Florian Haydn

Heinrich Hoffer

Paul Rajakovics

Paul Rajakovics ist Urbanist, lebt und arbeitet in Wien.

Susanne Karr


Crossover-Territorien
Paul Rajakovics

Die soeben im Grazer Stadtmuseu­m zu Ende gegangene Ausstellung Islands+ Ghetto­s des Heidelberger Kunstvereins war ein auf einen längeren Zeitraum angelegte­s Diskursprojekt, das immer wieder mit unterschiedlichen Positionen das Thema Grenzen, Territorien, Städte umkreiste. Der dritten und bis dato letzten Ausstellung im Grazer Stadtmuseum gingen mehrere Symposien, jeweils eine Ausstellung in Heidelberg und Berlin und nicht zuletzt ein Katalog voraus. Dieser entspricht eher einem zwei­sprachigen, kleinen, sympathischen Buch und vermittelt im ersten Teil einen diskursiven Überblick über die Eckpfeiler des Themas: „Anhand solcher ,Orte der Krise‘ (Caracas und Dubai sind Hauptfokus von Islands+Ghettos) – zweier Städte, die quasi als Seismographen des 21. Jahrhunderts fungieren – lotet das Projekt die Wirkung sich selbst überlassener Ein- und Ausgrenzungsphänomene in Gesellschaften aus, die ihre Utopie verloren haben, Räume der Integration anstelle der Exklusion zu schaffen“, wie es der Kurator des Projektes Johan Holten in seinem Einleitungstext beschreibt.

Danach folgen Beiträge von Eyal Weizman, Ines Weizman und Anselm Franke, Urban Think Tank, Georg Katodrytis, Kevin Mitchell, Alice Creischer und Andreas Siekmann, Paloma Blanco, Marjetica Potrč, Keller Easterling, Michae­l Zinganel und Frederic Levrat. Leider sind einige Beiträge nur gekürzte Versionen bereits älterer Artikel, was aller­dings nicht deren Relevanz schmälert. Ähnlich verhält es sich bei vielen der gezeigten Ausstellungsbeiträge.

Spannende, speziell für die Ausstellung produzierte Arbeiten gibt es über die Tonspuren und Kartonmodelle bzw. die mit den Städten Dubai, Caracas und Heidelberg verbundenen Wegenetzdiagramme von Michael Zinganel und Michael Hieslmair zu sehen. Auch die Fotos von Multiplicity und die Arbeit zur Karte von Dubai von Alice Creischer und Andreas Siekmann sind neu. Hier stellt auch deren Text über die Entstehung und nunmehrige Aktualisierung von Gerd Arntz’ Grafiken des 1930 entstandenen Atlas zu Gesellschaft und Wirtschaft einen wunderbaren theoretischen Link zu Creischers und Siekmanns eigener künstlerischer Arbeit dar. Sie zeigen hier großformatig die aktuellen, radikal veränderten statistischen Größenverhältnisse von Dubai in der Bildstatistik von Gerd Arntz. Wer sich schon länger mit den Themen der Ausstellung befasst, könnte eventuell enttäuscht werden, jedoch bieten Buch und Ausstellung auf jeden Fall einen sehr schönen Überblick zu den genannten Themen für Neueinsteiger und zukünftige Mittäter.

Ausstellung
Islands+Ghettos
Grazer Stadtmuseum
7. Mai bis 5. Oktober

Katalog
Heidelberger Kunstverein (Hg.)**
Islands+Ghettos
Nürnberg: Verlag für moderne Kunst, 2008
160 Seiten, 20 Euro

