» Texte / Bad Gastein 2.0 - es wird wieder nach Gold gegraben

Heinz Kaiser


Wer das erste Mal den Weg durch das Salzburger Gasteinertal nach Bad Gastein nimmt und dann, nach rund 25 km den Talschluss erreicht, wird seinen Augen nicht trauen. Einerseits erwartet einen eine über alle Maßen eindrucksvolle Naturkulisse – mächtige Berge und ein tosender Wasserfall –, andererseits eine Ansammlung von großstädtischen, an die Wiener Ringstraßenarchitektur erinnernde Hotelbauten, die diesem auf mehr als 1.000 Meter hoch gelegenen Bergdorf den Beinamen »Monte Carlo der Alpen« einbrachte. Kommt man ins Zentrum dieses seit Jahrhunderten bekannten Heilkurortes, glaubt man sich lange an einen Ort versetzt, an dem die Zeit stehengeblieben ist. Baugitter verriegeln die Erdgeschoße und Eingänge in die imposanten Belle-Epoque-Herbergen. Der Blick durch verdreckte Fenster ins Innere der weitläufigen Entrees von Hotels, die vielversprechende Namen wie Mirabell, Grand Hotel de l’Europe, Hotel Bristol, Bellevue oder Victoria tragen, bestätigt den äußerlichen Eindruck: hier herrscht seit Jahrzehnten tote Hose.
        Doch Glanz und Glorie der vergangenen Jahrhunderte ist augenscheinlich. Waren es schon im 16./17. Jahrhundert die Salzburger Fürsterzbischöfe, die die Heilquellen des Wildbads Gastein und den phänomenalen Natureindruck zu schätzen wussten, kamen im 19. Jahrhundert die Noblen und Adeligen, an vorderster Stelle Erzherzog Johann (der Bruder des Kaisers) und seine Kammermaler, die in ihrer detailverliebten, virtuosen Aquarellmalerei die Attraktivität dieses sich etablierenden Kurortes einfingen. Die Liste der Gäste ist lang und prominent: Kaiser Wilhelm I., Fürst Bismarck, Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth, der Schah von Persien, Hans Moser, Peter Alexander und Liza Minelli. Vergrößerungen historischer Fotos als Sichtschutz für die heruntergekommenen, devastierten Gebäude und Straßen- bzw. Promenadennamen bestätigen dies.
        Die Profitgier des Spekulantentums gekoppelt mit etlichen wirtschaftlichen Verirrungen von privaten Eigentümer*innen sowie ein nicht nachvollziehbarer Renovierungsstillstand führte zum aktuellen Zustand, der einen bass erstaunt zurücklässt.
        Unter Bezugnahme auf zum Teil noch nie veröffentlichtes Archivmaterial aus dem Salzburger Landesarchiv, erläutert Judith Eiblmayr detailreich anhand zahlreicher historischer Pläne, Karten und Fotos den Aufstieg und Fall von Bad Gastein. Die Leser*innenschaft erfährt interessante Details: Bereits Ende des 15. Jahrhunderts gab es ein Armenbadespital; nach 1790 ließ sich Erzbischof Graf Colloredo ein Badeschloss errichten; 1811 wurde von Bayern die Kurtaxe eingeführt; in den 1890er-Jahren, als die Grundstücksspekulation auch Bad Gastein erreicht hatte, erwarb Kaiser Franz Joseph bzw. seine Familienstiftung die Gasteiner Heilquellen. Der dokumentarische Foto-Essay von Philipp Balga, der sich mit Die Schönheit des Hässlichen übertiteln ließe, entstand von 2011 bis 2021 und bestätigt die Tristesse des Ist-Zustands.
        Die Geschichte von Bad Gastein wäre ohne Gerhard Garstenauers Stahlbetonarchitektur der 1960er/70er-Jahre – Kongressplatz und Kongresszentrum, für das Otto Kapfinger einst den bildhaften Ausdruck ›Flugzeugträger‹ fand – und sein Felsenbad unvollständig.
        Judith Eiblmayr skizziert aber auch den Versuch eines Neustarts, der nach dem wirtschaftlichen Niedergang in den 1980er-Jahren unumgänglich ist und sich immer stärker in reger Sanierungs- und Bautätigkeit zeigt. Bad Gastein versucht sich »neu aufzustellen«, nicht umsonst spricht die Presse vom Dornröschenschlaf, aus dem der außergewöhnliche Ort am Wasserfall zu erwachen scheint. Ob die aktuellen Versuche der Revitalisierung gelingen, muss sich erst beweisen – auch, ob sie architektonisch als gelungen beurteilt werden können. Kritische Stimmen sind heute schon nicht zu überhören. Judith Eiblmayr jedenfalls schafft es ausgezeichnet, mit ihrer Recherchearbeit zu einem Zeitpunkt Licht ins Dunkel eines örtlichen Zustands zu bringen, zu dem ein neues Kapitel für Bad Gastein beginnt.


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