Bruce-Lee in Mostar
»Europe in Motion-Filmfestival«, BerlinFilmfestival
Europe in Motion:
Moving Images, Shifting Persepctives
in Transcultural Cinema
Berlin 10.-16-12 2004
Ist eine Bruce-Lee-Statue das perfekte Monument für eine Stadt wie Mostar? Was bedeutet der Begriff Transnationalität, wie könnte eine translokale europäische Bewegung aussehen, wie benutzen migrantische Minderheiten Populärkultur, und wie sollten sie diese benutzen? Um was zu erzielen, welche Bildpolitik wie zu erobern, sich anzueignen oder umzuformen? Identitätsfragen, Festung Europa und repressive Kontrollpraktiken. Fließende Grenzen und Übergänge zwischen unklaren Innen- und Außen-Begriffen, Differenzhierarchisierung oder Differenz-Exploitation?
Schlagworte über Schlagworte, die alle so oder ähnlich in den Diskussionsrunden des Europe in Motion-Filmfestivals auftauchten und verhandelt wurden. Dass die Bilder immer politisch sind und dass sie aktiv an derartigen Zusammenhängen teilnehmen, mitkonstruieren und partizipieren, dies war Grundvoraussetzung des Festivaldiskurses. Und wie man bei derartigen Fragestellungen mit dem Bild arbeiten kann und in welchen Mechanismen man sich selbst bewegt, das sollte unter anderem zur Debatte gestellt werden. Also eine Frage auch nach den neuen Impulsen im Mainstream und nach ihrem politischen Kraftverlust auf dem langen Weg durch diesen: Wo wird hier der ökonomische Konflikt ethnisiert oder ein ethnischer Konflikt ökonomisiert? Stereotype, Klischees, Codes – Themenläden folglich ohne Ende.
»Moving images, shifting perspectives in transcultural cinema« – so liest sich die Unterüberschrift des Festivals, das Ende letzten Jahres erstmals in Berlin veranstaltet wurde und einem Zusammenschluss aus Filmschaffenden, politisch Aktiven und WissenschaftlerInnen, im Arbeitsumfeld von urbaner Kultur, Migration und Mobilität quer durch Europa, zu verdanken ist. Neben Filmen im Berliner Central- und Eiszeit-Kino sowie Partys im Hebbel am Ufer-Theater fand am Eröffnungswochenende ein einschlägiger Workshop im British Council statt. Kultur- und FilmkritikerInnen, SoziologInnen und FilmemacherInnen, die Reihe reichte von Georg Seeßlen über Mark Terkessidis, Hito Steyerl, Goran Rebic und Ayse Polat bis hin zu Tuncel Kurtiz und vielen anderen, trafen hier in einer hochexplosiven und somit auch hochproduktiven Mischung aufeinander. Gerade am Sonntag, nachdem überraschend am Abend zuvor Fatih Akin in Barcelona für »Gegen die Wand« den Europäischen Filmpreis erhalten hatte, krachten hier die An- und Einsichten insbesondere der jungen deutsch-türkischen Filmemacher und Filmemacherinnen aufeinander. Alle aufgeregt, z. T. aus Akins Filmteam genauso wie aus Neco Celiks, dann noch Ayse Polat, deren aktueller Kinofilm »En Garde« gerade in den Kinos angelaufen ist, und der fast zwei Generationen ältere Kurtiz, der »fürs Alt-Werden« zwar gerade wieder in die Türkei zurückgekehrt ist, aber den jungen RegisseurInnen nur raten kann, jetzt auf keinen Fall wieder in die Türkei zu gehen, denn »das würde euch nur kaputt machen. Die Filme, die ihr machen wollt, könnt ihr so nur in Berlin machen«. Eine Ansicht, die mit dem »Heimat Berlin«-Verständnis der Jüngeren größten Teils konform geht. Deshalb musste Kurtiz auch betonen, dass er vom »Gegen die Wand«-Schluss, der mit den beiden in die Türkei zurückgekehrten Protagonisten endet, nachhaltig verwirrt, wenn nicht sogar beunruhigt ist.