Auf der Suche nach post-kapitalistischen Werten

Florian Haydn

Als Zuhörer der Konferenz Post-Capitalist City in Pula (Kroatien) vom 14. bis 16. August 2009 ließen sich mehrere Linien aufnehmen. Die erste, direkte Linie folgt den Erwartungen einer Begriffsklärung zum titelgebenden Konferenzthema Post-Capitalist City durch Worte der VeranstalterInnen der in Pula agierenden Pulska Grupa oder der vierzehn eingeladenen Vortragenden aus sieben europäischen Ländern (sechs Vortragende kamen aus Italien). Die zweite Linie verband die durch die Stadt ziehende Konferenz – die ursprünglichen NutzerInnen der drei Tagungsorte ziehen gerade aus – mit Fragen nach Veränderung in der Stadt Pula und nach neuen Möglichkeiten für die von einem linearen Nutzungsprogramm befreiten Orte. Eine dritte Linie ergibt sich aus der Art der Organisation der Konferenz, die die TeilnehmerInnen langsam untereinander zu verbinden begonnen hat. Eine vierte Linie setzt sich über das Konferenzthema hinweg und begreift die Konferenz als Methode, der Stadtverwaltung und den EinwohnerInnen den Willen zur Verhandlung beziehungsweise die Verhandelbarkeit selbst über die durch die Konferenz bespielten, vor kurzem von ihrer ursprünglichen militärischen Nutzung befreiten Stadtgebiete zu signalisieren.

Ohne Vorschläge werden die frei werdenden Stadtflächen der Spekulation durch InvestorInnen überlassen, lautet die Einschätzung der VeranstalterInnen. Die Zukunft will noch gezeichnet werden, und die Konferenz kann eine demokratische Anregung zur Ideenfindung geben, um den üblichen billigen Versprechen einfallender InvestorInnen etwas entgegen zu setzen, die sich bereits mit der Idee, sprich Investitionen, erschöpft haben, dem Versprechen von Wohlstand durch Arbeitsplätze, der Idee, den Tourismus auszubauen oder dem Errichten von Golfplätzen.

Die Annäherung an die erste Linie begann mit einer Enttäuschung. Am ersten Tag wurde Post-Capitalist City inhaltlich nicht einmal direkt angesprochen, sondern ausschließlich durch die Präsentation von mit Sicherheit eleganten und ambitionierten Projekten lediglich umtanzt. Mit diesem Defizit, das einen zu Selbstgesprächen drängte, wuchs umso mehr das Verlangen, sich in und hinter das Schlagwort Post-Capitalist City zu arbeiten, um die Begrifflichkeit zu klären. Kreisten am ersten Tag die Fragen des Publikums mehr um die Projekte selbst, brachte der zweite Tag – die Unruhe im Publikum war zu spüren – Fragen, die die VeranstalterInnen und Vortragenden immer wieder zu Stellungnahmen zu Post-Capitalist City drängten.

Ein Veranstalter formulierte: Nützlichkeit wird nicht durch den Kapitalismus bestimmt („The measure of value is not measured by capitalism“). Und freier im Gespräch: Wertebildung ist in der Post-Capitalist City nicht allein durch die Wertvorstellung, die sich aus dem Abfeiern einer ausnahmslosen Kapitalisierung ableitet, eingegrenzt. Wir zeigen in dieser Konferenz anderes, zum einen durch Projektbeispiele, und zum anderen geben wir ein Signal zur Verhandelbarkeit – ein Handeln, das auf eine andere Art als der kapitalisierte Handel zur Wertschöpfung beiträgt. Ebenso wie es nach wie vor die Moderne gibt, obwohl eine Postmoderne durchlaufen wurde, gibt es nach wie vor den Kapitalismus, brachte eine andere Stimme ein. Hier ist eher der Wunsch, sich selbst über eigene, selbst begriffene Werte klar zu werden, abzulesen als das Ziel, sich allein gegen die Wertvorstellung des Kapitalismus einzuschwören.

„Die Methode persönlicher Erfahrung ist der Schlüssel zur Beschreibung einer neuen urbanen Dynamik“ („Personal experience became the key-method for new urban dynamic description“), war in der Programmankündigung zur Konferenz nachzulesen. Getreu dieser These folgte die Konferenz der dritten Linie, die das Zusammensein der TeilnehmerInnen über die drei Konferenztage als kleine Utopie gestaltete. Dazu ein Beispiel: Der Vormittagsblock mit Vorträgen wurde durch eine ca. drei Stunden lange Pause von den Vorträgen des Nachmittagsblockes getrennt. Ungewöhnlich viel Zeit, die durch Kochen und gemeinsames Essen in einer am jeweiligen Veranstaltungsort improvisiert eingerichteten Küche überbrückt – besser: bereichert wurde. Die Nacht klang im Rojc aus, einem Kulturgelände, das nicht nur den KonferenzteilnehmerInnen, sondern grundsätzlich jedem zur kostenfreien Übernachtung jederzeit offen steht.

