» Texte / Betongold für Herrn und Frau Österreicher?

Christoph Laimer

Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.


»Wohnen darf keine Ware sein« lautet eine oft gehörte politische Forderung. Sie ist kaum mehr als ein frommer Wunsch. War die Warenförmigkeit des Wohnens früher die Ausnahme, so ist sie heute die Regel. Wien ist von dieser Regel durch Gemeindebau und geförderten Wohnbau teilweise bekanntlich immer noch eine Ausnahme, aber gerade in den letzten Jahren hat auch hier der freifinanzierte Wohnbau die Oberhand gewonnen. Werbeschilder vor Baustellen, die ›Vorsorgewohnungen‹ anpreisen, gehören mittlerweile zum alltäglichen Stadtbild.
        Anita Aigner, Assistenzprofessorin an der Fakultät für Architektur und Raumplanung der TU Wien, hat sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigt und 2019 für dérive einen Artikel darüber verfasst. Er ist in einer überarbeiteten Version Teil der von ihr 2021 herausgegebenen Publikation Hier kommt der Investor … Dérive-Redakteur Andre Krammer hat für den Band einen Beitrag über die Geschichte der Bodenspekulation in Wien geschrieben, womit es eine weitere Verbindung zu dérive gibt, die hiermit transparent gemacht ist.
        Ein Schwerpunkt von Aigners Veröffentlichung ist die künstlerische Auseinandersetzung mit Wohnraum als Investment, womit ein Konnex zu einer zweiten Publikation offenkundig wird, die sich unter dem Titel Zwischen Anlagen Anderer aus einer künstlerischen Perspektive mit dem Mietinvestmentprodukt Vorsorgewohnung auseinandersetzt. Der künstlerischen Arbeit der Herausgeber dieser ebenfalls 2021 erschienen Publikation, den Schweizer Künstlern Michael Meier und Christoph Franz, ist wiederum ein Beitrag in Aigners Band gewidmet. Die Verbindungen sind vielfach und es gibt so manche inhaltliche Überschneidung, die betreffen allerdings eher die Auswahl der Objekte wie Triiiple oder Parkarpartments am Belvedere als inhaltliche Perspektiven.
        Aigner konstatiert in ihrer Einleitung, dass es in Österreich kaum künstlerische Auseinandersetzungen mit dem »kapitalgetriebenen Umgang mit Boden und Wohnraum« gibt, was ob der Wichtigkeit des Themas einigermaßen verwundert. Insofern ist es nicht überraschend, dass sie in die Vergangenheit blickt. Sie hat einen Beitrag über Klaus Staecks Immoplakate aus den 1970er Jahren verfasst, denen sie zeitgenössische Bedeutung zuschreibt. Wolfgang Kemp wiederum setzt sich in einem äußerst lesenswerten Beitrag penibel mit Fotoarbeiten zu drei US-amerikanischen Fallstudien von Hans Haacke, Walker Evans und Dan Graham auseinander, die allesamt 50 Jahre oder älter sind. Trotz des zeitlichen Abstands von den aktuellen immobilienwirtschaftlichen Entwicklungen beeindruckt beispielsweise Hans Haackes Arbeit, »ein künstlerischer Versuch in politischer Ökonomie und Zeitgeschichte«, durch eine minutiöse Recherche der Besitzverhältnisse von 140 Mietshäusern und der klaren fotografischen Dokumentation. Eine aufschlussreiche Arbeit, die man gerne auch in Bezug auf die heutigen Verhältnisse sehen würde, wohingegen man über die Aktualität von Staecks Arbeiten, wohl eher aufgrund fehlender politisch präziser, zeitgenössischer künstlerischer Arbeiten nachzudenken verleitet wird, als wegen einer vermeintlich zeitlosen Bedeutung. Stellen seine Sujets doch oft eher eine moralische Anklage als ein systemkritisches, politisch-aufklärerisches Statement dar.
