» Texte / Das Ganze Tacheles ist in Wirklichkeit »Politisches Theater«

Elke Rauth

Elke Rauth ist Obfrau von dérive - Verein für Stadtforschung und Leiterin von urbanize! Int. Festival für urbane Erkundungen.


...in dem sich die gesellschaftlichen Verhältnisse durch alle Ebenen des täglichen Lebens widerspiegeln.«
Martin Reiter, Künstler und Vorstand des Tacheles Kunsthaus/ Berlin, über die Hauptstadt, Bauwahn und die zeitgenössische Kunst als Überlebensmodell.

Wer Berlin kennt, kennt auch das Tacheles. Die Ruine des Kaufhauses Wertheim im Bezirk Mitte wurde im Februar 1990 von KünstlerInnen aus Ost- und Westberlin durch Besetzung vor Sprengung und Abriss bewahrt und kurzerhand zum Kunsthaus erklärt. Flugs wurde begonnen, das (inzwischen denkmalgeschützte) Gebäude in Eigenleistung instandzusetzen, und zur Präsentation und Produktion von Kunst zu nutzen. Förderungen zur Sanierung und für den Kunstbetrieb ließen nicht lange auf sich warten, wenn sie im Verhältnis zur Größe und dem Output des Hauses auch nicht gerade hoch ausfielen. Offizieller Besitzer des Geländes war nach dem Mauerfall, bedingt durch den Einigungsvertrag, die OFD (OberFinanzDirketion), also der Bund.
»In diesen ersten Jahren wird das Tacheles mit seinen grenzüberschreitenden, multikulturellen Veranstaltungen und Kunstaktionen sehr schnell ein Markenzeichen für die Wendezeit, ein Symbol für Aufbruch und Neubestimmung, und mit den wachsenden BesucherInnenzahlen verwandelt sich das Haus in ein nun auch international anerkanntes Gesamtkunstwerk«, heißt es in einer Broschüre des Kunsthauses aus dem Jahr 1997. Diese Entwicklung nutzt auch die Stadt Berlin, die das Sujet der aufgerissenen hinteren Fassade des Hauses imageträchtig als Werbeträger auf Plakaten einsetzt. Ganze Busladungen von TouristInnen zieht es hin zur Kunstruine, was den Alltag der KulturarbeiterInnen zwar nicht gerade erleichtert, dafür aber das finanzielle Überleben des Hauses zu einem beträchtlichen Teil sichert.
Mit dem beginnenden Umbau Berlins zur Hauptstadt wird vieles anders. Das Tacheles mit seinen rund 6.000 m2 nutzbarer Fläche und seiner Position im neu zu schaffenden Regierungsviertel – der Reichstag befindet sich in einer Entfernung von nur 300 m Luftlinie – wird zum heiß begehrten Objekt für Spekulanten. Als erster Interessent scheitert die schwedische Investorengruppe »Skanska« am Stockholmer Börsencrash und zieht ihre Bebauungspläne zurück. Seit 1993 bemüht sich Fundus Fonds unter der Führung von Anno August Jagdfeld (der Mann hatte in jungen Jahren PR für Helmut Kohl gemacht) um das Areal des Tacheles inklusive der umliegenden Grundstücke. Zwischen Einzelhandel, Gastronomie, Büros, Hotel und »gehobenem« Wohnen – insgesamt eine zu bebauende Fläche von 30.000 m2 – wird das Kunsthaus als kulturelles Aushängeschild des sogenannten »Johannisviertels« eingeplant. Die OFD zeigt sich am Verkauf sehr interessiert, denn die Staatskassen sind leer, und den Umzug gibt’s auch nicht gerade umsonst. In der Kalkulation der Verkaufssumme wird das Tacheles als wertmindernd mit minus 6,4 Millionen Mark bei den umliegenden Grundstücken gegengerechnet. Die Verhandlungen des Betreiber-Innenvereins mit dem Investor ziehen sich über mehr als drei Jahre hin, bis sie schlussendlich ohne Ergebnis von beiden Seiten abgebrochen werden. Der Kultursenat kommt nach Ansicht des Hauses seiner angestammten Rolle als Vermittler zu keinem Zeitpunkt nach.
Doch obwohl ein Gerichtsurteil besteht, das die »Tachelesen« zur Herausgabe des Gebäudes auffordert, scheitern Räumungsversuche am Interesse der internationalen Öffentlichkeit. Der Kunstbetrieb wird ohne öffentliche Fördermittel über zwei Jahre hinweg aufrechterhalten. Viele unappetitliche Übernahmeversuche durch die Hintertür und andere halbseidene Aktionen begleiten das Kunsthaus bis 1998.
Letztlich ist der Kunstzusammenhang Tacheles aber nicht unterzukriegen, und so kommt es durch die Vermittlung von George Taboris Manager Heiner Steiner im November 1998 doch noch zu einem Vertrag mit Fundus, der eine Mietdauer von zehn Jahren und den Umbau des Kunsthauses beinhaltet. Im Sommer 2001 werden die Gerüste nach 1,5 Jahren Bauzeit abgebaut. Während der Bauzeit ging der Kunstbetrieb weiter; die KünstlerInnen blieben im Haus, um so jegliche »Totsanierungsabsichten« zu torpedieren. Das Resultat des Umbaus kann sich sehen lassen: 27 Gastateliers, zwei neue Galerieebenen, zwei kleine Kinosäle, eine Seitenbühne für Theater und Gewerbeflächen zur Querfinanzierung des Kunsthauses.

dérive: Wie sieht die Situation des Tacheles im Moment aus?

