Udo W. Häberlin

Udo W. Häberlin studierte Stadt- und Raumplanung u. a. bei Detlef Ipsen, Ulla Terlinden und Lucius Burckhardt in Kassel. Er arbeitet bei der Stadt Wien, Abteilung Stadtplanung und -entwicklung.


Wer in Paris, Barcelona, Wien oder München lebt, ist Dichte gewöhnt. Was wollen uns die HelvetierInnen mit ihrer Ausstellung über dieses globales Thema im Großstadtidyll Basel noch Neues präsentieren? Der Titel der Ausstellung Dichtelust, die derzeit in Basel zu sehen ist, weist auf ein Gefühl hin: Trotzdem geht es um den Versuch, das Phänomen Urbanität objektiv zu erklären. Denkt man an die Schweiz, fallen einem sogleich uralte Städtchen, ein vorbildlicher Ansatz von Agglomerationspolitik, Expertise im öffentlichen Verkehr und nicht zuletzt ein kompetenter Journalismus ein; jedoch auch ein Land, in dem man das Image einer bäuerlichen Identität sowie der alpinen Natur etwas strapaziert. Der Ausstellungskatalog verspricht: »In Dichtelust geht es darum, die psychologischen Aspekte von Dichte zu thematisieren und zu zeigen, was dieser Begriff eigentlich bedeutet: eine sinnvolle Ausnutzung der bebaubaren Fläche.« Dichtestress hingegen ist ein trendiges Schlagwort der Schweizer Boulevardmedien. Es wird als Argument im Einwanderunsgsdiskurs verwendet und ist ein Paradebeispiel für die Technik des Framing. Der Begriff wird gerne politisch-ideologisch strapaziert: von der Kritik gegen die städtischen Zustände während der Industrialisierungsepoche, der 
sozialreformerischen Aufklärung bis hin zu Das-Boot-ist-voll-Ideologien.
Städtische Urbanität setzt nicht nur eine dichte Bebauung (egal ob Ausnützungsziffer, Überbauungszahl, Geschossflächenzahl …), die mit Bevölkerungsdichte einhergeht, voraus, sondern beispielsweise auch eine hohe Wege- und Frequenzdichte an Verkehrsknotenpunkten. Diese erhöhen die Belebung und damit die Ereignis- oder Gelegenheitsdichte. Dadurch werden das soziale Zusammentreffen und der Austausch – also die Interaktionsdichte – gefördert. Wenn solch ein Ort historisch bedeutsam ist oder besonderen ästhetischen Ansprüchen oder soziokulturellen Qualitäten genügt, kommt noch eine Identifikationsdichte hinzu. Doch das (subjektive) Urbanitätsgefühl kann mit Dichtestress auch eine negative psychologische Komponente haben. »Dieser wird heute vornehmlich im Zusammenhang mit Verkehrswegen so wahrgenommen und nicht im Zusammenhang mit dicht bebauten Gebieten«. Es geht bei Dichtestress primär um soziale, nicht um bauliche Dichte. Der damit verbundene Fachdiskurs in der Schweiz ist aufschlussreich, denn generell wirken bei solch subjektiven Komponenten auch psychologische Aspekte mit. So spielen eine mögliche Verknappung von (Raum)Ressourcen, die (archaisch) bis hin zur Befürchtung einer nicht ausreichenden agrarischen Versorgung reichen kann, und grundsätzlich die Angst mit etwas Existenziellem nicht ausreichend versorgt zu sein, eine Rolle. Außerdem kann die Wahl- oder Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden; dies führt zur Angst vor Kontrollverlust. Zuletzt kann durch Dichte eine Reizüberflutung auf unser sensorisches System einwirken. Daraus entspringt möglicherweise Angst vor Überforderung und zu wenig Erholung. Für all diese subjektiven Ängste gibt es kein absolutes, kritisches Maß der Dichte. Was es aber gibt, sind Gewöhnungseffekte und Bewältigungsmöglichkeiten.
Verantwortlich für diese Ängste ist nicht die Dichte im Sinne eines gesättigten (Raum)Maßes, sondern es sind Qualität und Quantität des verbalen Austauschs, wie Studien zur Entwicklung von Kindern zeigen. Bei Erwachsenen führt der Kontakt zwischen Mitgliedern verschiedener Gruppen zum Abbau gegenseitiger Vorurteile und damit zu mehr Toleranz (Urbanität als Akzeptanzschule). Die Reaktion auf soziale Dichte scheint davon abzuhängen, welche Vorteile sie uns bietet und über welche Kontroll- bzw. welche Bewältigungsmöglichkeiten wir verfügen.
Daher die Absicht der Ausstellung: Die Vorteile der Dichte sollen als Privilegien des Städtischen ein anderes Gefühl entgegnen: die Dichtelust! »Es ist an der Zeit, das Potential der Dichte als qualitativen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität vorzustellen und wieder die Lust am Leben in Gemeinschaften zu erzeugen.«
