Wiebke Grösch/Frank Metzger

Wiebke Grösch und Frank Metzger sind KünstlerInnen und leben in Frankfurt/Main.


Am 6. Juli 2005 entscheidet das Internationale Olympische Komitee (IOC) bei einer Sitzung in Singapur über den Austragungsort der Sommerspiele im Jahr 2012. In der Endrunde befinden sich die Metropolen London, Madrid, Moskau, New York und Paris. Sie sind die verbliebenen Kandidatinnen aus einer Vielzahl weltweiter Bewerberinnen, ausgewählt in nationalen und internationalen Vorentscheidungen. Allein in den USA hatten sich acht Städte um die Austragung beworben, in Deutschland waren es fünf Städte und Regionen.

Seit es den OrganisatorInnen der Spiele von Los Angeles 1984 durch eine massive Kommerzialisierung gelungen war, die Olympischen Spiele, im Gegensatz zu vorangegangenen Olympiaden, ohne finanzielle Verluste durchzuführen, und das Bewerbungsverfahren durch das IOC zu Gunsten einer größeren medialen Präsenz der Bewerberstädte geändert wurde, ist die Zahl der Bewerbungen sprunghaft angestiegen. Wesentliche Motivation sind natürlich die erhofften – und von den BefürworterInnen meist maßlos überschätzten – positiven ökonomischen Effekte. Sowohl die Teilnahme am Auswahlverfahren als auch die Austragung Olympischer Spiele werden als perfekte Bühne angesehen einem weltweiten Publikum die Vorzüge, touristische Attraktivität sowie die logistische und ökonomische Leistungsfähigkeit der Stadt unter Beweis zu stellen, um sich – durch diese gigantische Werbemaßnahme – als Marke im globalen Wettbewerb der postindustriellen Dienstleistungsstädte um Touristenströme, Konzernstandorte und Kapital zu positionieren. Kein Wunder also, dass sich die Teilnehmerinnen im Wettstreit der (Möchtegern-)Metropolen – wie die AthletInnen – mitunter illegaler Methoden bedienen, um ihre Gewinnaussichten zu maximieren. So hat sich Salt Lake City die Austragung der Winterspiele 2002 durch die Zahlung von Bestechungsgeldern von etwa einer Million US-Dollar an Mitglieder des Auswahlkomitees „erkauft“.

Andererseits dient dieses „Spitzenereignis“ städtischer Festivalisierung als Katalysator urbaner Umwälzungen. Die Ausrichtung Olympischer Spiele ist der perfekte Vorwand für den Neu- und Umbau von Sportstätten, für die Durchführung infrastruktureller Großprojekte wie Straßenbau und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs sowie für die Um- und Neugestaltung von Wohn- und Geschäftsvierteln. Getragen von einer – wie auch immer zu begründenden – Olympiaeuphorie der Bevölkerung und entsprechenden zur Verfügung gestellten Finanzmitteln, kann die städtische Umgestaltung enorm beschleunigt werden. Den gewünschten positiven Effekten auf Wirtschaft, Arbeitsmarkt und städtischen Lebensraum stehen in der Realität u. a. Immobilienspekulationen, Mietpreissteigerungen, die Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse und – wie z. B. im Falle von Athen – die Vernichtung von Grünflächen, eine Erhöhung der Umwelt- und Verkehrsbelastung, eine starke Überwachung des öffentlichen Raumes und Steuererhöhungen in Folge der durch die Spiele verursachten Verschuldung gegenüber.

