Ljubomir Bratić

Ljubomir Bratić lebt als Philosoph, Sozialwissenschaftler, Publizist, Aktivist und Flüchtlingsbetreuer in Wien.


Nach Jahren der antirassistischen Kämpfe – nicht erst unter der letzten Regierung – hat sich die so genannte »Integrationspolitik«, der vorherrschende migrationsregulierende Hegemoniebegriff im österreichischen Staat, mittels Vermengung der MigrantInnen auf die Listen der politischen Parteien während des Wahlkampfs zu den Nationalratswahlen am 24.11.2002 weiter gefestigt. Wir sollten uns damit wieder der Frage zuwenden, was – jenseits der strategischen Ziele – Ziel und Mittel des Antirassismus sein sollte. Die MigrantInnen auf den Listen versuchten mit einer beeindruckenden, wenn auch nicht restlos überzeugenden Häufung eigener Auftritte in den Öffentlichkeiten offensichtlich die Handlungsspielräume auszuloten. Denn die Rolle, die sie mit ihrem Engagement tatsächlich übernehmen, ist noch nicht gefunden. Mit anderen Worten: Der Apparat der Politik wurde umgestellt, jetzt sind teilweise die MigrantInnen diejenigen, die die migrationspolitischen Themen im Mainstream vorstellen dürfen; die Funktionsweisen, die sie an den Tag legen, sind aber nach wie vor für die Regulierung und Repräsentanz von zehn Prozent der Bevölkerung Ostarrichis nicht optimal. Eine Frage bleibt immer noch, trotz der Versuche sie zu verdrängen, offen, nämlich die Frage nach dem gesellschafts-politischen Sinn und Zweck dieser KandidatInnen. Inwiefern können wir da von migrantischen VertreterInnen sprechen, wenn ein Großteil der MigrantInnen nach wie vor aus allen Repräsentationsfunktionen ausgeschlossen bleibt? Nicht nur das, sondern sie besitzen auch keine Möglichkeit, diese Funktionen zu bestimmen. Wir haben nach wie vor das allgemeine und gleiche Wahlrecht für alle Menschen, die im österreichischen Staat leben, nicht erreicht.
Was ist die raison d'être des Antirassismus im österreichischen Staat, der zugleich klein ist – und dessen freiwillige Rolle im europäischen Zusammenhang die eines Vorreiters des Rassismus und der Restriktion gegenüber MigrantInnen ist? In den mehr auf politische Gefälligkeit als auf Operabilität getrimmten Aussagen der MigrantInnen auf den Listen konnten wir fast jede denkbare Antwort finden. Es empfiehlt sich deshalb, auf das ganz Einfache zurückzugehen: Antirassismuspolitik – in solch divergierenden Bereichen wie Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, Sport und so weiter – ist die Wahrung und Förderung der Interessen diskriminierter Gruppen innerhalb der rassistischen Machtgefälle. Dazu müssen diejenigen, die sich antirassistisch nennen, einmal stehen, bevor die Interessen überhaupt eine eindeutige Definition finden. Antirassismuspolitik dient weder dem Wahren, Guten, Schönen und Toleranten an sich, noch der Selbstverwirklichung irgendwelcher PolitikerInnen, die Teilbereiche des antirassistisch Wahren, antirassistisch Guten, antirassistisch Schönen und antirassistisch Toleranten zu verwalten glauben.
Daraus ergibt sich zum Einen, dass der große Stellenwert, den die MigrantInnen seit je dem antirassistischen Kampf eingeräumt haben, nicht ein etwas verschämt zu Verbeugendes und möglichst zu Überwindendes ist, wie es den Einzelnen lieb wäre. Eine solide und vielfältige Antirassismuspolitik ist auf Grund starker rassistischer Diskriminierung der MigrantInnen eine primäre Säule des universellen Kampfes der Ausgeschlossenen in unseren Gesellschaften. Dass die Funktion der Repräsentation für diesen Zweig des Antirassismus nicht bei denen liegt, die ihn ausfechten, ist eine Gegebenheit (sie entspricht den Gegebenheiten in allen anderen nationalstaatlichen Gebilden), mit welcher sich nicht gut leben lässt und die als menschenausschließende Errungenschaft des Nationalstaates bekämpft werden muss. Einige MigrantInnen – eine Folge des Fehlens des allgemeinen und gleichen Wahlrechtes für alle – und vor allem zu viele sozial denkende HelferInnen pflegen heute ihre eigenen kleinen Auseinandersetzungen an den eigentlichen antirassistischen Inhalten vorbei. (Im Wahlkampf behauptete ein auf der SPÖ-Liste eingereihter Migrant allen Ernstes, dass eine Stimme für die SPÖ und ihn tatsächlich der Wiedergutmachung der Kolonialvergangenheit Österreichs gleichkäme.)
