Buches finden sich zusätzliche Interviews und weiteres Bildmaterial. Darüber hinaus werden die Forschungsergebnisse durch eine Website und eine Wanderausstellung vermittelt.

Das große Verdienst des Buches ist es, in loser Form räumliche und kulturelle Praktiken zwischen Balkan und China, von Berlin bis Rio de Janeiro, von Moskau bis Barcelona, die in den letzten Jahren als Positionen vermehrt via Kunstbiennalen und in Einzelpublikationen in den Diskurs diffundierten, erstmals gemeinsam zu versammeln, vorzustellen und mit den unterschiedlichen Formaten der Vermittlung einem breiterem Publikum zu präsentieren. Es ist ein Zeugnis verschiedener Initiativen, politisch motivierter künstlerischer Praktiken und verstreuter Aktivismen, deren Entsprechung, so die Herausgeber in der Einleitung, Selbst-Autorisierungen und Selbst-Organisierungen sind und somit die Autonomie der Kunst problematisieren: Strukturen verschiedenster Maßstäbe, wie illegale Märkte und informeller Kommerz, Alternativökonomien, migrantische Praktiken, sowie zahllose minoritäre, kaum wahrnehmbare Bestrebungen der Etablierung selbstbestimmter Gesellschaft innerhalb der radikalen Restrukturierung des globalen Kapitals werden in dem Buch vorgestellt.

Unter dem Leitsatz und der ideologischen Schirmherrschaft der Empire-Theoretiker Michael Hardt und Toni Negri leisten die beiden Herausgeber eine bejahende Forschungspraxis, die das Netzwerk als ultimative Form alternativer, kollektiver, schöpferischer Praktiken zelebriert. Die Herausforderungen dieses Netzwerkes liegen, um Mörtenböck und Mooshammer zu paraphrasieren, in der Verfolgung strategischer Allianzen zwischen einerseits den Formen, die Erkennungsmerkmale politischer Machtexpansion sind, und anderseits den freien Aktionsräumen innerhalb dieser Bewegung: Wie schauen die Verstrickungen zwischen Kunst, Architektur und Politik im Spezifischen aus? Welche Kräfte können diese Zusammenstöße freisetzen und welche Möglichkeiten eröffnen sich für die Formation selbstbestimmter Handlungen und Kollaborationen (S.16).

Genau in dieser ambitionierten Forschungsfrage besteht die große Herausforderung und mithin auch das Problem, das Paradox dieser speziellen Publikation. Wie eine Karte des Informellen, des Sich-im-Werden-Befindlichen abbilden und über schöpferische Praktiken informieren und berichten, ohne das Subjekt der Forschung festzuschreiben? Also in Deleuze’scher Interpretation Foucaults ein Diagramm zeichnen, das die eigentümlichen Kräfteverhältnisse einer Formation darstellt, ohne sie zu stabilisieren. Ich bin der Überzeugung, dass die beiden Herausgeber als auch die Autorinnen und Autoren sich dieser Problematik bewusst waren und mit der losen, dennoch absichtlichen Auswahl der Beiträge, der thematisch-qualitativen Einteilung des Buches, der Form der abgedruckten Dialoge und der Bilderstrecken als auch mit der grafischen Aufarbeitung des Buches gegen das ihren Bemühungen immanente Paradox ankämpfen, was auch in gewissem Rahmen gelingt.

Was jedoch fehlt, ist eine Reflexion des Netzwerkbegriffs, denn diese wird im Sinne der affirmativen Forschungspraxis der Herausgeber ausschließlich als positive Terminologie verwendet. Ich meine, dass die von Negri und Hardt perfektionierte und hier entlehnte Strategie der Bejahung zwar in Büchern wie zum Beispiel die Die Arbeit des Dionysios (1997) und vor allem im wirkmächtigen Buch Empire (2000), wie man sieht, fantastisch fruchtet, jedoch in einer derartigen Zusammenschau wie in dem vorliegenden Buch problematisch werden kann, da es keine Instanz der Reflexion gibt, das Netzwerk naturalisiert wird und plötzlich jede vernetzte Praxis als alternativ verstanden wird, ohne zu sehen, dass sie gegebenenfalls bereits von den vorherrschenden Kräften als Feedback vereinnahmt ist und der Produktion von Mehrwert dient.


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