Heinz Kaiser


Bauen im Land Salzburg bedeutete bis vor wenigen Jahren, sich einem Einheitsstil unterwerfen zu müssen. Satteldach, Vordach und dunkle Holzverschalung lauteten die entscheidenden Parameter, die über eine Baugenehmigung entschieden. Mit der Kampfvokabel „Lederhosenarchitektur“ benennt man dieses konservative, rückwärts gewandte Bauverständnis, das für Jahrzehnte das Bauen im Land dominierte. Der Architekturhistoriker und –publizist Norbert Mayr, bekannt für klare Worte, scheut sich nicht, die Schuldigen beim Namen zu nennen: Es waren die ab den 1960er Jahren installierten so genannten Bezirksarchitekten, an denen engagierte Bauvorhaben scheiterten.

Unkonventionell gegen Konventionen ist der Titel des Essays von Mayr im Buch LP architektur, in dem er die bauliche Entwicklung – jahrzehnteang herrschte Stillstand – im Land Salzburg schildert bzw. analysiert: Beginnend mit den um 1930 entstandenen zwei Wohnhäusern von Lois Welzenbacher in Zell am See und endend mit einer ausführlicheren Würdigung der Arbeit des Architekten Tom Lechner. Das Buch, das den Namen des Büros von Lechner trägt, kann als Werkverzeichnis des noch jungen Architekten angesehen werden. 1970 geboren, hat er es in wenigen Jahren geschafft, mit seinem Büro eine stattliche Anzahl an bemerkenswerten Bauten (Einfamilienhäuser, Bürogebäude) und Projekten (Geschäftsumbauten, Stadtplatzgestaltung) zu realisieren, die mit Recht als zeitgemäße und engagierte Architektur einzustufen sind. „Seine fast ausschließlich Niedrigenergie- und Passiv-Häuser entwickeln sich in engem Wechselspiel mit Ökonomie, Ökologie und Verträglichkeit mit der Kulturlandschaft. Auf wesentlich sinnlich-räumliche Aspekte wie die Qualität von Durch- und Ausblicken [...] wird nicht verzichtet. Mit dem möglichen Minimum an Energie, Raum und finanziellem Einsatz erhalten Bauherr und Bauherrin ein Maximum an Wohnqualität und Behaglichkeit.“ (S. 12) Der umfangreiche Bildteil beweist dies eindrücklich.

Das Buch ist ein Glücksfall: einerseits wegen des einleitenden Textes von Norbert Mayr, andererseits aufgrund des eindrucksvollen Bildteiles, der beweist, dass sich mittlerweile auch im Land Salzburg qualitätsvolle und eigenständige Architektur, geschult und angelehnt an Vorarlberger Standards, durchzusetzen vermag – vorausgesetzt der/die ArchitektIn ist beharrlich und konsequent genug im Umsetzen seiner/ihrer Ideen.

Auch das Buch Stadtbühne und Talschluss – Baukultur in Stadt und Land Salzburg lässt sich als Werkverzeichnis verstehen oder auch als Zwischenbilanz der umfangreichen journalistischen Tätigkeit von Norbert Mayr. Aus den rund 300 Texten, die Mayr in Tageszeitungen und Fachmedien seit 1995 publiziert hat, wählte er markante Beiträge aus und aktualisierte sie nach Bedarf. Herzstück im ersten Teil des Buches mit dem Titel Stadtbühne ist die fast 50 Seiten umfassende Darstellung der peinlichen Umstände rund um die Errichtung des Hauses für Mozart („Vorhang auf, das Spiel ist aus“). Auch wenn man einen langen Atem und größte Konzentration braucht, um die einzelnen Schachzüge, Argumente und Untergriffe nachvollziehen zu können, zeigt diese Abhandlung sehr eindrucksvoll, worum es dem Autor in all seinen Texten geht: Aufbauend auf penible Recherchen will er aufzeigen, welche Gesinnungen hinter baulichen Absichten stecken, wie Machtstrukturen greifen und funktionieren, wie sehr das architektonische Treiben von wirtschaftlichen Interessen (Stichwort Salzburger Festspiele) und politischer Untätigkeit respektive Unfähigkeit (Stichwort Bezirksarchitekt) dominiert wird.

In diesem Sinne ist der Architekturkritiker Mayr mehr Gesellschaftskritiker, Stadtforscher und aufmerksamer Beobachter der „Provinz“, dessen Blickwinkel und Analysen über werkimmanente Stilkritik weit hinausgehen, wie Otto Kapfinger in seinem Vorwort betont: Mayrs wissenschaftliches Instrumentarium gründet auf Alois Riegl bzw. der Wiener Schule der Kunst- und Kulturkritik und zeichnet sich durch das Einbeziehen der gesellschaftlichen, politischen, sprachlichen, wirtschaftlichen und alltagskulturellen Phänomene aus. Oder anders gesagt: Die „klassischen“ Fragestellungen nach gelungenen Fassaden und Grundrissen werden zwar nicht ignoriert, stehen aber nicht im Mittelpunkt der Überlegungen. Es ist diese Auffassung von Architekturkritik, die Mayrs publizistische Tätigkeit – und damit dieses Buch – auszeichnet. Nicht verlegen um pointierte Formulierungen, wohltuende Offenheit und sprachspielerische Raffinessen, wie schon der Buchtitel beweist, leisten seine Analysen und Schlüsse einen wertvollen Beitrag zur Meinungs- und Bewusstseinsbildung. Die zum Teil sehr schlechte Bildqualität ist bedauerlich, erhöht aber möglicherweise die Motivation der LeserInnen, sich die Bauten mit eigenen Augen anzusehen, und das kann kein Schaden sein.


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