» Texte / Der Kunst ihre Forschung in der ihr eigenen Zeit

Elke Krasny

Elke Krasny ist Kuratorin, Stadtforscherin und Professorin für Kunst und Bildung an der Akademie der bildenden Künste Wien.


Mobil, flexibel, international: das sind die schmückenden Beiwörter, die sich der kapitale Umbauprozess der europäischen Universitäten auf die grenzüberschreitenden Fahnen geheftet hat. Im Jahr 1998 feierte die ehrwürdige Sorbonne ihren 800. Geburtstag, Anlass für die Bildungsminister aus Frankreich, Deutschland, Italien und dem United Kingdom, eine Europäisierung der Hochschulen einzuleiten. Aus der Sorbonne-Deklaration wurde dann im Jahr darauf die wesentlich bekanntere Bologna-Deklaration. Im Jahr 1999 wurde sie von 29 europäischen Nationen unterzeichnet mit dem deklarierten Ziel, bis 2010 einen gemeinsamen Hochschul- und Wissensproduktionsraum zu schaffen. Heute sind bereits 46 Länder Teil dieses radikalen bildungspolitischen Umbauprozesses, der die Einführung eines gestuften Bachelor- und Masterprogramms, das europaweit vergleichbare Abschlüsse hervorbringen soll, zum Ziel hat. Frei flottierend sollen die Körper von WissenschaftlerInnen und Studierenden in austauschenden Prozessen mehrere Bildungsinstitutionen durchlaufen, die Ergebnisse der Ausbildung als Zertifikate europaweit Geltung haben. Soweit zum bildungspolitischen und aktuellen Kontext von A Portrait of the Artist as a Researcher. The Academy and the Bologna Process.

Radikaler Umbau der Vorstellungen und Wirkungen von Lehre, Lernen und Forschen im streng geschürzten und eng geschnittenen neoliberalen Outfit führte zu einer Serie von Projekten, die alle Teil von Dieter Lesages Rechercheprojekt Re_RESEARCH, anberaumt von 2006 bis 2008, des Institute for Drama and Audiovisual Arts der Erasmushogeschool Brussel sind. Die grenzüberschreitende Arbeitsweise des Projekts zeigt sich als Spiegelung des Reflexionsprozesses über die Strukturen, in denen es sich bewegt und die der Prozess als ortsspezifische kritsche Hinterfragung mit in diesen Prozess involvierten und beteiligten Hochschullehrenden, KünstlerInnen und TheoretikerInnen betreibt. An der Leuphana Universität Lüneburg organisierte der belgische Philosoph Dieter Lesage gemeinsam mit der Kulturtheoretikerin Kathrin Busch die Konferenz Verflechtungen zwischen künstlerischer und kulturwissenschaftlicher Forschung, die im Mai 2007 stattfand. Darauf folgte die zweite Konferenz Künstlerische Forschung und der Bologna Prozess, den Lesage gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Sabeth Buchmann an der Akademie der bildenden Künste in Wien organisierte. In den Sommermonaten Juli und August folgte dann die Ausstellung A Portrait of the Arist as a Researcher im Freiraum quartier 21 im Museumsquartier in Wien, die Lesage gemeinsam mit der Künstlerin und DJ Ina Wudtke kuratierte. Die Theorie-Praxen und Recherchepraxen verbindende und vorstellende Publikation erschien als Nr. 179 des belgischen Magazins AS – a visual culture quarterly, die das Museum van Hedendaagse Kunst in Antwerpen herausgibt.

Wenn Forschung eine künstlerische Praxis ist, und dies ist unübersehbar, unbestritten und vielgestaltig öffentlicher wie individuierter Fall, dann stellt sich die Frage, in welchen Unterschieden zu wissenschaftlicher Methodik und Reflexion künstlerisches Forschen sich selbst stark machen kann. In der Entwicklung einer eigenständigen Praxis entsteht ein Raum der Forschung, der sich fern von akademiegängigen Normierungen und marktkonformen Effizienzkriterien in Forschungsergebnissen aufzuspannen sucht.

Jedoch – die zur Selbstverständlichkeit gewordenen Überwachungskameras im öffentlichen Raum finden ihre ebenso geläufig gewordene selbst-kontrollierende Entsprechung in der rasant um sich greifenden Evaluierungseuphorie. Kaum hat ein Projekt begonnen, ist schon der begleitende Evaluierungsprozess zur Stelle. Schon sieht man den Tag kommen, da die Evaluierung bereits vor Projektbeginn begonnen haben wird. Doch damit sich eine Praxis künstlerischer Forschung als eigenständige Forschungtsätigkeit entwickeln kann, muss zugleich die Korsettierung einer alles absorbierenden Wissens- und Informationsgesellschaft, die jede Erkenntnis schnellstens in geländegängige und marktgeschmeidige Ware umsetzt, durchbrochen werden, der Zwang zur Sofortevaluierung blockiert, außer Kraft gesetzt werden. Das Neue ja, aber nicht um den Preis der Ökonomisierbarkeit. Um diese Fragen von Institutionenkritik, Recherchepraxis, Selbstreflexion und Wissensproduktion zirkulieren die Beiträge von Dieter Lesage, Herman Asselberghs, Elke Bippus, Sabeth Buchmann, Kathrin Busch, Hans-Christian Dany, Jan de Pauw, Diedrich Diederichsen, Stephan Dillemuth, Mika Hannula, Eva Meyer, Eran Schaerf, Stephan Schmidt-Wulffen, Felicitas Thun-Hohenstein, Klaas Tindemans, Beatrice von Bismarck und Ulf Wuggenig.

In diese Kontexte stellt Marion von Osten das Projekt < Reformpause >, das sie gemeinsam mit Studierenden in Lüneburg realisierte, als Recherche in die Geschichte der Bildungsreformen seit den 1960er Jahren und als Frageaufwerfung der Rhetoriken und Vokabeln, mit denen heute Bildungspolitik gemacht wird. Die Form der Recherche mündete in Plakate, Pausenkino und Diskussionen. Ina Wudtke zeigt ihre fotografische Recherche einstiger großer öffentlicher jüdischer Institutionen in Berlin und der heutigen Bebauung sowie Nutzung am jeweiligen Standort. Ihre Arbeit heißt Gaps in Berlin. Lässt man sich von diesem Titel leiten, so bleibt als Ausblick zu formulieren, dass sich über künstlerische Recherche die Lücken nicht schließen, sondern öffnen, weit genug, um die Auseinandersetzung voranzutreiben, um Bildung als Prozess zu begreifen und nicht als effizientes Häppchenbuffet vorabgeschmeckter modularisierter Bildungsangebote. Recherche, Forschung, ohne den Zwang der Anwendung, das erscheint als zur Utopie gewendete Bildungsressource am Horizont künstlerischer Recherchepraxis und fordert die realen Umstände vehement heraus. Die Lektüre hat begonnen!


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