Martin Reiter: Seit November 1998 besteht ein Vertrag mit Fundus Fonds. Der Investor als neuer Eigentümer des Tacheles-Geländes inklusive der umliegenden Grundstücke überlässt uns das Kunsthaus für die Dauer von zehn Jahren für eine symbolische Miete von einer Mark pro Monat. Gleichzeitig investiert er die vom Bund gewährte Grundstücksersparnis von 6,4 Millionen Mark in den Umbau des Hauses. So war es auf jeden Fall geplant. Inzwischen stehen wir bei einer realen Investitionssumme von 9 Millionen Mark, was den Investor nicht freut. Jeder notwendigen Mehrausgabe gingen jedoch harte Verhandlungen voraus, da der frühere Vorstand es leider versäumt hat, festzuschreiben, was genau vom Investor zu bezahlen ist. Auf Grund der eventuell entstehenden schiefen Optik in der Öffentlichkeit musste Fundus aber in den sauren Apfel beißen und die Mittel zur Verfügung stellen – schlechte PR will man sich ja dann doch nicht leisten.
Was im Jahr 2008 passiert, ist schwer zu sagen – fest steht: Es gibt eine weiterführende Option. Sollte Tacheles nach Ablauf dieses Vertrages immer noch Kunsthaus sein, liegt der Verdacht nahe, dass der Investor wohl über unbezahlbare Mietforderungen einen Räumungsversuch wagt – das ist jedenfalls eines der realistischeren Szenarios.
Es wird sehr darauf ankommen, welche Position das Kunsthaus Tacheles bis zu diesem Zeitpunkt einnimmt. Wie leider oft zu beobachten, wenn sich ein Silberstreif am Horizont abzeichnet, ist auch hier im Haus ein innerer Verteilungskampf entbrannt, der längerfristige Strategien zumindest im Moment verunmöglicht.

dérive: 9 Millionen Mark sind eine Menge Geld für ein besetztes Kunsthaus. Wie war es möglich, dieses Verhandlungsergebnis zu erzielen?

Martin Reiter: Unsere ungewöhnliche geografische Lage hat einen großen Teil zum heutigen Ergebnis beigetragen, daher lässt sich aus der Tacheles-Geschichte nur schwer allgemein Gültiges ableiten. Tacheles als Gruppe war immer relativ ahnungslos, was sich als Glück herausgestellt hat. »So zu tun, wie es ist«, um Attwenger zu zitieren, ist heute ja eine der schrecklichsten Waffen. Unser bestes Argument war immer die »Warum«-Frage.

dérive: Was hat sich durch den Umbau architektonisch verändert?

Martin Reiter: Die Vorderfront in der Oranienburgerstraße ist gleich geblieben, auf der Rückseite des Hauses wurde links eine zweistöckige Seitenbühne für das Theater angebaut, dazwischen ist die Ruine wie gehabt und rechts beim Torbogen befindet sich jetzt ein moderner Glasverbau.
Alles in allem Architektur im Sinne der Aufklärung und Moderne. Damit haben wir der Tendenz, ein Museum unser selbst zu werden, einen Riegel vorgeschoben, und die durchwegs positiven Impulse von Außenstehenden bestätigen das Konzept. Jetzt steht das Kunsthaus vor der Aufgabe, diesen Rahmen zu füllen – die Inhaltsdiskussion hinkt leider hinterher.
Letztlich sehe ich das aber mehr als optimistisch, da »Produktions- und Präsentationsort für zeitgenössische Kunst« genug Inhalt für mehrere Generationen ist. Speziell die freien Medien im Haus ergeben ein weites Feld, an dem sehr viele Leute beteiligt sind, von denen auch die wichtigsten und kreativsten Impulse für das Tacheles ausgehen.

dérive: Nun sollen ja auch die Freifläche und das Gelände neben dem Kunsthaus verbaut werden …

Martin Reiter: Ja, auf dem Nebengelände soll eine »New Urbanism«-Bebauung passieren – ein Konzept, das ja selbst in den USA bereits scheitert. Dabei wird mit Wortkreationen wie »privater öffentlicher Raum« um sich geworfen; das klingt für mich ungefähr wie »Vorwärtsverteidigung«. Wir konnten auf jeden Fall einen direkten Anbau an das Tacheles verhindern, und auch die geplante Bauhöhe über das Kunsthaus hinaus musste geändert werden. Von der Freifläche hinter dem Tacheles wird nicht viel bleiben bzw. wird der Rest sicher den jetzigen wilden Charme der »Wüstensand-Rattenwohnung« verloren haben.
Hier ist eine Erweiterung in Form einer kleinen, letztlich provinziellen Einzelhandels-Büroanlage geplant. Es gab unzählige öffentliche Diskussionen mit wichtigen Beiträgen von wichtigen Fachleuten aller Sparten, aber letztendlich wird eine Bebauung nicht durch Diskussionen aufgehalten, sondern durch das Fehlen von Interessenten und Käufern. Ich frage mich im Zusammenhang mit dem Berliner Bauwahn schon lange, wer denn den ganzen Champagner und Kaviar konsumieren soll, für den die glitzernden Konsumpaläste gebaut werden.

dérive: Wie siehst du den Umbau zur neuen Hauptstadt generell?

