Christoph Laimer

Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.


Die AutorInnen von Unser Wien – »Arisierung« auf österreichisch fordern in Bezug auf die Restitution geraubten jüdischen Eigentums ein moralisches Umdenken, verbunden mit einer neuen juristischen Beurteilung. Die Kritik am Archivgesetz, das zwar die TäterInnen, nicht aber die Opfer schützt, bleibt nicht nur theoretisch, sondern wird praktisch, indem die Namen der ProfiteurInnen von »Arisierungen« in vielen Fällen genannt werden. So erfährt man, wie Karl Böhm zu einer Villa und Adolf Schärf zu einer Kanzlei gekommen ist. Es tauchen neben vielen anderen auf der Seite der ProfiteurInnen weithin bekannte Namen wie Hübner, Quester, Ottakringer, Zentralsparkasse, Gebrüder Weiss, Franz Dusika, das Caritas-Institut der Erzdiözese Wien oder die Familie Hörbiger auf. Als Quelle werden dafür Grundbuchauszüge und Ähnliches genannt. Am Ende des Buches gibt es Tipps zur Recherche – ein äußerst sympathisches Service der AutorInnen.
Der interessanteste Teil des Buches ist klarerweise jener, in dem es um die Zeit nach dem nationalsozialistischen Terrorregime geht, als die staatstragenden Organe sich jahrzehntelang um die Restitution des geraubten Eigentums herumdrückten, sich oft genug auf unverschämteste Weise selbst bereicherten und die rechtmäßigen EigentümerInnen nicht nur um ihr Hab und Gut brachten, sondern auch noch demütigten, indem sie z. B. Naziakten mehr Glauben schenkten als den Opfern der Nazis.
Enttäuschend ist freilich, dass dieser Teil wenig ausführlich und systematisch und noch dazu (so wie das ganze Buch) von Informationen durchzogen ist, die als Allgemeinwissen gelten dürfen und deswegen eher überflüssig sind. Dass in Kreiskys Kabinett ehemalige Nazis Ministerposten hatten und dass weder SPÖ noch ÖVP Skrupel empfanden, bereits kurze Zeit nach dem Ende des Naziterrors um die Stimmen der AnhängerInnen dieses Regimes zu werben, ist z. B. mehr als bekannt. Ganz offensichtlich ist das Buch mit Blick auf den deutschen Markt geschrieben worden, wo derartiges Wissen wohl nicht vorausgesetzt werden kann. Österreichische LeserInnen wird das vermutlich gelegentlich ein wenig nerven. Ärgerlich sind auch diverse Aussagen – wie z. B. »Am Ende des Zweiten Weltkrieges fühlten sich alle Österreicher als Opfer« –, denen zwar inhaltlich weitgehend zuzustimmen ist, die aber potenziellen LeserInnen ebenfalls kaum Neues sagen dürften. Unverständlich wird die Angelegenheit, wenn diese Darstellungen mit den eigenen Erfahrungen nicht mehr in Übereinstimmung zu bringen sind: »Sie [die Wiener] vertreten die Meinung, verschiedene ›Varianten‹ des Antisemitismus – etwa ein angeblich ›wirtschaftlich‹ motivierter – wären akzeptabel, denn sie hätten sich aus gesellschaftlichen Notwendigkeiten ergeben und wären durch ihre Unvermeidbarkeit motiviert.« Hier wäre es sicher von Vorteil gewesen, auf Quellen zu verweisen oder Zitate zu bringen, als pauschal von »den Wienern« zu sprechen, was jetzt nicht heißen soll, dass man den WienerInnen in Sachen Antisemitismus grundsätzlich nicht alles zutrauen muss.
Am sympathischsten an dem Buch ist die Absicht, bezüglich »Arisierungen« endlich Klartext zu sprechen und die Profiteure nicht länger zu schonen, aber man hätte sich doch gewünscht, die Umsetzung wäre etwas methodischer und strukturierter passiert. Beim Gedanken daran, wie penibel Raul Hilberg die Raubzüge der Nazis geschildert hat, wie genau er Strukturen und Vorgehensweisen analysiert und nachgezeichnet hat, merkt man, was man an dem Buch vermisst. Nichtsdestotrotz ist dieses Buch ein wichtiges Buch und wird hoffentlich zu neuen Forschungen anregen und helfen, das nach wie vor bestehende Unrecht zumindest in den Fällen, in denen das noch möglich ist, zu beseitigen.

Tina Walzer, Stephan Templ
Unser Wien - »Arisierung« auf österreichisch
Berlin, 2001
Aufbau.
292 Seiten.
ATS 255.-/ Euro 18,53


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