Die Beiträge dieser Ausgabe untersuchen am Beispiel ehemaliger, künftiger und gescheiterter Olympiastädte die Herangehensweisen, Vorraussetzungen und Beweggründe für die Durchführung eines derartigen globalen Megaevents und die sich aus den spezifischen Kontexten ergebenden städtebaulichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen. Als positives Beispiel für die städtebaulichen Auswirkungen der Olympiade werden stets die Veränderungen Barcelonas im Rahmen der Olympiade 1992 herangezogen. Maria-Dolors García-Ramón und Abel Albet i Mas stellen in ihrem Artikel die Übertragbarkeit des so genannten „Barcelona-Modells“ in Frage und weisen auf die besonderen historischen und sozialen Vorraussetzungen hin, die die umfassende Neugestaltung der Stadt ermöglichten. Dabei machen sie auch auf die oft übersehenen Schattenseiten der Entwicklungen in Barcelona aufmerksam. Ausgangspunkt ihres Beitrags ist die Verleihung der „Royal Gold Medal“ durch das Royal Institute of British Architects im Jahr 1999 an die Stadt Barcelona und die damit verbundene Empfehlung deren Umbau als Blaupause für die Neugestaltung englischer Großstädte zu begreifen. Bill Risebero greift diesen Gedanken auf und überprüft in seinem Artikel inwieweit sich das „Barcelona-Modell“ auf die Neuplanungen für das Londoner Eastend im Rahmen der Olympiabewerbung 2012 übertragen lässt. Im strukturschwachen Londoner Osten würden im Falle der Olympiavergabe in einem neu angelegten Olympia-Park der größte Teil der olympischen Sportstätten, das olympische Dorf und ein neuer internationaler Bahnhof entstehen. Die Folge wäre – laut der offiziellen Website der Londoner Bewerbung – die größte städtebauliche Veränderung Londons seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Angesichts der Fehlentwicklungen seit den achtziger Jahren bezweifelt Risebero jedoch, dass die geplanten Bauprojekte die von den OlympiabefürworterInnen angekündigten positiven Effekte hätten, und mahnt vor allem eine Änderung der Planungsstrukturen hinsichtlich einer stärkeren Beteiligung der Bevölkerung an.

Eine der großen städtebaulichen Herausforderungen der Olympischen Spiele sind die zur Unterbringung der SportlerInnen und Offiziellen entstehenden olympischen Dörfer. Am Beispiel einer Reihe von uns besuchter ehemaliger olympischer Dörfer (Barcelona, Lillehammer, Rom, Seoul und Sydney) untersuchen wir in unserem Beitrag die Widersprüche zwischen den Ansprüchen olympischer Utopie und der städtebaulichen Realität der Dörfer nach den Spielen. Vom IOC und den Medien noch immer als „Dörfer des Friedens und der Völkerverständigung“ idealisiert, werden sie jedoch zum Schutz vor terroristischen Übergriffen streng von der Außenwelt abgeschirmt. Diese Abschottung während der Spiele kann zu einer Ghettoisierung des Dorfes nach den Spielen führen.

Mit der zunehmenden massenmedialen Verbreitung der Spiele verändert sich auch deren städtische Erscheinung. Das medial vermittelte Bild der Architektur tritt in den Vordergrund. Virginie Lefebvre stellt diese Entwicklung in ihrem Artikel am Beispiel der Olympischen Spiele in Los Angeles (1932 und 1984) und Atlanta (1996) dar. Insbesondere in Los Angeles 1984 wurden anstelle dauerhafter Bauten bereits bestehende Einrichtungen wie Universitäten für die Zeit der Spiele umgenutzt. Durch die Errichtung temporärer architektonischer Strukturen wurde die Stadt zur fernsehtauglichen Kulisse des olympischen Medienevents.

Demgegenüber analysiert Matthias Bernt das Paradoxon Olympischer Spiele im schrumpfenden Leipzig und die überzogenen Hoffnungen, die die Leipziger Stadtregierung damit verbunden hatte. Während die Stadt einerseits unter konstantem Bevölkerungsschwund und einem entsprechend großen Wohnungsleerstand leidet, sahen die Planungen für den Fall der Spiele andererseits den Neubau von 8 bis 10.000 neuen Wohnungen (insbesondere für das olympische Dorf) vor. Seit dem Terroranschlag bei der Münchner Olympiade 1972 ist die Abwehr terroristischer Gefahren eines der wichtigsten Themen bei der Organisation der Spiele; mit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat sich diese Situation nochmals verschärft. Ihren bisherigen Höhepunkt (hinsichtlich Umfang und Kosten) erreichten die Sicherheitsmaßnahmen bei den Sommerspielen in Athen im letzten Jahr. Harry Ladis berichtet über das Ausmaß der dort getroffenen Sicherheitsmaßnahmen und deren Auswirkungen auf die Kontrolle des öffentlichen Raumes.

Angesichts der negativen Effekte der Spiele mehrt sich in Kandidatenstädten der Widerstand sowohl von politisch und sozial aktiven Gruppierungen (z. B. durch antiolympische Komitees) als auch in der breiten Bevölkerung. Bei der Volksbefragung zur Salzburger Bewerbung für die Winterspiele 2014 sprachen sich 60 Prozent der BürgerInnen der Stadt gegen die Olympiade aus. Dass der Protest Wirkung haben kann, zeigt u. a. die erfolgreiche Imagebeschmutzungskampagne der OlympiagegnerInnen in Berlin Anfang der neunziger Jahre. Als Beispiel aktueller Protestformen stellen wir eine Plakataktion gegen die New Yorker Bewerbung für die Spiele 2012 vor.


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