Cooler Content
Besprechung von »Content« von Rem KoolhaasRem Koolhaas
Content
Köln: Taschen, 2004
544 S., 10,27 Euro
Im Dezember 1995 war die Architectural Association noch zum Brechen voll, als Rem Koolhaas sein damalig aktuelles Buch S,M,L,XL vorstellte. Sogar aus Wien und Graz hatten sich die KollegInnen nach London verirrt, um die Präsentation des Meisters nicht zu verpassen. Ein Studienkollege hatte sich das Buch sogar in eingeschweißtem Zustand signieren lassen – direkt aufs Zellophan. Seither steht es unangetastet und prominent in seinem Regal – viel zu kostbar, um es zu öffnen und zu lesen.
Heute ist es gespenstisch ruhig um Rem Koolhaas und seine Büros OMA und AMO (dem Büro für »angewandtes architektonisches Denken«, so Koolhaas in der Einleitung). Vor allem scheint es, als ob Koolhaas und OMA aus dem österreichischen Diskurs um die Architektur verschwunden wären – dieser wird ja bekanntermaßen über Bubbles und Deformationen auf der einen Seite und über Denkmalschutz und ökonomisiertes Bauen andererseits mediengerecht, bildhaft und doktrinär geführt. Die Koolhaas-Ausstellung im Gropiusbau in Berlin wurde dagegen hier zu Lande kaum rezipiert, und die bis Ende Mai am NAI in Rotterdam gezeigte, in etwa gleiche Ausstellung wurde auch nur marginal erwähnt. Schade! Dabei ist die Architektur von Koolhaas, OMA & AMO so spannend, mutig und erfrischend wie nie zuvor!
Nun ist seit ein paar Wochen das Buch zur Ausstellung in gut sortierten Buchhandlungen erhältlich: Content, das neue Buch von Koolhaas und Co., kommt anders daher als die Vorgänger S,M,L,XL und Project on the City 1 & 2. Content ist eigentlich kein Buch mehr, sondern ein Magazin; oder ein neues Genre in der Grafik (so wie Koolhaas’ Gebäude ein neues Genre in der Architektur sind); wer weiß? Ein Magazinbuch vielleicht. Das Papier greift sich an wie die Seiten von The Face; und der Inhalt ist ähnlich mutig und eigenwillig für die Architektur, wie es Anfang der Neunzigerjahre The Face für die Mode und den Lifestyle war.
Das Buch sammelt die Projekte von OMA und AMO seit dem Erscheinen von S, M, L, XL und präsentiert sie entlang einer Reise, die sich unaufhaltsam gegen Osten hin bewegt. Go East!, schreit es uns grell entgegen. Der Traum vom Westen ist ausgeträumt. Koolhaas präsentiert sich als der Antipode zu John Wayne im Western. Koolhaas will sich nicht länger mehr als der Held stilisiert wissen, der in den Sonnenuntergang (in die Utopie) reitet. Keine Loslösungen vom Kontext, die uns Heil versprechen, und keine Ausflüchte in Form generierende Computerprozesse, sondern pure, seltsam »altmodische« Architektur: Analyse, Analyse, Analyse und am Modell probieren und experimentieren, ein Konzept formulieren und daraus präzise Architektur entwickeln. Jede andere Architektur schaut daneben blass und traurig aus, sei sie noch so binär, algorithmisch, denkmalpflegerisch oder ökonomisch begründet. Vielleicht ist Koolhaas’ Architektur ja auch nur deshalb so spannend, weil Koolhaas politisch ist und weil Koolhaas strukturell ist! Etwas, das speziell in der Diskussion über Architektur in Österreich schon lange fehlt! Koolhaas ist in dem Buch wie immer auch zynisch. Nur dieses Mal macht sich Koolhaas auch über sich selber und die Medien lustig. Zum Beispiel mit dem »Universal Modernization Patent«, mit dem er Anspruch auf die Ewigkeit erhebt. Da findet man in Content verstreut das Patent für den »Social Condenser« aus dem Jahr 1982 (die Idee zum Wettbewerbsbeitrag für Parc de la Vilette) oder das »Tall and Slender«-Patent für ein Hochhaus mit möglichst geringer Basisgröße bei möglichst großer Höhe (für die Togok Towers in Seoul, 1996).
Einziger Wermutstropfen im klassischen Sinne an Content ist, dass die Projekte oft nur sehr flapsig und zu schnell präsentiert werden, so dass ein genaues Lesen der Projekte nicht möglich wird. Doch das war ja wohl nicht die Intention dieses Buches. Die (moderne) Architektur geht mit Koolhaas grandios zu Grunde und wird mit einem immensen Aufwand wieder glamourös aus der Taufe gehoben! Die Zukunft der Architektur kann beginnen!
Rem Koolhaas
Content
Köln: Taschen, 2004
544 S., 10,27 Euro
Andreas Rumpfhuber is an architect and researcher in Vienna.