Barbara Feller

Barbara Feller ist Geschäftsführerin der Architekturstiftung Österreich.


Ein Buch für ein Haus, das jetzt noch steht. Mit der Publikation Hilmteichstraße 24 legen die ExpertInnen für Herbert Eichholzer, Antje Senarclens de Grancy und Heimo Halbrainer, zusammen mit Eva Klein, eine Publikation vor, die wie in einem Brennglas Aspekte von Architektur, Geschichte und Kunst bündelt. Anhand des Hauses wird dabei ein Blick sowohl auf das moderne Bauen und die moderne Kunst geworfen als auch die Geschichte von Widerstand, Verfolgung und Ermordung erzählt.
Diese Themenbreite ergibt sich aus der Person des planenden Architekten Herbert Eichholzer, dessen gestalterisches Schaffen – als von der nationalsozialistischen Justiz verurteilter und 1943 hingerichteter Widerstandskämpfer – nicht ohne sein politisches Engagement gesehen werden kann. Architektur und Leben durchdringen einander und verdichten sich im gegenständlichen Haus und den daran involvierten Personen: Herbert Eichholzer war der Architekt; Albert Kastner, Miteigentümer des Grazer Warenhauses Kastner & Öhler, war sein Finanzier; seine Geliebte Hermenegilde (Herma) Albrecher war die Bauherrin und mit ihren zwei Kindern Bewohnerin bis zum Beginn der 1960er Jahre; der Maler Axl Leskoschek, den Albrecher kurz vor ihrem Einzug in das Haus (wohl zum Schein) heiratete, schuf darin ein bemerkenswertes Wandgemälde.
All diese Menschen gehörten zu einer Gruppe Grazer Intellektueller, meist aus gutbürgerlichen Verhältnissen, die in den 1920er und 1930er Jahren sozial engagiert und an moderner Architektur und Kunst interessiert bzw. involviert waren. Einige, wie insbesondere Eichholzer und Leskoschek, waren aktiv im Widerstand gegen Nazi-Deutschland engagiert, wofür Eichholzer 1943 mit dem Leben bezahlte. Vieles zu seiner Person und Architektur ist, insbesondere durch Forschungen und Publikationen von Senarclans de Grancy und Halbrainer, schon bekannt – etwa seine herausragende Stellung als Vertreter einer modernen Architektur, die auch den internationalen Vergleich nicht scheuen muss. Oder seine Rolle im österreichischen Widerstand. Alle diese Erkenntnisse werden anhand des Hauses vertieft und verdichtet sowie um neue Forschungen erweitert. So wird aufgezeigt, wie die Netzwerke des kommunistischen Widerstands strukturiert waren und wie wichtig das Haus als Treffpunkt und Deckadresse für Eichholzer und andere war.
Sehr deutlich zeigt das Buch die Diskrepanz zwischen den politischen und gesellschaftlichen Zielen eines Architekten, der sich für soziale Verbesserungen einsetzte, und der Notwendigkeit, für Lebensunterhalt und Berufsausübung für eine betuchte Klientel zu planen. Die Nähe von Architektur und Kapital wird evident. Denn trotz seiner radikalen Gestaltung mit Parallelen speziell zu Le Corbusier (bei dem Eichholzer Ende der 1920er-Jahre gearbeitet hatte) ist das Gebäude sowohl mit seinem räumlichen Konzept als auch mit seiner Innenausstattung, die von Eichholzer mitgeplant wurde, eine bürgerliche Villa.
Mit einem intensiven gesellschaftlichen Leben, als Ort kleiner Kunst- und Theateraufführungen und als Treffpunkt eines Freundeskreises, der sich mit den Veränderungen nach dem Ersten Weltkrieg Sozialismus und Marxismus zugewandt hatte. Sowohl in ihren künstlerischen Arbeiten wie auch in ihrem publizistischen und politischen Wirken waren sie um gesellschaftliche Veränderungen bemüht. Viele kamen dadurch bereits mit dem autoritären austrofaschistischen Regime in Konflikt. So verbüßte der Maler und Illustrator Axl Leskoschek als Teilnehmer der Februarkämpfe 1934 in den Folgejahren mehrmalige Haftstrafen, meist im Anhaltelager Wöllersdorf. Erst im Oktober 1937 kehrte er von dort nach Graz zurück und schuf im Zeitraum bis zu seiner Ausreise am Tag des Anschlusses das bemerkenswerte Wandgemälde im Haus in der Hilmteichstraße. Der Seccomalerei gab er den Titel Allegorie der Freunde. Von diesem mehr als 6 Meter breiten und die gesamte Nordwand des Hauses einnehmenden Gemälde gibt es lediglich ein paar Schwarzweiß-Fotos, und es ist der Design- und Kunsthistorikerin Eva Klein für ihre intensive Analyse dieses äußerst ungewöhnlichen Bildes zu danken. In surrealistischen Szenen, mit Motiven aus der griechischen Mythologie und mittelalterlichen Themenkreisen, wird in einer vielschichtigen und verschlüsselten Bildsprache auf die gesellschaftlich und politisch angespannte aktuelle Situation Bezug genommen. Lesen konnten dies wohl nur Eingeweihte, die wahrscheinlich auch die Vision einer bedrohlichen nahenden Zukunft erkannten. Heute ist das Gemälde hinter dicken Schichten von Malerei und Tapeten verborgen. Eine denkmalpflegerische Untersuchung hat ergeben, dass eine Freilegung und Rettung mit sehr hohen Kosten verbunden wäre und aufgrund des schlechten Zustands nicht vertretbar erscheint.
Ebenso wie das Haus in seiner Gesamtheit wurde auch das Gemälde beim Verkauf des Hauses Anfang der 1960er Jahre in seiner Einzigartigkeit vollkommen verkannt – anders ist weder der erfolgte Umbau noch die Übermalung zu erklären. Beide sind Ausdruck eines vollständigen Mangels an Wertschätzung für die Architektur und Kunst im Haus. Das Gebäude hat durch das Aufsetzen eines Satteldaches, insbesondere aber durch zahlreiche Zubauten seinen ehemals schwebenden und ligranen Charakter gänzlich verloren. Im Innenbereich des Erdgeschosses lassen sich seine Großzügigkeit und Eleganz noch erahnen, wie ein Fotoessay des heute leer stehenden Hauses von Ramona Winkler deutlich macht. Die insgesamt sehr schwerwiegenden Veränderungen am Gebäude, ebenso wie die Transformation der Umgebung, lassen die Entscheidung des Denkmalamtes, das Haus als nicht schutzwürdig einzuschätzen, verständlich erscheinen. Dennoch schwingt Wehmut mit, denn auch die wenigen anderen Häuser von Eichholzer sind entweder stark verändert oder bereits abgerissen. Umso verdienstvoller ist die mit der vorliegenden Publikation ausgedrückte Würdigung der Hilmteichstraße 24.


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