Dichteluststeht für die dichte Stadt: sie ist günstiger für soziale und kulturelle Diversität, sie bietet viele Einrichtungen und Dienstleistungen; sie ist ein ökonomisches Zentrum. Zur Dichte, egal ob in öffentlichen Räumen oder in Quartieren, gehört auch die Vielfalt und Varianz von Nutzungs- und Lebensmöglichkeiten der Bewohnerschaft. »Es herrscht ein allgemeiner Konsens darüber, dass ein bewusster Umgang mit den begrenzt verfügbaren Ressourcen, insbesondere den Landreserven im Sinne einer ökologischen und ökonomischen Planung unabdingbar ist«, schreibt Susanne Frank im Ausstellungskatalog.
Urbane Dichte, das heißt eine Mischung aus kompakten Territorien, sozialem Leben und kurzen Wegen. Da die Städte in den Agglomerationsräumen nicht wachsen, sondern die EinwohnerInnenzahlen bei gleichbleibender Fläche steigen, erhöht sich automatisch die Dichte. Das bedeutet »erhöhte Nachhaltigkeit, Interaktion, Diversität und Effizienz«.
Neben der Theorie zur Dichte präsentiert und durchleuchtet die Ausstellung auch aktuelle, konkrete Planungen, die Basler 
Dichte. Dazu gibt es neben anschaulichen Planungsprojekten auch welche, die architektonisch interessant sein mögen, jedoch wenig mit dem Thema der urbanen Dichte zu tun haben (Schaukäserei Maison du Gruyère). Daneben gibt es großformatige Stadt- oder Projektmodelle, die eindrückliche Exponate in unterschiedlichen Maßstäben darstellen.
In Die Grenzen der Zahlen wird erläutert, dass »Kennwerte zur Beschreibung von Stadträumen nur eine begrenzte Aussagekraft« haben. Festgestellt wird, dass die öffentlichen Freiräume, das Erscheinungsbild sowie die Aufenthaltsqualität, also die Komplexität eines Quartiers, nur in qualitativen und quantitativen Kriterien fassbar sind. Was das in Basel heißt, lässt sich beispielsweise an der einzigartigen 50-prozentigen Mehrwertabgabe (Besteuerung von Widmungsgewinnen) zeigen. Sie finanziert einen Fonds, der ermöglicht, Grünräume aufzuwerten oder hochwertige zu schaffen. Daran zeigt sich das »konstruktive Verhältnis zur Dichte«, also wie die eingangs zitierte sinnvolle Ausnutzung gemeint ist.
Damit positionieren sich die KuratorInnen auch zur Frage, ob eine Stadt ihre kostbaren Flächen als kluges Instrument im Sinne des Allgemeinwohls behandelt oder ob sie bei Renditespekulationen gegen die Stadtbürger mitmacht, eindeutig. »Dichte wird dann zum Gewinn, wenn die Nähe des Zusammenlebens von BewohnerInnen als Mehrwehrt an Lebensqualität erfahren wird – also, öffentliche Räume, als Räume der Begegnung.« Falls eine Stadt meint, Dichte durch Hochhäuser herzustellen, sollte die Öffentlichkeit nicht unten bleiben müssen.
Die Ausstellung ist überschaubar, der Zugang ist gründlich, mehrperspektivisch und durchaus innovativ. Zu Dichtelust versus Dichtefrust liefert das Schweizer Architekturmuseum eine Reflexion für ein Re-Framing, weg von der Konnotation der irrationalen Ängste gegenüber allem Neuen oder Fremden. Mit dem Umgang von Dichte geht auch Sozialisierung und Bildung (durch die Nähe beim Zusammenleben) einher. Gut gelungen ist die Übertragung von unterschiedlichen Dichtebegriffen auf Stadtansichten, denn sie zeigen verschiedene Formen von sozialräumlicher Dichte. Als Wiener ist man jedoch irritiert, wenn noch immer Camillo Sitte mit seinem »künstlerischen Städtebau« rezipiert wird, ohne die Sozialraumorientierung, also die Konstruktion der Räume durch die Menschen, auszuführen. Die Bilder von Stadträumen ohne Menschen verraten die Einseitigkeit der Betrachtungsweise.
Ein Besuch lohnt sich, auch für alle Fachleute, die sich mit dem Phänomen der Renaissance der Städte und Urbanität auseinandersetzen wollen. Denn diese muss auch in Zukunft verteidigt werden, da der sparsame Umgang mit begrenzten Ressourcen zur nachhaltigen Lebensform gehört. Außerdem hat das System Stadt mehr Widerstandskraft gegenüber Krisen und 
Katastrophen. Sie ist schlicht resilienter als zersiedelte ländliche Gebiete. Also: (Be)»Achtung Schweiz«. — Dichtelust – Formen des urbanen Zusammenlebens in der Schweiz S AM – Schweizer Architekturmuseum, Basel 24.11.2018–05.05.2019


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