Maria Welzig


Plötzlich geht man selber mit diesem Blick durch die Stadt: Wie eine Streetstyle-Bloggerin auf Entdeckungsreise nach Leuten, die sich unterscheiden – durch die Aussagekraft und Individualität ihrer Kleidung und durch ihre bewusste Selbst-Präsentation: „Hier bin ich. Ich zeige mich.“ Das Bild einer Stadt wird wesentlich durch die Kleidung, das Styling der AkteurInnen bestimmt. Jugendliche erkennen einander daran gar – und ziehen daraus Schlüsse über mögliche Freizeitbeschäftigungen und Ansichten zur Weltlage.

Den Anstoß zu dieser Bereicherung des Blicks gibt das Vienna Fashion Observatory – ein 2009 als Blog und Ausstellung initiiertes Projekt des „Produktionsbüros“ Liquid frontiers (Sabine Dreher, Christia­n Muhr). Das Quartier 21 des Wiener Museumsquartiers, das sich als Schauplatz für „digitale Kultur, Mode und Design“ definiert, lud das KuratorInnenteam ein, den Freiraum Quartier 21 zum Thema Mode zu bespielen. „Wir wollten nichts Affirmatives machen“. Das würde auch nicht zur bisherigen Arbeit von Liquid frontiers passen. Ihre Produktionen in den Bereichen digitale Medien, Grafik, Design, Kunst und Architektur zeichnen sich durch ein breites Spektrum der Herangehensweise aus, durch ein Gespür dafür, was in der Luft liegt – immer gefiltert durch kritische Reflexion.

Die klassische Modeszene wurde in den letzten Jahren durch das Internet auf den Kopf gestellt. Modeblogs, in denen unabhängige Fashion-Addicts tagebuchartig ihre persönlichen Ansichten zu ihrem Thema Nr. 1 öffentlich machen, sind mittlerweile ein wesentlicher und umworbener Faktor der Modebranche. Einen erweiterten, kritischen Blick bringen die Streetstyle-Blogger ein, die den Kontext zwischen Mode, normalen Menschen und Stadt herstellen.

Das Vienna Fashion Observatory zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass es unterschiedliche Sichtweisen offeriert: Dreher/Muhr luden 21 maßgebliche FotografInnen, KünstlerInnen und ModebloggerInnen zum Teil als Artists in Residence nach Wien, die mit dem Blick des Flaneurs durch die Stadt streiften. Wobei Mary Scherpe, bekannte Bloggerin aus Berlin, mit Klischee-Erwartungen aufräumt: „Streetstyleblogs sind nie demokratisch, auch nicht fair. Die sind subjektiv, inszeniert ... Es ist authentisch, weil es das ist, was ich gesehen hab, aber es repräsentiert sicherlich nicht den Durchschnitt von Wien oder ein authentisches Straßenbild von Wien. Ich glaube, das gibt’s auch nicht und das ist auch vorbei, dass man sich darüber Gedanken macht. Dokumentarfotografie – da glaubt ja eh keiner mehr dran.“[1]

The Vienna Fashion Observatory ist ein Zusammenspiel von Mode, Fotografie, Stadt und gelungenem Webdesign (L­on­­do­n­­­­wie­n), das einen mit Vergnügen eintauchen lässt – und zwanglos weiter führt mitten in die Strukturen der Stadt; denn der auf Basis der Wiener Stadtkarte und einer Gliederung nach Bezirken aufgebaute Blog gibt auch Aufschlüsse über die Relationen zwischen Bildungsniveau, Einkommen, politischer Mandatsverteilung, H&M-Filialen und von den Street-Models getragenen Marken.

Wobei sich aber nur wenige der geladenen TeilnehmerInnen die Mühe machten, sich außerhalb der engen Wiener Kulturszen­e-Vierteln zu bewegen, und sich offenbar auch einige um den aufwendigen und entscheidenden Moment der Interaktion mit einem unbekannten Street-Model drückten. Die Entscheidung von Liquid frontiers für das Medium Blog füllte eine Lücke in der Wiener Modeszene, brachte Reichweite und Vernetzung; trägt der Entwicklung Rechnung, dass sich zeitgenössische urbane Kultur wesentlich in internationalen Communities – mit der Kommunikationsbasis Internet – abspielt. Die Erstellung eines Blogs – zusätzlich zur Ausstellung im Freiraum – war auch angesichts der Situation des Quartier 21 eine sehr richtige Entscheidung. Das Quartier 21 – dunkle, schlecht gelüftete Gänge und Raumreste der ehemaligen Hofstallungen, die auch durch die übergestülpten Brand-Namen, wie Electric Avenue oder Trans­europa, nicht mehr Flair erhalten; Eingezwängt in architektonische Leerräume und zwischen Souveniershops, ausgestattet mit minimalen Budgets, teilen sich hier Wiens VertreterInnen aus den Bereichen „digitale Kultur, Mode und Design“ die Quadratzentimeter.

Mode kommt in ihrer Verkaufbarkeit den derzeitigen Förder-Stoßrichtungen der öffentlichen Hand entgegen. Im Sinn einer Belebung des Bildes der Wiener Modeszen­e müsste es möglich sein, dass eine Initiativ­e wie das Vienna Fashion Observatory – das nun als statische Website besteht – weiter geführt wird. Denn warum soll es in so gut wie jeder Stadt – von St. Petersburg über Tallinn bis Zürich einen streetstyle blog geben – nur in Wien nicht?

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Blog und Ausstellung
The Vienna Fashion Observatory
kuratiert von Liquid frontier
Freiraum / quartier 21
17. 7. - 20. 9. 2009
www.theviennafashionobservatory.com


  1. Mary Scherpe im Interview mit Gerlind­e Lang, 22.7.2009, http://fm4.orf.at/stories/1620778/?page=2fm4 ↩︎


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