Maik Novotny


Es ist wohl einer der unübersehbarsten Bauten im Zentrum von Innsbruck, und doch war es jahrzehntelang so etwas wie ein blinder Fleck: Das Landhaus, Sitz der Landesverwaltung, am Eduard-Wallnöfer-platz. Errichtet wurde es unmittelbar nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten als ›Gauhaus‹, was zwar allgemein bekannt war, aber selten thematisiert wurde. Es bedurfte einer drängenden Intervention des Bloggers Markus Wilhelm, der Tiroler Ein-Mann-Gegenöffentlichkeit, um die überfällige Aufarbeitung in Gang zu bringen. Am 5. März 2019 beschloss die Tiroler Landesregierung die Einrichtung einer siebenköpfigen interdisziplinären Expert*innen­kommission »Aufarbeitung der Geschichte des Neuen Landhauses«. Beauftragt mit der Erstellung des Berichts wurden der Historiker Christian Mathies und die Architekturhistorikerin Hilde Strobel. Seit Ende 2021 liegt der Abschlussbericht vor.
       »Die Ergebnisse der ersten Recherchetätigkeiten waren ernüchternd«, resümieren die Autor*innen gleich zu Beginn. »Zur Planung und zum Bau des Gebäudes fanden sich nahezu keine Hinweise in den Archiven. Der zentrale Bauakt, der sich im Tiroler Landesarchiv befinden sollte, konnte nicht ausfindig gemacht werden. Die genauen Umstände, wie und wann der Akt in Verlust geraten ist, konnten nicht geklärt werden.« Ergebnislos verlief auch die Suche nach zeitgenössischen Fotografien, die das Innere des Gebäudes dokumentieren.
       Trotz dieser Lücken in der Recherche ist der 274 Seiten umfassende Bericht von einer enormen Informationsdichte und bietet mit dem Bauprojekt Gauhaus als Rahmen einen detaillierten Einblick in die Tiroler Verwaltung, Bauwirtschaft und Architektur während der NS-Zeit. Das mindestens bis zur Waldheim-Affäre vorherrschende Opfernarrativ der »Tiroler Erinnerungskultur« – »die NS-Zeit als aufge­zwungene Fremdherrschaft« (Zitat Autor*innen) – wird dadurch eindeutig widerlegt und das Gebäude explizit in seiner Rolle als »verschwiegener Täterort« in ein neues Licht gestellt.
       »Wir sind stolz und glücklich darüber, unserem geliebten Führer unser Heimatland Tirol als die schönste Perle, den Garten Deutschlands, zu Füßen legen zu können«, erklärte Gauleiter Edmund Christoph am 11. März 1938 vom Balkon des Landhauses am Tag der widerstandslosen Machtübernahme. Gerade das Alte Landhaus, von 1725–32 als Barockpalais errichtet, war und ist bis heute symbolisch stark mit Tiroler Selbstverständnis befrachtet und existierte somit in einem Spannungsfeld zum Gauhaus, das es in seiner Funktion ersetzte.
       Die Zusammenlegung der Dienststellen in einem Großbau war ein Indiz für die vollzogene Gleichschaltung der Verwaltung, Mit dessen Planung wurde unverzüglich nach der Machtübernahme begonnen, die Realisierung erfolgte in Hochgeschwindigkeit. Der Wettbewerb startete im Sommer 1938, dabei waren ausschließlich in Innsbruck registrierte Architekten zugelassen, was die damals im Ausland ansässigen Tiroler Größen Lois Welzenbacher und Clemens Holzmeister von der Teilnahme ausschloss. Acht der sechzehn lokalen Architekten nahmen teil. Siegreich war der Entwurf der Gebrüder Walter und Ewald Guth, von den weiteren Entwürfen fehlen leider fast jegliche Spuren.
       Die Beurteilungskriterien der Jury waren fast ausschließlich funktionaler Art, und auch das gebaute Ergebnis ist in erster Linie ein rationaler Zweckbau, der nur sehr bedingte Ansätze von Monumentalismus aufweist. Die von Gauleiter Hofer geforderte Erhöhung der Geschosszahl unter Beibehaltung der Traufhöhe verstärkte noch den Eindruck serieller Gedrungenheit. Wie die Autor*innen deutlich machen, war es 1938/39 auch keineswegs so, dass Architekt*innen präzise Leitlinien für die NS-Architektur vorfanden, stattdessen orientierte man sich oft an Bestehendem – in der Hoffnung, Gefallen zu finden, was nicht immer gelang.