        In Hier kommt der Investor… sind aber sehr wohl auch einige zeitgenössische künstlerischen Arbeiten zu sehen, die sich der Sichtbarmachung von Investor:innenprojekten (Jacob M. Lindloff), dem Online-Immobilienmarketing (Ceren Görgün), der spielerischen Auseinandersetzung mit Immobilieninvestments (Aleksandra Bogdanovic), der Marketing-Sprache (Dragana Gavric) und dem Umgang der Gemeinde Wien mit ihrem Liegenschaftsbesitz (Valerie Felicitas Assmus) widmen. Aigner selbst hat Kunstinserts gestaltet, die Immobilien-Werbebilder im öffentlichen Raum und Coverabbildung sowie Screenshots von Publikation bzw. Videos zeigen, die dem anlegewilligen Publikum Tipps geben, wie es am Profit aus Vermietung und Verkauf von Immobilien mitschneiden kann. Interessant ist auch ihr Artikel über neue Trends im Online-Marketing für Immobilienprojekte.
        Die Veröffentlichung von Michael Maier und Christoph Franz ist Teil eines künstlerischen Projekts, das die beiden für Kunst im öffentlichen Raum Wien umgesetzt haben. Ihr Band versammelt nicht nur Beiträge von Kritiker:innen des Modells Vorsorgewohnungen, sondern lässt mit Sandra Bauernfeind, Geschäftsführerin des Immobiliendienstleisters EHL, auch die ›Gegenseite‹ zu Wort kommen. Bauernfeind erklärt ganz nüchtern, wer in Vorsorgewohnungen investiert, was sie von ›normalen‹ Wohnungen unterscheidet oder eben nicht, wer sie anmietet und wo im Stadtraum sie liegen. Mit Dieter Henke und Marta Schreieck werden die beiden Architekt:innen interviewt, die für die Architektur eines der in den beiden Publikationen am öftesten genannten Objekte, die sogenannten Triiiple Towers, verantwortlich zeichnen. Sie vertreten die Position, dass es ihre Aufgabe ist, qualitätsvolle Architektur zu entwerfen und dafür – auch gegenüber den Bauherren – zu kämpfen. Sie betonen, keinen Einfluss darauf zu haben, wie die Investor:innen das Projekt bewerben und damit Profit machen.
        Christian Prantner und Walter Rosifka, zwei Vertreter der Arbeiterkammer, zeigen auf, dass es von allerlei Umständen abhängt, ob die Käufer:innen von Vorsorgewohnungen daraus tatsächlich Gewinn ziehen und dass sich das vor allem erst nach vielen Jahren erweist. Bei allen anderen Beteiligten ist die Sache eindeutig: Baufirmen, Banken, Rechtsanwälte, Bauträger:innen, Immobilienmakler:innen etc. machen mit Vorsorgewohnungen Profit und das im Vergleich zu den Käufer:innen relativ rasch.
        Weitere allesamt lesenswerte Beiträge gibt es zu den Themen Finanzialisierung von Susanne Heeg und zur »nachholenden Normalisierung« Wiens von Christoph Reinprecht sowie über Geschichte und Spezifika der Wiener Wohnbaupolitik von Barbara Ruhsmann. Themen der Wohnbaupolitik stehen im Zentrum der Beiträge von Michael Bonvalot, Vera Deleja-Hotko und Martin Putschlögl. Hier tauchen die bekannten Unternehmen Buwog, Soravia, Signa und ARE auf, über die man als österreichische:r Medienkonsument:in natürlich bereits viel weiß. Der eine oder andere Aspekt ist dann aber doch neu und ein kompakter Überblick sind die Beiträge für alle, die sich bisher noch nicht damit beschäftigt haben.
        Beiden Büchern kommt das Verdienst zu, auf das Thema Vorsorgewohnungen und damit das weitere Voranschreiten der Kommodifizierung der Wohnraumversorgung über das Fach- und Expert:innenpublikum hinaus aufmerksam zu machen. Ob die nun steigenden Zinsen der Beliebtheit von Anlagemodellen für Kleininvestor:innen etwas anhaben können, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Vielleicht beginnt das Betongold ja zumindest in diesem Sektor zu bröckeln.


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