» Texte / Deutschland und Vietnam über den Verkehr in der Stadt von morgen

Philipp Brugner


Im Buch Auf dem Weg zu nachhaltigen städtischen Transportsystemen. Ein deutsch-vietnamesischer Dialog über die Zukunft der Stadt und die Stadt der Zukunft wird danach gefragt, wie Städte heute organisiert sein müssten, damit es dort morgen noch lebenswerte Bedingungen gibt. Die HerausgeberInnen Hans-Heinrich Bass, Christine Biehler und Ly Huy Tuan sammeln in ihrem Buch sehr unterschiedliche Texte zu ein- und demselben Erkenntnisinteresse: Wie sieht die Zukunft der Städte aus verkehrsplanerischer Sicht aus?

Der erste Teil, genannt „Vietnamesische Perspektiven“, bringt Expertisen zu den größten städtischen Agglomerationen Vietnams (Ho-Chi-Minh-Stadt, Hanoi, Can Tho, Hai Phong und Da Nang) zusammen. Schnell werden dabei auch die dringlichsten Probleme, vor denen diese Städte in verkehrstechnischer Hinsicht stehen, klar. Zum einen erlebt Vietnam heute ein rasantes Städtewachstum, das der Verbesserung der sozialökonomischen Situation vieler VietnamesInnen geschuldet ist. Mit der Verbesserung der Lebenssituation geht die Zunahme persönlicher Ansprüche einher. Immer mehr Menschen wollen in die Stadt, und in der Stadt wollen sie ein Auto oder Moped. Vietnam wird als die führende Moped-Nation weltweit beschrieben, was sich u. a. in zum Alltag gewordenen kilometerlangen Mopedstaus zeigt. Tu Sy Sua führt an, dass sich das nicht wesentlich ändern wird. Eher im Gegenteil, bis 2030 würden bereits 40 Prozent der VietnamesInnen in Städten leben, was die Anforderungen an die jetzt schon völlig unzureichenden Transportkapazitäten rasch zunehmen lasse. Gleichzeitig besitzt Vietnam keinen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr, was auf jahrelange Defizite im Planungsprozess sowie im Management des Transportwesens zurückzuführen ist.

In der Forderung nach einem Masterplan für die völlige Neuaufstellung eines nachhaltigen städtischen Transportsystems sind sich die AutorInnen einig. Notwendig dafür ist nicht weniger als die Implementierung von Verkehrsentwicklungs-Strategien als Leitfaden für eine langfristige Kommunalpolitik sowie eine Verbesserung sämtlicher den öffentlichen Transport betreffender Bereiche (Infrastruktur, Marketing, Fahrgastservice, Ausstattung der Transportmittel, Anpassung des Preisniveaus usw.). Im zweiten Kapitel „Deutsche Perspektiven“ wird darauf hingewiesen, dass die ubiquitäre Verfügbarkeit von Straßen, gepaart mit der Nicht-Verfügbarkeit eines ausreichend dichten ÖPNV(Öffentlicher Personennahverkehr)-Netzes, eine der Hauptursachen für die Zersiedelung am Rande der deutschen Großstädte war und ist. Die (Verkehrsplanungs-)Katze beißt sich also selbst in den Schwanz: Menschen, die am Rande und außerhalb der Stadt wohnen, fahren mit dem Auto zur Arbeit, weil es bei gleichzeitig unzureichender Anbindung durch die öffentlichen Verkehrsmittel quasi eine Überall-Verfügbarkeit von Straßen gibt, was wiederum das Resultat einer jahrzehntelang Auto-zentrierten Verkehrspolitik ist. So wird es in Deutschland in den nächsten Jahren vor allem darum gehen, die städtischen Randgebiete effektiv an zwei Pole anzubinden – den städtischen sowie den regionalen öffentlichen Nahverkehr. Weg von vietnamesischen und deutschen Bestandsaufnahmen, geht es in Kapitel drei und vier um Problemanalysen und deren praktische Lösungen. International werden z. B. die Städte Hamburg – Hanoi – Helsinki und deren nachhaltige Raum- und Siedlungsentwicklung verglichen. Interessant ist auch der ideengeschichtliche Abriss verschiedener Konzepte zur „utopischen Stadt“, bei dem der Bogen von den ersten Stadtstaaten bis hin zu Masdar City, dem seit 2008 laufenden Öko-Stadtbauprojekt in den Vereinigten Arabischen Emiraten, gespannt wird. Der Schluss des Buches bringt die LeserInnen noch einmal an den Anfang und die Notwendigkeit einer massiven Professionalisierung des öffentlichen Verkehrs in allen Bereichen. Diese Botschaft sitzt und sollte als verbindlicher Beitrag zur Diskussion über die Zukunft (nicht nur) vietnamesischer Städte gelten.


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