Andrea Domesle


Die von der Direktorin Stella Rollig kuratierte Ausstellung Matt Mullican: model architecture im Lentos Kunstmuseum Linz konzentriert sich auf Mullicans Arbeiten von den späten achtziger Jahren bis heute und den damit verbundenen Begriff des Modells. Sie berührt damit den zentralen Ansatz des 1951 in Santa Monica (Kalifornien) geborenen und international bekannten Konzeptkünstlers, der mit einer Vielfalt von Werkformen – Objekte, Leuchtkästen, Computeranimationen, Collagen, Zeichnungen, Videos, Performances, Vorträge – arbeitet und diese auch in Linz präsentierte.

Modelle dienen allgemein zur Visualisierung von Vorstellungen und Ideen. Für Mullican sind seine einzelnen Arbeiten insofern „Modelle“, als es ihm um nichts Geringeres geht als das Universum darzustellen. Ein großes, fast unvorstellbares Vorhaben, das sich heute kaum jemand mehr in Angriff zu nehmen traut! Doch anders die Konzeptkunst der ersten Generation. Matt Mullican hat Zuordnungssysteme entwickelt, innerhalb derer er die Beziehung eines einzelnen Menschen zur Welt in fünf Kategorien einteilt: reine Materie, die Gegenstandswelt, die kreativen Kräfte, die Welt der Zeichen und Begriffe sowie die geistige Aktivität. Diesen ordnet er die Farben Grün, Blau, Gelb, Rot sowie Schwarz oder Weiß zu. Dies klingt nun sehr abstrakt und komplex, ist jedoch gleichzeitig einfach und anschaulich. Der Künstler schafft nämlich den Spagat zwischen der individuellen Sichtweise, dem Beispiel und dem Großen und Ganzen.

Doch was passiert nun, wenn eine ganze Ausstellung durch den Titel quasi als Modell ausgewiesen ist? Schon bei Mullicans raumfüllenden Installationen anlässlich der documentas 9 und X in Kassel 1992 bzw. 1997 wurde deutlich, dass die gesamte Installation Modellcharakter trägt. In Linz hat er die Idee des Modells noch einmal räumlich potenziert: In der Mitte des Ausstellungsraums befindet sich eine riesige, neu geschaffene Installation „Learning from that person’s work“. Auf zahlreichen herabhängenden Tüchern findet man – neben abstrakten Beschriftungen wie Ziffern, Strichen oder gestischer Malerei oder Videos – Hinweise zu einfachem Essen, zum Kochen und Trinken, zur Liebe, zu Schlagern. Hier sind persönliche Gefühlsäußerungen und Vorlieben – bestimmte Gerichte oder der Kaffee – ins übergreifende System integriert. Die Aufschriften und Kürzel sind in Trance durch den Künstler selbst gesetzt worden. Doch egal wer spricht, der Künstler oder eine andere Person: Deutlich wird, dass das individuell Empfundene kollektiv wiederholbar und nur einer der Bestandteile ist. Die sprechende Person hat Stellvertreterfunktion. Diese Ergründung der Welt aus persönlicher Sicht, die sich gleichzeitig durch kollektive Erfahrung relativiert, hat auch Platz für Selbstironie und Witz: „They look like real professional art, haha“ steht auf einem der Laken, „I love to work for truth and beauty“ auf einem anderen. Ironische Statements zur Kunst werden mit Sprüchen aus dem Alltag verbunden (siehe das „Fuck it / Fuck you“-Laken). Allein durch die modellhafte Anordnung wird das Disparate zusammengehalten. Die labyrinthartige Installation schluckt die darin umherschweifenden BesucherInnen.

Die Setzung obiger Rauminstallation wird von den anderen, davor und danach positionierten kleineren bis Raum füllenden Arbeiten in der Anordnung anhand von Raumlinien aufgegriffen. Dadurch geschieht auf praktische Weise das, was der Titel verspricht: „Learning from that person’s work“. Auch die anderen Exponate werden unweigerlich dem Modellsystem zugeteilt. Mullicans Linzer „Universum“ präsentiert sich somit ähnlich einem Baukasten-Schachtel-System, bei dem die einzelnen Bausteine von einer übergeordneten Regel bestimmt sind und diese sich aus dem Einzelnen konstituiert.

Wie funktioniert darin Mullicans hochkomplexe Symbolsprache? Die Symbolsprache besagt in verkürzter Form: reine Materie = grün, die ungerahmte Welt = blau, die gerahmte Welt, Dinge mit besonderer Bedeutung = gelb, Sprache, Zeichen = schwarz, weiß, das Subjektive, Weltanschauung = rot. Diesem abstrakten System stellt der Künstler auch in vielen anderen Arbeiten Verweise zum Diesseitigen, sei es visuell oder per Text, gegenüber, um durch den Kontrast eine ästhetisch-inhaltliche Spannung zu erzeugen. Wenn jedoch die Modelleigenschaft so wie in Linz dominiert, wird verhindert, dass die konkreten Bezüge eine Aussagekraft entfalten. Sie werden förmlich vom Modell eingemauert. Das zitierte historische Ereignis, die individuelle Äußerung verlieren ihren Provokationscharakter, da sie von vornherein dem Theoriegebäude zugeordnet werden.

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Ausstellung
Matt Mullican
model architecture
Lentos Kunstmuseum Linz
21. 10. 2005–19. 02. 2006

Ein Ausstellungskatalog erscheint im Juli 2006 im Hatje Cantz Verlag.


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