Martin Reiter: Berlin hat zehn Jahre High-Speed-Städtebau hinter sich und präsentiert sich mir als großes, bei näherem Hinsehen »billiges« Disneyland mit dem Potsdamer Platz als »Möchtegern-High-Tech-Insel« dazwischen. Alle haben investiert, da nach der Übernahme des Ostens durch den Westen über die »Sonderabschreibung Ost« bis 1998 keine Steuern zu bezahlen waren. Viele sind inzwischen pleite gegangen, die Banken haben gut verdient.
Was die Architektur betrifft, so sind die politischen Entscheidungsträger von der Wirtschaft so abhängig, dass einfach alles möglich war und ist. Schlussendlich bestimmt die Mark. 2001 liefert uns also keine glitzernden Raumschiffe, sondern die Rückkehr in quasi feudale Verhältnisse, wo Nepotismus das Maß der Dinge ist, repräsentiert durch Wirtschaftsbetriebe und Fondsgesellschaften. Und Investoren sind nun einmal nicht an Städtebau, sondern an Gewinnen interessiert.
Hochgebaut wurde mit Wirtschaftsprognosen aus den Achtzigern und jetzt sitzt die Stadt auf unzähligen Quadratmetern Bürofläche. Das Lego-Konzept »Wir bauen eine Stadt« funktioniert einfach nicht. Theodor Häussermann hat das in einem Beitrag zum »öffentlichen Raum« anschaulich erklärt, indem er meinte, dass Urbanismus immer etwas zu tun hat mit Ungleichwertigkeit und Ungleichzeitigkeit in verschiedenen Komponenten. Nur dadurch entsteht Leben.

dérive: Welche Position kann ein Kunsthaus wie das Tacheles in dieser geografischen Lage überhaupt noch einnehmen?

Martin Reiter: Berlin-Mitte ist besiedelt von KünstlerInnen, Yuppies und Neureichen, wobei die ehemaligen New-Economy-GewinnerInnen ihren Porsche inzwischen gegen Fahrräder eingetauscht haben. Berlin besitzt ja kaum Altstadt und Mitte mit Oranienburgerstraße und Scheunenviertel ist quasi das »Bermudadreieck« (TouristInnen-Vergnügungsmeile in Wien, Anm. d. Verf.). Innerhalb dieses Rahmens sehe ich das Tacheles als Erfolgskonzept, denn wir verwirklichen mit unserem offenen, internationalen Ansatz das Geheimnis der Urbanität im Sinn Ungleichzeitigkeit/Ungleichwertigkeit und dergleichen. Die Stütze des Hauses sind die 27 Gastateliers.
KünstlerInnen sind ja SelbsthilfespezialistInnen – ein gutes Überlebensmodell. Natürlich beinhaltet das immer einen hohen Anteil Selbstausbeutung, nachdem die künstlerische Arbeit ja auch dem Drang, etwas tun zu wollen, folgt. Letztendlich wird die Hauspolitik bestimmen, welche Position das Tacheles in Zukunft inmitten des allgemeinen »Wettbewerbs–Irrsinns« einnehmen kann. Die Öffnung nach außen und ein noch stärkerer Ausbau der internationalen Kontakte sind für mich der Schlüssel zum künstlerischen Überleben.
Ökonomisch wirkt die Umgebung für das Haus eher positiv: Auf der Suche nach Authentizität stolpern die BesucherInnen von einer leblosen Bar in die nächste, bis sie schlussendlich alle bei uns landen, denn hier tobt das Leben durch die Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Beteiligten. Die Krise, die ich sehe, ist aber eine inhaltliche und das gilt allgemein. Letzthin erst hat der Berliner Innensenator 3000 Nazis aufmarschieren lassen, die von der Polizei vor linken Demonstranten geschützt wurden. Da waren Schilder zu lesen wie »Mit Gott – für Deutschland«. Da bleibt mir nur mehr die Feststellung, dass die Fähigkeit zur Sprache nicht zwingend Intelligenz voraussetzt.
Berlins Entwicklung liegt im Dunkeln, die Stadt ist durch das jahrelange CDU/SPD -Gemauschel de facto bankrott. Vielleicht bietet ja eine sich abzeichnende rot-rote Stadtregierung (SPD/PDS, Anm. d. Verf.) eine interessante Perspektive, wer weiß. Letztendlich ist die Kunst und auch die Architektur ja nur das Sinnbild schleichender gesellschaftlicher Entwicklungen und die gehen in der Tatsächlichkeit eben in Richtung Wettbewerbsgesellschaft, also zurück ins Affendasein.


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