Christoph Laimer

Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.


Das neue Jahr bringt tatsächlich Neues: Nach Zeitschrift, Festival und Radio steigen wir mit Cinema dérive 2019 auch noch ins Filmbusiness ein. In Kooperation mit dem Wiener Filmcasino starten wir die Architektur-bis-Stadt Sonntags-Matinee »Stadt Streifen«. Das Frühjahrsprogramm von Stadt Streifen widmet sich mit vier Filmen der Wohnungsfrage. Wenn dieses Heft erscheint, wird die Premiere von Stadt Streifen mit Last Days in Shibati bereits Geschichte sein. Doch bereits am 17. Februar gibt es die nächste Gelegenheit mit dem chilenischen Film 74m2, der 150 marginalisierte Familien auf ihrem Weg in gesicherte Wohnverhältnisse begleitet, und Alejandro Aravenas architektonisches Konzept des halben Hauses einem Reality Check unterzieht. Im Anschluss laden wir zum Film-gespräch mit Az W-Direktorin Angelika Fitz. Am 31. März folgt Dispossession – The Great Social Housing Swindle zu den Auswirkungen der neoliberalen Wohnbaupolitik in UK plus Filmgespräch mit Regisseur Paul Sng und Architekturforscher Andreas Rumpfhuber. Den Abschluss macht am 28. April schließlich eine Preview-Vorstellung von PUSH von Fredrik Gertten über die Folgen der Finanzialisierung der Wohnungsmärkte: »Housing is the new gold. But housing is a human right, gold isn’t.« Schauen Sie sich das an!
Neu ist auch – manche werden es schon bemerkt haben – unsere Website. Wir haben uns die Sache gut überlegt, weswegen es ein wenig gedauert hat, aber nun ist sie da. Die erste dérive-Website hatte fast 18 Jahre lang allen technischen Änderungen zum Trotz einwandfrei funktioniert. Doch all die Veränderungen, die sich bei dérive seit der Gründung ereignet haben, konnten nicht mehr adäquat abgebildet werden. Ein großes Danke geht an Christian Klettner, Matthias Tarasiewicz und Nils Gabriel (Artistic Bokeh), Robert Wildling und Simon Repp.
Die aktuelle Ausgabe beginnt mit einem großartigen Artikel zu 1968 und die urbane Frage von Klaus Ronneberger, der überzeugend darlegt, dass es notwendig ist, sich nicht nur das Jahr 1968 anzusehen, sondern ein ganzes Jahrzehnt. Sein Beitrag spannt einen Bogen von den Schwabinger Krawallen im München des Jahres 1962 über Henri Lefebvre und die Situationistische Internationale bis zu den Provos, Spontis oder Lotta Continua und lässt auch Günter Brus’ Wiener Spaziergang nicht unerwähnt.
Im Interview mit Christoph Chorherr, dem Planungssprecher der Wiener Grünen, steht die Novellierung der Wiener Bauordnung im Zentrum. Von den Koalitionspartnerinnen der Wiener Stadtregierung, Grüne und SPÖ, im letzten November beschlossen, bringt sie vielversprechende, teils einschneidende Neuerungen, was Strategien gegen die Preissteigerungen bei Grundstücken und Mieten und Maßnahmen gegen den Klimawandel anbelangt. Rund um all die Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag der Republik Österreich im vergangenen Jahr war am Rande manchmal auch von der österreichischen Rätebewegung die Rede. Wirklich erfahren hat man über dieses unterbelichtete Kapitel der österreichischen Geschichte jedoch wenig. Deswegen haben wir Peter Haumer gebeten, für dérive einen Blick auf die österreichische Rätebewegung, ihre Rolle im Jahr 1918, ihre Strukturen und ihre Position in der ArbeiterInnenbewegung zu werfen.
Ganz in der Gegenwart verankert ist eine Untersuchung über Einstellungen zu Symbolen von Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum von Banu Çıtlak, Sebastian Kurtenbach und Hacı-Halil Uslucan. Sie stellen darin fest, dass es im beforschten Ruhrgebiet grundsätzlich große Zustimmung zu visueller Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum gibt, das Ausmaß an Akzeptanz oder Ablehnung jedoch von individuellen Merkmalen abhängt.
Robin Klengel hat das Aufwertungsprojekt Sabarmati Riverfront in der indischen Metropole Ahmedabad, der Heimatstadt von Premierminister Narenda Modi, beforscht, ein weiteres Beispiel für Imagepolitik, das zu Verdrängung und Vertreibung von SlumbewohnerInnen geführt hat. Die Sabarmati Riverfront ist Resultat einer Ordnungsvision, die als eine Art Vorschau auf ein neues Indien angepriesen wird, das möglichst wenig mit der als unordentlich und unsauber empfundenen Gegenwart zu tun haben soll.
In europäischen Stadtzentren haben der zunehmende Terror und die Angst davor ein unscheinbares und doch weit verbreitetes Mobiliar, den Poller, ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Seine wachsende Verbreitung unterstreicht die politische Ohnmacht in der aktuellen Situation. Peter Payer, Stadtforscher und -historiker, durchleuchtet Geschichte und Gegenwart des Pollers von Wien-Margareten bis Berlin-Kreuzberg.
Dem Werk des letzten Herbst verstorbenen Architekten und Philosophen Paul Virilio widmet Manfred Russo einen Beitrag in diesem Heft, in dem er auch auf die unbekannteren architektonischen Anfänge Virilios eingeht. Eine Ausstellung im Wiener Architekturzentrum wiederum war Anlass für uns, Michael Zinganel zu bitten, einen Artikel zur Person Roland Rainers und den Lücken und Brüchen in seiner Biografie in Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus zu schreiben.
Das Insert stammt diesmal von der Wiener Künstlerin Almut Rink, die sich in einem Forschungsprojekt mit der Frage »Wer bin ich in Bezug auf das, was mich umgibt?« beschäftigt hat. Zur Titelseite hat uns Klaus Ronnebergers Artikel über 1968 angeregt. Es handelt sich um ein Bild aus dem 1968 in Berlin gedrehten Film Farbtest Rote Fahne von Gerd Conradt.


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