» Texte / Das Privateigentum und dessen Versprechen hinterfragen

Tobias Kubitza


Seitdem die Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen rasant zunehmende Popularität unter MieterInnen und entsprechende Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erfährt, wehrt sich die Gegenseite mit allerlei rhetorischem Geschütz gegen das Vorhaben. An diesem Punkt setzt Sabine Nuss mit Keine Enteignung ist auch keine Lösung an und stellt die Wohnungsfrage in Zusammenhang mit aktuellen Kämpfen, wie jene um das Urheberrecht, dessen verbindendes Element die Infragestellung der bestehenden Eigentumsverhältnisse ist. Der Polemik entgegen setzt sie eine fundierte materialistische Analyse über die historische Genese des Privateigentums, dessen Funktion für die kapitalistische Produktionsweise sowie die darin inbegriffene Ideologie. Ziel des Buches ist es, den Begriff des Privateigentums – im kapitalistisch-modernen Verständnis als exklusive Verfügungsmacht definiert – zu entmystifizieren. Dies gelingt Nuss dank anschaulicher historischer und aktueller Beispiele und eines lockeren Schreibstils auf eine beeindruckend zugängliche Weise auf knapp 130 Seiten. Die Annahmen und Versprechen des Privateigentums werden im Detail dargelegt und dekonstruiert. Dabei verweist die Autorin immer wieder darauf, dass die Wirkmächtigkeit von Ideologie durch die Plausibilität im Alltagsverstand entfaltet wird. Zugleich zeigt sie auf, wie das Versprechen auf Wachs-tum, Wohlstand und Freiheit die notwendige Kehrseite – die Ausbeutung der Arbeitskraft, die Verursachung sozialer Ungleichheiten und die Exploitation natürlicher Ressourcen – strukturell ausblendet. Die Kritik wird anhand zentraler Marxscher Begriffe sukzessive entwickelt. Während die Charakteristik geistigen Eigentums kurz erläutert wird und ausführlicher in ihrem Buch Copyright & Copyriot nachzulesen ist, fehlt dagegen etwas überraschend ein Verweis auf die Spezifik von Grund und Boden (Stichwort: Grundrente).
        Eine Stärke der herausgearbeiteten Position ist, dass die Illusionen, die bestehenden Probleme über den Markt oder über den Staat zu lösen, mit der vorgelegten Argumentation überzeugend widerlegt werden können. Es bedarf in Konsequenz nicht nur einer grundlegenden (Neu-)Ausrichtung auf ein nicht-profitorientiertes Wirtschaften, sondern auch eine radikale Demokratisierung und Neugestaltung der Entscheidungsprozesse über die Produktion und Verteilung von Gütern. Letzterer Aspekt sollte zukünftig auch in den Diskussionen um die Wohnungsfrage stärker in den Vordergrund gestellt werden.
        Was eine auf gemeinschaftlichem Eigentum basierende Gesellschaft kennzeichnet, warum diese erstrebenswert ist und welche möglichen Schritte dafür notwendig sind, umreißt Sabine Nuss im letzten Kapitel. Die Etablierung des modernen Privateigentums begreift sie in Anlehnung an Marx’ ursprüngliche Akkumulation als spezifisch historischen Prozess der sozialen Enteignung. Diesen gelte es rückgängig zu machen. Die als große Wiederaneignung bezeichnete Zielsetzung wirkt für sich stehend irritierend, ist damit eben nicht eine erhoffte Rückkehr in vorkapitalistische Verhältnisse gemeint. Entgegen des kapitalistischen Konkurrenzprinzips ist die Essenz der skizzierten kooperativen Ökonomie der Aufbau von sozialen Beziehungen, welche die Verfügung über die Produktionsmittel und Arbeitsprozesse neu koordinieren.
        Um dies zu erreichen, bedürfe es all jener und vieler weiterer Kämpfe und alternativen Experimente der kleinen Wiederaneignung, die unter den bestehenden Verhältnissen immer wieder an ihre Grenzen stoßen. Sehr vage bleibt jedoch, wie der Schritt von der kleinen zur großen Wiederaneignung gelingen kann. Dabei scheinen Bedenken über eine (baldige) Realisierbarkeit angesichts der strukturellen Zwänge und der Wirkmächtigkeit der Versprechen immer wieder durch. Dennoch hinterlässt die Lektüre kein erdrückendes Ohnmachtsgefühl, sondern regt dazu an, gesellschaftliche Auseinandersetzungen um das Privateigentum auf verschiedenen Ebenen wieder verstärkt zu führen.


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