Christa Kamleithner


Surviving the Suburb ist ein überraschendes und aktuelles Buch, das von einem neuen Zeitgeist erzählt. Es stellt Projekte vor, die in ökologischer wie sozialer Hinsicht Experimente sind, Projekte, die auf Subsistenz und Autarkie setzen und dies mit neuen Formen von Kollektivität verbinden. Schauplatz sind jene von der kreativen Schicht gemiedenen zwischenstädtischen Gegenden, die als Orte eines neuen Komforts und avantgardistischer Lebenskonzepte entdeckt werden. Diese setzen auf die Qualitäten der Peripherie, die insbesondere darin bestehen, Platz zu haben und ohne ökonomischen Druck agieren zu können. Hauptakteure des Buches sind Ton Matton und Wim Timmermans, Anlass war eine Ausstellung von Ton Matton am Royal Institute of British Architects in London. Das Buch versammelt Projekte von MattonOffice und verwandte Arbeiten.

Im Zentrum der Ausstellung stand die „Klimaatmachine“, eine künstlerische Inszenierung, die „den urbanen Raum als landwirtschaftlichen Produktionsort“ interpretiert. Ihre Bestandteile sind Tontöpfe mit Föhnen, Gewächshauslampen und Bewässerungsanlagen, die das Abstandsgrün peripherer Nachkriegssiedlungen in Gartenkulturen verwandeln; die Bandbreite reicht dabei von Maisfeldern über Bananenplantagen bis hin zur Kakteenzucht. Die Gestaltung der Installationen arbeitet bewusst mit einer Bricolage-Ästhetik, es geht nicht um effiziente Landwirtschaftsmodelle, sondern um die Sichtbarmachung von Möglichkeiten. Die Klimaatmachine lädt zur Raumaneignung und zum Selbertun ein, ungenutzter öffentlicher Raum wird als ein Ort entdeckt, an dem kollektiv gewirtschaftet werden kann. Ebenso reagiert sie auf das zunehmende Bedürfnis nach ökologischen Nahrungsmitteln und der sinnlichen Erfahrung ihrer Produktion, gleichzeitig schlägt sie einen gelassenen Umgang mit der Klimaerwärmung vor. Die Klimaatmachine ist ein „Denkmodell der Entschleunigung“: Sie führt vor, dass Selbstversorgung attraktiv sein kann und interpretiert Subsistenzwirtschaft als räumlichen Luxus und urbane Qualität. Die Landwirtschaft wird wieder sichtbar gemacht und mit der Stadt versöhnt; alte und exotische Stadtbilder werden zum Ausgangspunkt einer neuen Urbanität.

Gestaltung agiert hier auf einer sehr grundsätzlichen Ebene, Nahrungsmittelproduktion und Energieversorgung werden zu Themen von Kunst, Architektur und Landschaftsplanung. Das MattonOffice ist niederländischer Herkunft, und der niederländische Zugang zur Landschaft, der nichts für unmöglich hält und der von der Künstlichkeit der Landschaft ausgeht, scheint seine Haltung geprägt zu haben. Zurzeit befindet sich der Aktionsort von MattonOffice jedoch in Wendorf in Mecklenburg-Vorpommern, der Weite in den schrumpfenden Regionen im Osten Deutschlands wird der Vorzug vor den dichten Agglomerationen der Niederlande gegeben. In einer ehemaligen Grundschule wurde ein Zwischending aus Werkstatt und Labor, Hotel und Kloster eingerichtet, in dem das Büro mit befreundeten KünstlerInnen an Projekten spinnt. Auch die eigene Arbeitsmethodik wird bewusst konzipiert und weiterentwickelt; dies konnten die StudentInnen der HfbK Hamburg vor drei Jahren erfahren, wo Ton Matton das Küchengespräch, gemeinsames Kochen, Essen und Diskutieren, als neues Unterrichtsmodell eingeführt hat.

Wenn es auch um Denkmodelle und Haltungen geht, so münden diese doch in konkretes Design. Kleinteilige Objekte wie Hühnerschränke zur urbanen Kleintierzucht, eine Shiitake Sink Unit, in der man mit dem gebrauchten Wasser Pilze züchtet, oder ein mobiles, in einem Rotterdamer Linienbus eingerichtetes Naturreservat sind prototypische Arbeiten des Büros. Im Buch finden sich dann auch noch Objekte wie Komposttoiletten, ein Kühlschrank, der mit dem altmodischen Mittel eines Eisblocks kühlt oder die Kentucky Coffee Bar, bei der so genannte Kentuckywürmer den Kaffeesatz kompostieren; Arbeiten des Rotterdamer Büros Schie 2.0, das Ton Matton in den 1990er Jahren gegründet hat. Gearbeitet wird insgesamt mit wechselnden Kooperationen, u. a. mit dem Atelier van Lieshout, One Architecture oder Rem Koolhaas/OMA. Ergebnis einer solchen Kooperation war z. B. das Ökokonzept für den Wettbewerbsentwurf von OMA für die Neugestaltung des Areals Les Halles in Paris. Das Modell der Klimaatmachine wurde dafür im großen Maßstab eingesetzt, Wasserkreislauf- und Lüftungssysteme sollten hier gemeinsam mit den steigenden Pariser Temperaturen für eine subtropische Mikrolandschaft sorgen. Ein Entwurf, der die Attraktivität der landwirtschaftlichen Nutzung und entspannter öffentlicher Räume auch im innerstädtischen Bereich zeigt.

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www.mattonoffice.org
www.schie.nl
www.episode-publishers.nl


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