       Einen besonders aufschlussreichen Einblick in die Dynamiken der Machtverhältnisse liefert die Finanzierung des Bauvorhabens. Mit 3,5 Millionen Reichsmark eine große Investition, die der Landeshaushalt alleine nicht bewältigen konnte. Also sprach man mehrmals in Berlin vor in der Hoffnung, dass die Partei die Gesamt­kosten übernehmen würde. Als NSDAP- Reichs­leiter Robert Ley den Rohbau im Mai 1939 besichtigte, fand er diesen jedoch so misslungen, dass er keine einzige Reichsmark dafür ausgeben wollte. Man behalf sich daher durch rücksichtslosen Diebstahl in Form der Beschlagnahme des katholischen Jesuiten-Collegiums Canisianum in Innsbruck-Saggen als »volks- und staatsfeindliches Vermögen.«
       Auch zahlreiche Enteignungen und Zwangsarisierungen sind dokumentiert, die sozusagen in ›zweiter Reihe‹ passierten, indem den Eigentümer*innen von Liegenschaften oder Ladengeschäften, die für den Bau des Gauhauses und für darüber hinausgehende Planungen abgebrochen wurden, woanders Immobilien aus vormals jüdischem Besitz angeboten wurden. Für den Bau selbst bekamen bevorzugt Firmen den Zuschlag, die sich schon vor 1938 durch ihre »nationalsozialistische Einstellung« hervorgetan hatten. Jüdische Firmen oder solche, »die ausschließlich ihre Warenbestellungen bei jüdischen Firmen tätigen«, waren ausgeschlossen.
       Auch über das Gauhaus hinaus gab es große Ambitionen im Innsbrucker Stadtzentrum: Für das Haus der Bergsteiger direkt gegenüber wurde ein Wettbewerb entschieden, ein großes Gauforum (Konzept: Otto Mayr, 1943) mit monumentaler Nord-Süd-Achse und Verlegung des Hauptbahnhofs war ebenfalls geplant. Dazu kam es nicht, denn durch die Umsiedlung der deutschsprachigen Südtiroler*innen in den Innsbrucker Raum wurde die Wohnungsfrage zur alles dominierenden, alle anderen Planungen wurden letztlich zurückgestellt.
       Währenddessen wurde im »stillen Täterort« des Gauhauses selbst das alltägliche Verbrechen verwaltet, und gerade diese Banalität des Bösen, die auch in der provinziellen Halb-Monumentalität der Architektur ihre Entsprechung findet, ist in der genauen Dokumentation so etwas wie der Kern des Berichts. Als prägende Figur tat sich hier Gauleiter Franz Hofer hervor, ein lupenreiner Nationalsozialist, der das »Bergland Tirol« zur letzten »Alpenfestung« ausbauen wollte und lieber »in dem Boden unserer Berge verkrallt siegen oder sterben« wollte als zu unterliegen und noch bis kurz vor Kriegsende den »Volkssturm« gnadenlos durchsetzte.
       Die Geschichte des vom Gauhaus zum Landhaus gewandelten Baus nach 1945 wurde exemplarisch für die kaum erfolgte Aufarbeitung der NS-Zeit in Tirol. Die beteiligten Baufirmen beteuerten, beim Gauleiter »sehr schlecht angeschrieben« gewesen zu sein, die Enteignungen wurden nicht restituiert, und das Alte Landhaus wurde als ideologischer Gegenpol des quasi totgeschwiegenen Gauhauses zur positiven Projektionsfläche für das Selbstverständnis der Tiroler als Opfer und Widerständler. Das von der französischen Besatzungsmacht beauftragte Befreiungsdenkmal von 1948 rief schon damals mit seiner befremdlichen Spiegelung des NS-Pathos einige Kritik hervor und war wenig geeignet, zur Reflektion beizutragen. Die 150-Jahr-Feier der Erhebung Tirols wurde 1959, so die Autor*innen, zum »erinnerungskulturellen Wendepunkt«, der die »Wehrmachtsgeneration« rehabilitierte.
       Erst ab den 1990er Jahren regte sich wieder eine Diskussion über den Umgang mit der belasteten Bausubstanz. Die Initiative ging unter anderem vom Denkmalschutz aus, der das Neue Landhaus als »steingewordener Ausdruck eines totalitären Regimes« einordnete, das aus Pietätsgründen gegenüber den Opfern unangetastet bleiben solle. Ein Symposium des Bundes deutscher Architektinnen und Architekten sowie des Wiener Architekturzentrums Erbe verweigert – Österreich und NS-Architektur stellte das Landhaus in eine Reihe mit ähnlichen Bauten, die »in der allgemeinen Wahrnehmung so eingewachsen sind, dass ihre Rolle der Zeitzeugenschaft für das 1000-jährige Reich von kaum jemandem bemerkt wird.« Die Neugestaltung des Eduard-Wallnöfer-Platzes durch das Innsbrucker Architekturbüro LAAC in Form einer ›weichen‹ Landschaft konterkarierte auf eigene Art den Monumentalismus, und auch die (von manchen als störend wahrgenommenen) Skater*innen, die heute den Platz bevölkern, leisten einen Beitrag zur Subversion.
       Wie aber, so die Autor*innen abschließend, soll nun erinnert werden? »Je weiter wir uns zeitlich von der NS-Herrschaft entfernen, desto wichtiger ist es, der heranwachsenden Generation zu vermitteln, was diese Vergangenheit heute noch für uns bedeutet. Nur, wenn wir die Erzählungen der Opfer in das Hier und Jetzt holen, können wir von einer sinnvollen Gedenkkultur sprechen.« Die Anbringung einer Gedenktafel – und darüber wurde in Innsbruck bereits gestritten – reicht daher nicht. Die sehr lohnende Lektüre des Berichtes, der vielsagenderweise im Eigenverlag des Landesarchivs erschienen ist und nur in wenigen Innsbrucker Buchhandlungen aufliegt, hilft da schon sehr.


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