Christoph Gollner


Die AutorInnen von Metropolis Now! versuchen mit subjektiv-intimen Beiträgen dem Phänomen »Metropole« zur Jahrtausendwende auf den Grund zu gehen. Das ergibt eine abwechslungsreiche Reise durch eine bunte Mischung von Stadtporträts – von London bis Soweto, von Marseille bis Kuala Lumpur – mit durchaus hohem Erkenntnis- und Unterhaltungswert.
»A city is a state of mind.«, schreibt Ramesh Kumar Biswas im Vorwort. Die Stadt ist eine Geisteshaltung. Die Stadt ist der Zustand der Gesellschaft. Die Stadt ist das Abbild der Mentalität ihrer BewohnerInnen. Die Mentalität der BewohnerInnen gibt der Stadt ihre Identität. Das Bild der Stadt spiegelt den Zustand des Autors, der über sie schreibt. Passend zur Jahrtausendwende versucht Metropolis Now! diesen Zustand, den state of mind von 15 Städten dieses Planeten zu reflektieren. Neun Autoren und eine Autorin – »not just experts, but also flaneurs« (Biswas) – liefern ihre persönlichen Portraits von Städten; Momentaufnahmen von Zuständen. Der Zugang der einzelnen AutorInnen unterscheidet sich naturgemäß. Das ist die Qualität von Metropolis Now!, ganz gemäß der Intention des Buches, sich den Städten »unwissenschaftlich«, also subjektiv und intim zu nähern. Aspekte der Metropole und ihrer Entwicklung stehen im Vordergrund; Aspekte, bild- bzw. zum Teil anekdotenhaft und stellvertretend für ein ohnehin kaum zu fassendes Ganzes.
Berlin, Potsdamer Platz, Sao Paulo, Avenida Paulista, Las Vegas, The Strip – Orte, Straßen, Plätze als Sinnbild und Identitätsstifter für Städte, aber nicht unbedingt stellvertretend oder charakteristisch für sie. Mehrere Beiträge nähern sich den Städten über ihre bedeutenden Plätze. Deren Entwicklung und deren Zustand dient als plastisches Bild für die Gesamtstadt. Eine sehr anregende Beschreibung von Tokio liefert Roman Cybriwsky (»Tokyo – Different with a Difference«) mit seiner Anwendung des Konzepts der »epitome districts« – der Betrachtung von Stadtteilen, die als Mikrokosmos repräsentativ für die Gesamtstadt stehen. Cybriwskys eindringliche Schilderung des Lebens in Tokio, der Dynamik und Widersprüchlichkeit der Stadt, macht klar, warum er Tokio - nach London 1800 und New York 1900 – als die führende Stadt der Welt zur Jahrtausendwende bezeichnet.
Ein einfaches Bild kann komplexe, für den betreffenden Ort charakteristische politische oder atmosphärische Hintergründe, Funktionsweisen und Stimmungen greifbar machen. Die Beiträge geraten daher sehr wohl auch zu sehr grundsätzlichen Abhandlungen architektonischer, planerischer oder politischer Fragen. So zieht sich ein roter Faden durch die meisten Beiträge in Metropolis Now!: der urbane Raum als politischer Raum. Beispiele: Anhand von Soweto – Titel: »The Dis-Location« – schafft Henning Rasmuss tiefe Einblicke in das Apartheid-System Südafrikas und seiner räumlichen und sozialen Implikationen. Er beschreibt Apartheid in seiner Essenz mit dem deutschen Begriff »Raumordnung«. Raumordnung als Mittel zur Umsetzung einer totalitären Ideologie. Die Grundsätze der stadtplanerischen bzw. architektonischen Moderne - »Anti-Urbanität« durch geringe Dichte, Entmischung, zoning - als willige Helfer zur Verfestigung sozialer bzw. ethnischer Ungleichheit. Rasmuss kommt zu dem Schluss, dass Soweto (Kunstwort aus South-west Township) ein drastisches Beispiel der Verwobenheit von Stadt und Politik sei: »Urban space is political, nowhere more blatantly so than in Soweto.«