Eine konfrontative Koordination dieses Pragmatismus mit fundamental operierenden Gruppen wäre von Nöten, auch angesichts der Tatsache, dass die Erfolgsausichten im Machtspiel Politik, wenn aus einer solch konformistischen Position heraus gestartet wird, als eher gering zu bewerten sind. Die MigrantInnen auf den Listen der machthabenden Parteien sind für die PolitikerInnen der Mehrheitsbevölkerung einerseits willkommene Blitzableiter gegenüber politischen Interventionen diverser antirassistischer Gruppen, andererseits Legitimation im Sinne des Beweises für ihre grundsätzliche antirassistische Einstellung, die allerdings eher später als früher die Früchte der Gleichheit tragen sollte.
Notwendig wäre die Bildung von strategischen und operationellen Schwerpunkten – abgesehen natürlich von einer Politik der schrittweisen rechtlichen Annäherung an das staatsbürgerliche Subjekt sowie die konsequente Weitereroberung der Räume – in wichtigen Feldern der Antirassismuspolitik, die hier aber nicht erörtert werden – liegen diese Schwerpunkte doch eigentlich auf der Hand: Konfliktinszenierung, Empowerment, Allianzenbildung und Equality Targets. Diese Bereiche haben nach innen wie auch nach außen Akzeptanz und Glaubwürdigkeit. Alles andere sind »Gelegenheitsjobs«, Dinge, die zwar auch getan werden, wenn sich die Gelegenheit dafür bietet, für die allerdings keine besonderen Ressourcen zu binden sind. Einen eigenen Apparat zum Beispiel für ein Diversity Management aufzubauen, das real letztlich nicht mehr als eine marktorientierte Geste zugunsten des weltweiten Neoliberalismus liefert, wäre frivol, wenn wir die Tatsache berücksichtigen, dass die so verzettelten Energien dann dort fehlen, wo Prioritäten gesetzt werden können. Denn Diversity Management als Teil einer antirassistischen Politik kann nur in Verbindung mit anderen gesellschaftlichen minoritären politischen Subjekten sowie nur als letzte systemschützende Maßnahme effizient sein.
Die Konfliktinszenierung ist wahrscheinlich das Gebiet, welches am Konsequentesten aufzubauen wäre. Sie ist, bei allen Meinungsdifferenzen im Detail und über einzelne Aktivitäten, wirksam sowohl nach außen als auch nach innen. Der Konflikt liegt in den rassistisch strukturierten Gesellschaften sozusagen auf der Hand, auch wenn er in den Köpfen, das heißt strategisch, manchmal vernachlässigt wird. Auf der einen Seite profitieren die MigrantInnen hier von der Faktizität ihrer Existenz als permanente Infragestellung der nationalstaatlichen Regierungsmaßnahmen, auf der anderen Seite leiden sie unter der Abwesenheit von, für Angehörige des Nationalstaates selbstverständlich zugänglichen Machtpotentialen (z.B. Wahlrecht). Damit nimmt das politische Spiel einen anderen Charakter an, einer, dessen Charakteristika im Konflikt permanent neu entworfen werden muss. Ein Bereich der hohen Flexibilität und Anpassungsfähigkeit.
Der größte Handlungsbedarf liegt beim dritten Tätigkeitsfeld, zu dem sich aber viele AktivistInnen sehr hingezogen fühlen, bei der Allianzenbildung. Unter Allianzenbildung verstehe ich, einer Definition von »Open up« folgend, zumindest zeitweilige Parallelisierung von Interessen, um eine gemeinsame Stoßrichtung zu finden. Die Allianz ist umso kräftiger, je mehr Interessensfraktionen sich anschließen. An solchen Allianzen besteht nach wie vor ein Bedarf – auch, aber keineswegs nur in der leicht verdaulichen Form von Allianzen bezüglich der Vertretung der materiellen Interessen wie das im Sozialbereich der Fall ist. Zur Geltung kommt darin vor allem aber der Wunsch nach Parallelisierung der Interessen, um im Konflikt (inszeniert oder nicht) durch gemeinsames Auftreten Machteffekte zu bewirken. Doch diese sind bis jetzt nicht flächendeckend und großteils auf der Ebene der sowieso miteinander organisatorisch verwobenen minoritären politischen Subjekte versuchsweise angesiedelt. Das jahrelange Bemühen etwa, die Interessensvertretungen der ArbeiterInnenschaft in den antirassistischen Kampf einzugliedern oder zumindest dafür zu sensibilisieren, wirkte auf diese, solange sie ihre sichere Machtstellung als Sozialpartner eingenommen haben, eher irritierend, und die daraus resultierenden Aktivitäten auf diesem Gebiet sind auch nicht besonders beeindruckend. Erst in letzter Zeit konnte vielleicht ein Riss im Monolith ÖGB entstehen, verursacht durch die Entmachtung der Sozialpartnerschaft und das langsame Durchsickern der Notwendigkeit, gegen den Neoliberalismus nicht nur auf betrieblicher, sondern auch auf allgemein gesellschaftlicher Ebene und über die Grenzen hinweg, aufzutreten – symbolisch bedeutungsträchtig ist in diesem Zusammenhang der Zug nach Florenz zum Europäischen Sozialforum, der von der GPA finanziert wurde.
