Günter Hainzl


Im November, dem Monat der Fotografie, fand im Österreichischen Museum für Volkskunde eine Fotoausstellung zum Thema 40 Jahre Prager Frühling statt. Ausgangspunkt und Intention der Kuratoren Paul Divjak und Matthias Beitl war, das Jubiläumsjahr des Prager Frühlings zu nutzen und einen Beitrag zur allgemeinen Diskussion zu leisten. Zu diesem Zweck versuchten sie einen bisher wenig bekannten Blickwinkel der Ereignisse zu thematisieren. Sie bedienten sich der Fotografien von Heinz Hosch, eines österreichischen Fotografen, der das Geschehen um die Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 für Die Presse dokumentierte und kuratierten damit gleichzeitig seine Personale.

Die ursprüngliche Idee für die Schau entstand während der persönlichen Aufarbeitung des Oeuvres Heinz Hoschs durch seinen Sohn Rainer Hosch, selbst Fotograf. Bei der Aufarbeitung und Indizierung des Nachlasses stieß Rainer Hosch auf neun Rollen Film aus dem Prag des Jahres 1968. Nur zirka ein Dutzend von 420 Fotos wurde damals in der Presse veröffentlicht, der Rest war bis dato im Verborgenen geblieben.

Die Ausstellung verteilte sich auf zwei Räume im Obergeschoß des Gartenpalais Schönborn. Der erste Raum wurde mit einer Diaschau der Fotografien bespielt, um die Authenzität des Originals zu wahren und die Bewegung und Geschwindigkeit der Geschehnisse, welche sich in der seriellen und sequenzenhaften Abfolge der Aufnahmen manifestieren, wiederzugeben. Überlagert wurde die Diaschau mit der Klanglandschaft des heutigen Prag, um einen Brückenschlag zwischen der Gegenwart und dem Prag von 1968 zu schaffen. Der zweite Ausstellungsraum zeigte Originalabzüge der Fotos, Presseausschnitte und Informationen über das Wirken Heinz Hoschs in jener Zeit. Der Zeitraum der durch Hosch dokumentierten Geschehnisse beschränkt sich auf die nach dem Einmarsch der Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten in der Nacht zum 21. August stattfindende und nur einige Tage andauernde friedliche Demonstration der Tschechoslowaken.

Zur Ausstellung erschien als Sonderbeilage der Wiener Zeitung am 21. August 2008 die Publikation Prag 1968 – Fotografien von Heinz Hosch. Die Beilage ist reich gespickt mit unterschiedlichsten Stellungnahmen inländischer und tschechischer AutorInnen und einer Reihe interessanter Interviews mit wichtigen ZeitzeugInnen. Die Zeitungsbeilage zeigt zahlreiche Fotografien Heinz Hoschs, die in dem Medium, für das die Fotografien ja urspünglich gedacht waren, ihre wohl authentischste Reproduktion finden.

Denn das dokumentarische Juwel der Ausstellung und Publikation bleiben Hoschs eindringliche Fotografien. Anders als die durch eine Ausstellung im Museum of Modern Art und unzählige Reproduktionen bekannt gewordenen Fotografien des tschechischen Fotografen Josef Koudelka, der ob seiner Nationalität und seiner Arbeit als Kunst- und Portraitfotograf die Geschehnisse sehr dramatisierte, zeigt uns Hosch einen objektiven und neutralen, aber auch einen sehr direkten und nahen Blick auf die Dinge. Er ist nicht abseits, sondern inmitten der Geschehnisse, dokumentiert die Mimik und Haltungen der russischen Besatzer, die nicht unterdrückend, sondern entschuldigend und mit der Situation der Invasierten anteilnehmend wirken. Hosch bewegt sich und wird bewegt durch die versammelten Massen am und um den Wenzelsplatz in Prag. Er wird passiver Teilnehmer einer politischen Bewegung, die sich im besten Sinne des Wortes „Polis“ der Stadt selbst annimmt und sich als Ausdruck einer Gemeinschaft zeigt. Die Demonstration ist körperlich und menschlich gewordenes Manifest eines neuen Sozialismus.

Hoschs Bilder zeigen zwei Formen von Örtlichkeit: Zum einen eine abstrakte Form, auf Transparenten mit den Namen Moskau und Russland; so weist ein Transparent die Richtung nach Moskau, auch auf die Länge der Reise von 1800 km wird verwiesen, ein anderes rät „CCCP, go home!“. Zum anderen wird der Wenzelsplatz zu einer direkten und unmittelbaren städtischen Formation, generiert zur Bühne für das Spektakel des Widerstandes. Der einzelne Mensch steht einem einzelnen Soldaten gegenüber, DemonstrantInnenguppen belagern Panzer, die gekommen sind, um die Stadt zu belagern. Hier in der Tschechoslowakei wird nicht wie bei den Mai-Unruhen in Paris ein Gebäude beziehungsweise ein Viertel, das Quartier Latin, besetzt gehalten, nicht eine Institution ist Inhalt und Anstoß des Konfliktes. In Prag, Bratislava und Brünn stehen die Gesellschaft, deren politisches Verständnis und die Freiheit einer Nation im Vordergrund. Der öffentliche Raum wird zum Schauplatz des Konfliktes; der Wenzelsplatz in Prag fungiert als Gefäß. Aktivitäten verdichten sich und polarisieren gewisse Bereiche des Platzes und seiner näheren Umgebung, woanders kehrt wieder Ruhe ein. In der Mitte tänzelt der Fotograf, wird von den Geschehnissen getrieben und gezogen. Es scheint, als ob nicht mehr Hosch seine Kamera führt, sondern das Geschehen selbst Regisseur und Hauptdarsteller seiner Aufnahmen ist. Es entstehen filmische Sequenzen, stumme Zeitrafferaufnahmen, mehr als tausend Worte wert. Beim Betrachten der Bilder fällt auf, wie die Gebäude des Platzes angesichts der Geschehnisse an Schärfe und Präsenz verlieren. Ein Satz des Kommunistischen Manifests kommt einem in den Sinn: „Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.“

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Ausstellung
Prag 1968
Fotografien von Heinz Hosch
Österreichisches Museum für Volkskunde
7. November bis 7. Dezember 2008

Prag 1968. Fotografien von Heinz Hosch
Sonderbeilage der Wiener Zeitung vom 21. August 2008


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