Georg Seeßlen, der dieses abschließende Panel moderieren sollte, war deshalb mit seinem Eröffnungsvorschlag des – vereinfacht gesagt – Versuchs einer Einteilung in die jeweils eigenen migrantischen Konstruktionen durch die PanelteilnehmerInnen selbst nicht unbedingt auf offene Türen gestoßen. Vielleicht hätte man dies voraussehen können, vielleicht aber auch nicht – doch zumindest was dann passierte, war noch viel spannender. Das Ich-Gefühl, der Drang und Zwang zur Selbstsuche, die Fragen des Individuums unter der Herrschaft des Migrantenkind-Status – alles wurde plötzlich entweder wütend auf den Tisch geknallt, genervt ob der Wiederholung nochmals kurz angesprochen oder zurückhaltend eingestanden. Da war man dann nicht mehr weit entfernt von der alten Frage nach dem: Was hat der/die Künstler/in mit seinem Werk zu tun? Und zugleich dem Eingeständnis durch andere WorkshopteilnehmerInnen, dass dies ja nun nicht überhaupt noch als interessante Frage zu verhandeln sei. Deshalb allerdings, weil die Leidenschaft der jungen FilmemacherInnen (hinsichtlich ihres Künstler-/Ich-/Selbst-Status) sich darum so ziemlich einen feuchten Dreck scherte, ruderte leider Seeßlen mit seinen wichtigen Fragen nach der Macht der Bildpolitik sowie ihrer Aneignung und Umkehrung durch jeweils vorherrschende hegemoniale Strukturen etwas an den PanelteilnehmerInnen vorbei. Beziehungsweise diese an ihm.
Die darauf folgenden Filme, die aus der tiefsten HipHop-Kultur ihrer jeweiligen Stadt zum Festival kamen waren neben Celiks »Urban Guerillas«, »Rage« von Newton I. Aduaka sowie »The Plague« von Greg Hall. Ist Celiks Film in der Kreuzberger Sprayer-/HipHop-Szene angesiedelt und mit einem Haufen authentischer LaiendarstellerInnen bestückt, so sind die beiden letzteren das Pendant dazu aus der Süd-Londoner Ecke. Jedoch mehr rappend als sprayend. Es geht in den britischen Versionen jeweils um ein paar FreundInnen, die gemeinsam ihre Tage abhängen – und dabei große und auch kleine Pläne und Probleme durchzustehen haben. Urbanes Unterwegssein zwischen Dealer, Party, Familie, Freundin und erster Platte sozusagen. Das hört sich jetzt erst mal alles nicht sonderlich verwunderlich an, und vielleicht auch nicht besonders spannend – aber was beim Sehen dieser Filme passiert, kommt relativ unerwartet. Greg Hall hat im achtmonatigen Schnitt seine Geschichtenstränge so miteinander verwoben, wie man es selten im Kino zu Gesicht bekommt. Die Gänge und Fortbewegungen, der Bilder wie der ProtagonistInnen – als der Außen- und Innenseite des Films –, bauen sich immer wieder neu auf und ab, spitzen sich zu, bis es letztendlich zu ernsthaften Bildimplosionen kommen kann. Ständig meint man voraussehen zu können, wie es weitergehen muss, aber immer wird man von den Bildern noch ein gutes Stück weiter geworfen. Vielleicht ist es das Unprätentiöse, das Ehrliche an ihnen. Während des Sehens fühlt man sich durch ein urbanes Milieu eher gestolpert und gestoßen als geführt. Das macht einen aufhorchen und aufmerksam – passend dazu musste Mike Leigh zumindest »The Plague« gleich mit einem Filmpreis versehen und den Begriff der Anarchie mit diesem Streifen in Zusammenhang bringen. Und genau dies ist er vermutlich auch. Er ist ganz nah dran, mittendrin im urbanen mobilen Fiasko der Szene, und erzählt und schneidet alles in einem völlig anarchischen Gestus. Mit einer Energie, die vielleicht am ehesten an die Pasolini'schen Laiendarsteller-Filme aus den römischen Vorstädten erinnert, geht Hall ein gutes Stück über »Trainspotting« hinaus. Die Bilder toben – »in motion« ist vielleicht schon gar nicht mehr der passende Ausdruck für diese filmischen Stadträume.
Tina Hedwig Kaiser