Innerhalb der Szene werden vorbildliche Rollen angestrebt, wie zum Beispiel die der Frauenbewegung. Die Lehren aber aus dem Erfolg der Frauenbewegung, die offenkundig waren, werden noch nicht gezogen, jedenfalls nicht in einem ausreichenden Ausmaß, um im Antirassismusbereich auch von einer Bewegung im vollen Sinn des Wortes zu sprechen. Die Frauen haben nicht aufgrund eines Listenplatzes in den Parteienhierarchien gehandelt, und dort, wo sie über einen solchen verfügen, zum Beispiel auf den Listen der etablierten Parteien (wie MigrantInnen auch), haben sie nachweislich wenig Erfolg. Ich brauche nicht zu betonen, dass die weiße, männliche »Elefantenrunde« im ORF anlässlich der letzten Nationalratswahlen am 24.11.2002, in der keine Frauen vorkamen, im österreichischen Staat nach wie vor die Normalität, an der sich der Mainstream orientiert, ist. Die Frauen haben eine beeindruckende Fülle an Diskursarbeit geleistet, sie haben sich Räume erobert und ihrer bis dahin verschwunden geglaubten Geschichte zu neuem Glanz verholfen. Eine Lehre, die antirassistische Szene daraus ziehen kann, ist die, dass ein minoritäres politisches Subjekt, das öffentlich eine Konfliktsituation inszeniert, entweder sehr rasch Erfolg hat, oder es wird ihn nicht haben, weil die größere Beharrlichkeit ermöglichenden Machtpotenziale auf der anderen Seite liegen.
Die aus der feministischen Politik zu ziehende Lehre ist das Aufgreifen von Chancen, die sich aus dem zunehmenden Informationsfluss gepaart mit einer verstärkten Differenzierung dessen, was Öffentlichkeit genannt wird, ergeben. Echte Verschiebungen der Machtstellungen spielen sich sowohl hinter als auch vor den Kulissen als zähe Auseinandersetzungen ab, wo der mediale Mainstream nur eine mögliche druckausübende Alternative darstellt. Erst in einer vergleichsweise fortgeschrittenen Phase kommen formale Aktivitäten, und für die letzten Meter der Konsensfindung im politischen Feld geht es nicht ohne die Unterstützung der Parteien oder zumindest der Interessensvertretungen. Dass auch das scheitern kann, beweist die teilweise Aushöhlung der Frauenbewegung durch finanzielle Abhängigkeitsverhältnisse, symbolische Repräsentanz und Durchsetzung des Begriffes Gender Mainstreaming. Darüber können die Frauenaktivistinnen viel mehr als ich sagen. Meiners ist hier nur darauf hinzuweisen, dass es Lehren gibt, dass die Vergleiche möglich sind und dass ein Bewusstsein des Gemeinsamen, nämlich den vom nationalstaatlichen Gebilde verursachten Ausschluss zu bekämpfen, eine wünschenswerte Perspektive darstellt.
Eine Strategie der Allianzenbildung der Antirassismus-Szene im österreichischen Staat müsste von zwei Bereichen ausgehen. Einem, von dem aus ganz bestimmte Problemfelder des Rassismus innerhalb der nationalstaatlichen Gebilde analysiert werden, und einem anderen, in dem vor allem personelle und andere Ressourcen, die von den Gruppen innerhalb der rassistischen Problemfelder eingesetzt werden, Thema sind. Das Instrumentarium für eine solche Arbeit wäre vorhanden. Es gibt EQUAL-Projekte seitens der EU in Österreich, die dezidiert antirassistische Maßnahmen im Bereich Diskriminierung am Arbeitsmarkt entwickeln. Diese könnten die Infrastruktur für einige der oben erwähnten Schwerpunkte der antirassistischen Arbeit zur Verfügung stellen. Es gibt das wachsende Bewusstsein der MigrantInnen und ihrer AktivistInnen, das es nicht um Toleranz oder um gegenseitige, welche auch immer, Bereicherung geht, sondern um Gleichheit, und es gibt die MigrantInnen auf den Listen der politischen Parteien, die nur zu gerne wissen möchten, was – außer der scheinbaren Repräsentation der Nicht-Repräsentierbaren – von ihnen erwartet wird.
Wir werden selber sehen, wie sich die nationalstaatlichen Strukturen weiter entwickeln werden. Gewisse Dinge müssen erledigt werden, sonst könnten die Vorstellungen der Antirassismuspolitik im österreichischen Staat so ineffektiv und so geschwätzig, moralisierend, atomisierend, tolerant und behindernd triumphierend zurückkehren, genau so, wie es in den 1990er Jahren auf den Fahnen von vielen der so genannten NGOs geschrieben stand.


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