Das Gleiche würde womöglich Purvan J. Selvanathan über Singapur sagen. In seinem Beitrag »The Forbidding City« zeichnet er ein fast schon gruseliges Bild der schönen, neuen Welt einer perfektionierten »Stadt-Maschine«. Sauber, verlässlich, dynamisch und für die ökonomischen Herausforderungen der Globalisierung gewappnet, so präsentiert sich Singapur am Beginn des 21. Jahrhunderts. Allerdings um den hohen Preis eines alle Bereiche dominierenden Staates der es »liebt, Gesetze zu machen« – und bei Verstoß gegen diese drakonische Strafen kassiert – und einer angepassten, kaum eigene kulturelle oder soziale Aktivitäten entwickelnden Bevölkerung. »Is it the first genuinely communist or the first wholly capitalist city?« – Auch hier der für PlanerInnen unangenehme Hinweis, dass Singapur eine Stadt sei, in der planerische Ansätze, von denen man hier in Europa – zum Teil – träumt, verwirklicht wurden; z.B. darf das Stadtzentrum nur mit Autos mit mindestens 4 Insassen straffrei befahren werden... Ein sehr guter, spannender Text.
Stilistisch völlig anders geht Felix Zwoch in seinem Beitrag »Hotel Moskva« mit dem Verhältnis Stadt–Politik um: Zwoch meditiert über weite Strecken über seiner Unlust, sein Hotel überhaupt zu verlassen. Er empfängt Gäste und lässt sich erzählen; hauptsächlich über die architekturhistorische Entwicklung seiner Unterkunft. Die Vielzahl an widersprüchlichen Informationen, die er erhält, verleiten ihn zu der – höchst politischen – Charakterisierung Moskaus als Stadt der Gerüchte: »In the long decades of supressed information, rumours replaced truth as the genuine experience of Moscow.«
Es gibt natürlich auch Aufsätze, in denen das Symbolhafte von Teilaspekten ein wenig gekünstelt oder beliebig wirkt. Am kritischsten wird man da wahrscheinlich den Beitrag über Wien (»A City Consumes« von R. K. Biswas) lesen. Was Biswas über das Konsumverhalten Wiens bzw. seiner BewohnerInnen schreibt, trifft im Großen und Ganzen schon zu (auch wenn es so klischeehafte Aspekte wie die Kaffeehaus- und Beislkultur sind oder aber die Eigenart, andere Kulturen zu »konsumieren« anstatt in ihnen kulturelle Bereicherung zu sehen) – die Art, in der Wien aber als Stadt, in der entscheidende Elemente des (konsumptiven) Lebensstils der heutigen Zeit geprägt wurden (und werden?), dargestellt wird, wirkt dann aber oft etwas weit hergeholt.
Und wie wurden die Städte ausgewählt? Der Begriff »Metropole« ist ja an sich relativ. Dass in Metropolis Now! so unterschiedliche Städte wie Shanghai, Tokio, Bombay, London, Hongkong, Las Vegas, Marseille, Kuala Lumpur, Istanbul, Soweto, Berlin, Sao Paulo, Moskau, Singapur und Wien nebeneinander behandelt werden, hat seinen Reiz – und ist zum Teil sehr persönlich motiviert, so Biswas. Trotz ihrer unverwechselbaren Identität bieten sich die einzelnen Städte auch als Prototypen bestimmter Kategorien des Begriffs »Metropole« an: zum Beispiel Global Cities, aufstrebende Boomtowns, alte, in Umbruch befindliche Zentren, »Suburb-Cities« oder so. Eines haben sie jedenfalls gemeinsam: in ihrer zunehmenden Vernetzung sind sie die Steuerungszentralen unserer Entwicklung.
Metropolis Now!, schreibt Biswas im Vorwort, sei ein Buch für die »urbanen Nomaden unserer Zeit«. Er selbst würde sich wohl als solchen bezeichnen. Geboren 1957 wuchs er in Malaysien und Indien auf, studierte Architektur, Kunst und Stadtplanung in Neu Delhi und Edinburgh und betreibt ein Architektur- und Multimediabüro in Berlin und Wien. Metropolis Now! ist eine Art Reiseführer für Fortgeschrittene, der Blicke schärft und zur Beschäftigung mit dem Phänomen Stadt anregt. Eine Reise kann ja auch im Kopf stattfinden – und das jedenfalls ist mit Metropolis Now! gut möglich.

Ramesh Kumar Biswas (Hg.)
Metropolis Now!
Springer Verlag Wien - New York
2000 (in englischer Sprache)


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