Andre Krammer

Andre Krammer ist selbstständiger Architekt und Urbanist in Wien.


Barcelona wurde im Laufe der Geschichte immer wieder von Großereignissen geprägt und nachhaltig transformiert. Insbesondere die Weltausstellungen 1888 und 1929 sowie die Olympischen Spiele 1992 kreierten ein internationales Image der Metropole und hinterließen markante Spuren in der Struktur der Stadt. Dabei wurden diese Events oft zum Vorwand genommen, um radikale städtebauliche Umwandlungen vorzunehmen, die aus lokalen Gesichtspunkten nur schwer rechtzufertigen waren. Globale Ansprüche und lokale Bedürfnisse prallten aufeinander. Die dadurch entstandenen Konflikte werden in der offiziellen Geschichtsschreibung der Stadt meist verdrängt. Renée Green in der Zeitschrift »kursiv«: »Für ein internationales Publikum von Zusehern scheint Barcelona das Modell schlechthin für erfolgreiche urbane Umstrukturierung im Kielwasser jener Transformationen zu sein, die durch die Olympischen Spiele von 1992 und die wirtschaftlichen Impulse der Europäischen Union ausgelöst wurden. Wenn man dieses Bild jedoch genauer unter die Lupe nimmt, so zeigt sich eine weitere zu berücksichtigende Dimension. Welche gegenseitigen Beziehungen und welche Spannungen verursacht diese Umstrukturierung zwischen den verschiedenen BewohnerInnen, die die Stadt erträumen und in ihr leben? Und wie beeinflussen globale Austauschmuster diese Beziehungen an bestimmten Standorten?«[1]

Im Jahr 2004 steht der nächste Event internationalen Ausmaßes ins Haus: Das Worlds Arts Festival. Von den VeranstalterInnen ist es als »universales« Großereignis geplant, das als internationale Plattform dienen soll. VertreterInnen von Kulturen aus aller Welt werden sich treffen, um über kulturelle Diversität zu diskutieren. Die Hauptveranstaltungen (Debatten, Kongresse, Themenausstellungen) sollen in einem Ökologie-Park am Meer im Gebiet Sant Adrià del Besòs-La Mina stattfinden, das im Zuge des Projekts einer fundamentalen Umwandlung unterzogen werden wird.
Dieses Vorhaben trifft in der Bevölkerung des Viertels zusehends auf öffentlichen Widerstand, als deren Sprachrohr auch die Gruppe madeinbarcelona[2] fungiert.
Die Mitglieder von madeinbarcelona trafen sich in einem Seminar zum Thema »Subkultur und Homogenisierung«, das von John Beverley und David Harvey in der »Fundació Antoni Tàpies« 1998 abgehalten wurde. Sie sind in der Kulturszene der Stadt verankert und unterstützen politische Projekte, die sich kritisch mit der in Barcelona vorherrschenden kulturellen Praxis auseinandersetzen.
Spätestens seit der Verleihung des RIBA-awards an die Stadt Barcelona 1999, versucht madeinbarcelona der offiziellen Erfolgsstory der Metropole auch ihre Schattenseiten gegenüber zu stellen. Man nahm den RIBA-award zum Anlass, um eine Publikation herauszugeben (»Made in Barcelona«), die eine Entwicklung der Stadt hin zu einer globalisierten Stadt kritisch beleuchtete.
Der RIBA-award, die »Royal Gold Medal« ist der Architekturpreis des Royal Institute of British Architects und wurde das erste Mal an eine Stadt verliehen. Begründet wurde die Auszeichnung mit den hervorragenden Leistungen einer pragmatischen Stadtplanung, die die öffentliche Sphäre der Stadt veränderte und die – laut Jury – mit höchster architektonischer Qualität verbunden war. Der Preis wurde der Stadt, ihren PlanerInnen und den BürgerInnen zugesprochen.
Als Reaktion darauf begann madeinbarcelona das offizielle und internationale Image der Stadt zu hinterfragen; einen kritischen Diskurs zu fördern und eine simplifizierte Selbstdarstellung Barcelonas zu dekonstruieren. Ein Einblick in die lokale Realität- wie sie sich den BewohnerInnen darstellt - sollte ermöglicht werden:
Die Stadt verkauft sich zunehmend als »brand« und vergleicht sich mit anderen Metropolen. Ein Umstand, der sich auch in einer vereinfachten Ikonographie der Stadt ausdrückt – wie sie sich beispielsweise auf einem Werbeplakat findet:
Auf einer gezeichneten Version einer Stadtkarte werden die touristischen Hauptattraktionen (Zwillingstürme, Strand, Gaudi-Kathedrale) dargestellt, dazwischen verbleibt eine Leere – eine »Tabula rasa«. Diese Karte wurde allerdings nicht für TouristInnen entworfen, sondern war 1999 ein Wahlplakat der sozialistischen Partei Katalaniens, die bis heute die Stadtregierung stellt. Madeinbarcelona zitiert in diesem Zusammenhang gerne ein Statement von Rem Koolhaas:

»Sometimes an old, singular city, like Barcelona, by oversimplifying its identity, turns generic. It becomes transparent, like a logo.«[3]

