Manfred Russo

Manfred Russo ist Kultursoziologe und Stadtforscher in Wien.


Richard Sennett hat mit dem im letzten Jahr erschienenen Handwerk (Berlin Verlag) ein Buch vorgelegt, das in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert ist. Zum einen erfolgt erstmals ein „outing“ in Form einer Selbstzuordnung zum Pragmatismus, einer philosophischen Haltung, die in Amerika beheimatet, aber im europäischen Denken wenig verankert ist. Zum anderen bedeutet das inhaltlich für Sennett einen expliziten Wechsel von seiner bisherigen Haltung als Schüler Hannah Arendts in Richtung einer theoretischen Attitude, die, zumindest im Falle dieses Buches, von klassischen pragmatischen Denkern wie John Dewey primär beeinflusst ist. Sennett möchte auch explizit die Position Arendts[1] zur Arbeit reformulieren und neu aufwerten, um für eine andere Form materieller Kultur zu plädieren.

Das „animal laborans ist der Mensch als Lasttier, als ein zu Routinetätigkeiten verdammter Kuli“, während bei Arendt das Herstellen immerhin eine Weltgestaltung über Objekte erlaubt. Sennett möchte dies e beiden Kategorien der Arbeit und des Herstellens wieder zusammenlegen, weil die Trennung eine „Zerlegung des praktisch tätigen Menschen“ bedeutet. Die extrem anspruchsvolle Handlungstheorie Arendts mit ihrer Missachtung der einfachen Arbeit wurde immer auch schon kritisch betrachtet, doch Sennett legt nun ein Gegenmodell vor, das eine pragmatische Aufwertung dieser Tätigkeit im Sinne einer Verminderung der Zweckrationalität enthält.

Der Pragmatismus zeichnet sich durch die Bestreitung eines Zweck-Mittel-Schemas der Handlung aus. Weil sich zwischen Zielen und Ergebnissen ohnehin nie Übereinstimmung erzielen lässt, sollte man gleich auf ein rein teleologisches Schema verzichten. Anstelle eines abstrakten Plans, der auf eine rein technische Lösung abzielt, ohne die Realität mit einzubeziehen, sollte man im Sinne John Deweys eher in Begriffen von Lösung und Finden von Problemen, Technik und Ausdruck oder Spiel und Arbeit denken. Das bedeutet beim Handwerk für Sennett auch eine Wiedervereinigung von Hand und Kopf bzw. auch von Handwerk und Lebensführung, Handwerk und Gemeinschaft, wie sie schon im 19. Jahrhundert von Künstlergruppen vorgelebt wurde.

Sennett möchte hier eine strikte Unterscheidung zum rein instrumentellen Denken und zur Rationalisierung des Produktionsprozesses setzen, indem er für das Modell des Handwerks auch im Sinne eines generellen Handlungsschemas plädiert. So etwas kann natürlich auch Missverständnisse erzeugen, indem einige Kritiker diesen Ansatz in einer fortgeschrittenen industrialisierten Welt als romantisches Idyll bezeichnen. Nun ist es in der Tat schwer vorstellbar, dass in unserer hochindustrialisierten Gesellschaft ein nicht instrumentelles Handeln überhaupt noch möglich ist. Andererseits weiß Sennett als jemand, der zahlreiche Untersuchungen zur Arbeitswelt durchgeführt und über den „flexiblen Menschen“ geschrieben hat, das auch selbst und sucht daher nach Auswegen, die eben ein nicht-instrumentelles Modell der Arbeit bieten, auch wenn es uns in der zweckrational durchorganisierten Welt etwas unrealistisch scheint.

Handwerk ist so etwas wie eine Auseinandersetzung zwischen Welt und Körper, in der es ein ständiges Feedback des Objektes gibt. Moderne Technik hingegen bevorzugt Pläne, die wenig auf unmittelbare Erfahrung halten, weil das die Realisierung des Plans erschweren würde. In der Architektur können durch CAD Megaprojekte simuliert werden, die sich nach der Fertigstellung als misslungen herausstellen, weil sie den Ort nicht studiert hatten. In der Stadtplanung kann eine Überdeterminierung des Ortes zu Fehleinschätzungen führen, denen nur durch aktive Mehrdeutigkeit zu begegnen ist. Auch Österreich ist im großen Kulturbogen enthalten: Ein Vergleich zwischen dem Haus Moller von Loos und dem Haus in der Kundmanngass e von Wittgenstein endet daher zugunsten von Loos, weil dieser eher spielerisch vorging und viel Zeit am Bauort verbrachte, während Wittgenstein obsessiv seinen Perfektionismus, den er auch im Tractatus verfolgte, auf das Haus anwandte, was zu einer gewissermaßen neurotisch inspirierten Schönheit führte. Nur der Handwerker kann sich durch den ständigen Widerstand des Materials auf die Welt einlassen und auf sie in einer Weis e Bezug nehmen, die auch Mehrdeutigkeit zulässt. Dieser Handwerker, der in der englischen Originalfassung als craftsman bezeichnet wird und damit sinngemäß zwischen Handwerker und Künstler steht (aber nicht Kunsthandwerker ist), ist eher ein Begriff für eine bestimmte Arbeitshaltung und kann in allen Bereichen und Zweigen des Berufs lebens wirksam sein.

Nun wäre Sennett nicht Sennett, hätte er seine Theorie nicht mit einer umfassenden Kulturgeschichte des Handwerks verbunden, die von der Töpferei und dem Ziegel über Diderots Enzyklopädie bis hin zu Strategien in der HIV-Forschung reicht, also den Bogen von der Antike bis zur Gegenwart spannt und damit auch zahlreiche LeserInnen ohne gesteigertes sozialphilosophisches Interesse anspricht. Vielleicht ließe sich die richtige Arbeitshaltung des Handwerkers/der Handwerkerin mit einem schönen Satz Sennetts beschreiben: Man muss die Metamorphosen im Objekt zulassen können.


  1. Arendt unterschied ja bekanntlich in ihrem Handlungsbegriff drei Formen von Tätigkeiten: Arbeiten, Herstellen und Handeln, wobei sie eine an den Werten der Antike orientierte Hierarchie aufstellte, in der die Arbeit unten rangierte, weil sie nur nach ihrer Fähigkeit der Unterhaltung des menschliche Lebens und der biologischen Bedürfnisse der Konsumtion und Reproduktion beurteilt wird. Die zweite Stufe des Herstellens wird nach der Eignung zur Gestaltung und Errichtung einer Welt beurteilt, die aber im Gegensatz zur Mühe der Arbeit dem menschlichen Gebrauch und der damit verbundenen Freude entspricht. Erst das Handeln, das der antiken Tätigkeit auf der Polis als der höchsten Stufe des Seins entspricht, wird nach seiner Fähigkeit zur Selbstpreisgabe, Selbstenthüllung der Identität beurteilt und verleiht unserer Existenz erst Sinn und Würde. Arbeit ist für das animal laborans durch eine Einspannung in den mühevollen Prozess ohne Anfang und Ende charakterisiert, während Herstellen durch den homo faber immerhin ein konkretes Werk als das sichtbare Ergebnis der Bemühungen vorweisen kann. (Hannah Arendt (1967): Vita activa oder vom tätigen Leben. München: Piper) ↩︎


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