Eine derartige Ikonographie verweist gleichzeitig auf eine Konzeption von Stadt, hinter der die Idee eines Mega-Barcelonas steht, das nach globalen Gesichtspunkten funktionieren soll. In einer Stadt des »urban-chic«, die mehr und mehr als ein attraktiver Ort für transnationale Unternehmungen definiert wird, werden die ärmeren BewohnerInnen zunehmend als Störfaktor wahrgenommen.
Die Konzeption des World Arts Festivals wird von madeinbarcelona als ein zeitgeistiges »global-village«-Denken kritisiert, in dem kulturelle Vielfalt als leicht konsumierbar erfahren werden soll: ein Multikulturalismus à la Benetton. Ein pseudo-multikultureller Event wird vorgeschoben und ökonomische Interessen im Hintergrund werden gleichzeitig verschleiert: Ein Festival wird zum Vehikel für wirtschaftliche Interessen.
Der Ökologiepark des World Arts Festivals ist im Gebiet Sant Adrià del Besòs-La Mina geplant. Dieser Stadtteil ist ein Industriegebiet, bewohnt von einer hohen Anzahl von ArbeiterInnen. Ein großer Anteil der Industriegebäude wurde bereits abgerissen. Auf den entstandenen weitläufigen Leerflächen sollen ein Technologiezentrum und eine shopping mall entstehen – Projekte, die vor den spezifischen Bedürfnissen der BewohnerInnen die Augen verschließen. Besonders befremdlich erscheint der Umstand, dass eine sozialdemokratische Regierung eine Situation fördert, in der durch den Verkauf von Grundstücken an private InvestorInnen und durch die Vernachlässigung bestehender Wohngebäude ein enormer Druck auf die BewohnerInnen des Viertels ausgeübt wird, der zur Abwanderung der Menschen führt.
Unter den Betroffenen gibt es eine Reihe von Gruppen, die sich gegen die Umwandlung des Gebietes stellen und eine Schule als öffentliches Forum nützen. Madeinbarcelona nimmt nun die Stellung eines Koordinators ein: Die Bekanntheit einiger Mitglieder kann genutzt werden, um die Anliegen der BewohnerInnen hörbar zu machen. Ein Plakat und Folder wurden entworfen, auf denen werbewirksam das »globalvillage«- Projekt mit lokalen Forderungen konfrontiert wird. Weiters wurde gemeinsam mit den lokalen Gruppen ein Manifest verfasst (Towards an alternative plan), das in vierzehn Punkten die Hauptanliegen der BewohnerInnen formuliert. Gefordert wird die Rücknahme der spekulativsten Pläne der Stadtregierung, die Investierung in öffentlichen Raum, in öffentliche Einrichtungen, sowie in sozialen Wohnbau im gesamten Gebiet. In einem Punkt wird das Ende der Zerstörung des industriellen Erbes der Zone und dessen Erhaltung postuliert. In einem weiteren wird die Errichtung eines Museums und Research-centers für eine Auseinandersetzung mit dem industriellen Barcelona vorgeschlagen. Andere Punkte umfassen die Garantie eines uneingeschränkt öffentlichen Zugangs zu zukünftigen Parkanlagen, sowie das Überdenken des Schulsystems und dessen Ausbau unter lokalen Gesichtspunkten.
Das Phänomen »gentrification«, das Ruth Glass 1964 erstmals benannte, und das die Invasion des Mittelstands in ArbeiterInnenklasse-Gegenden in London bezeichnete, wird meist mit einer langsamen, kontinuierlichen Umwandlung von städtischen Gebieten verbunden, wie es Neil Smith in seinem Buch »The new urban frontier – Gentrification and the revanchist city«[4] anhand von Verdrängungsmechanismen in der New Yorker Lower East Side beschrieb.
In Barcelona bedeutet »gentrification« einen Maßstabssprung: Eingriffe in die Stadtstruktur, wie die Verlängerung der großen Diagonale durch Wohngebiete, brachte die Umsiedlung von tausenden von Menschen mit sich. Die Pläne für den Ökologie-Park in Sant Adrià del Besòs-La Mina könnten sich in kürzester Zeit auf einen großen Bevölkerungsanteil der Stadt negativ auswirken.
Am Beispiel der katalanischen Metropole lassen sich Aspekte eines Konflikts zwischen lokalen und globalen Interessen ablesen, der in Zukunft vermehrt zu führen sein wird. Detaillierte Analysen werden nötig sein, da in dieser Auseinandersetzung handfeste ökonomische Parameter oft nicht direkt artikuliert werden und sich immer öfter hinter kulturellen Großprojekten verbergen. Diese neuen Allianzen zwischen Wirtschaft und Kulturindustrie sind auf verschiedensten Ebenen verknüpft und es wird als Voraussetzung eines kritischen Diskurses gefordert sein, diese Stränge zu entwirren.

Fotos: Patrick Faigenbaum

Fußnoten


  1. Renee Green, Wavelinks, in der Zeitsch1ift kursiv Nr4/99 S.65 ↩︎

  2. e-mail: madeinbarcelona@yahoo.com ↩︎

  3. Rem Koolhaas in SMLXL. Köln1997 in The generic city S.1239 ↩︎

  4. Neil Smith, The new urban frontier, gentrification and the revanchist city, New York 1996 ↩︎


Heft kaufen