Post-Capitalist City
Pula, August 2009

Weitere Information unter:
www.postcapitalistcity.blog.hr
http://www.flickr.com/photos/pulskagrupa/show/
www.florianhaydn.at

Red Vienna, Grey Society
Heinrich Hoffer

Samstag Nachmittag im Architekturzentrum Wien: Zur angekündigten Ausstellungs­führung im Az W haben sich rund 40 Personen versammelt, darunter etwa die Hälfte sichtbar jenseits der Lebensmitte und auf der Suche nach orientierender Information. Die Ausstellung Ich wohne, bis ich hundert bin. Red Vienna, Grey Society zerfällt buchstäblich in zwei Teile. Der erste ist eine angedeutet­e Wohneinheit, anhand derer eine Forschungsgruppe der ETH Zürich die BesucherInnen mit ganz unterschiedlichen Ausformungen von Wohnbedürfnissen im Alter konfrontiert. Spielerisch werden ihnen – je nach Selbsteinschätzung – Wohntypen zugeordnet. Der zweite Teil besteht aus einer – sehr rudimentären – Darstellung von zehn Wiener Projekten aus den letzten zehn Jahren, die in verschiedensten Ausformungen und Graden mit Alters- bzw. Generationen-Wohnen zu tun haben, nebst einem historischem Abriss zu Wohnformen im Alter in einer kleinen Broschüre.

In der stilisierten Wohneinheit mit spärlichem IKEA-Mobiliar plus Grundrissen von Gebäuden oder Modellen, auf deren Rückseite einige wenige Informationen prangen. Die Auswahl scheint ziemlich willkürlich. Sie umfasst Geriatriezentren und historische Gemeindebauten ebenso wie Sonderprojekte von Wohnbaugenossenschaften. Der Eindruck von Zerrissenheit und Willkür lässt sich durch die (Planungs-)Geschichte dieser Wechselausstellung des Az W erklären: Während sie ursprünglich als Ausstellung über eine Serie neuer Geriatriezentren geplant und terminisiert war, musste nach der Streichung von Förderungen kurzfristig Ersatz gefunden werden – eben die Installation der ETH Zürich, kombiniert mit einem vom Wohnbau-Stadtrat finanzierten Blick auf den Stand der Wiener Projekte zum Wohnen im Alter. Gezielte Öffentlichkeitsarbeit in Richtung Menschen nach der Lebensmitte bringt nun auch BesucherInnen, die in der Disziplin „Planlesen“ nicht dem Standard des Az W-Publikums entsprechen. Die Ausstellungskoordinatorin Katharina Ritter ist überzeugt, dass hier ein interessanter Diskussionsanstoß gelungen ist, räumt aber ein, dass die verkürzte Dauer der Ausstellung einer intensiveren Auseinandersetzung des Zielpublikums mit Fragen der Wohnbedürfnisse in der zweiten Lebenshälfte im Wege steht. Dass sie auf das überaus lesenswerte, exzellent bebilderte Buch zum Zürcher Forschungsprojekt – Neues Wohnen in der zweiten Lebenshälfte – verweist, macht traurig deutlich, was der Ausstellung fehlt.

Ausstellung
Ich wohne, bis ich hundert bin.
Red Vienna, Grey Society
Architekturzentrum Wien
13. August 2009 bis 5. Oktober 2009

Andreas Huber (Hg.)
Neues Wohnen in der zweiten Lebenshälfte
Basel u. a.: Birkhäuser, 2008
223 Seiten, 29,90 Euro

Aufbruch in die Nähe
Susanne Karr

Auf den ersten Blick wirkt die Lerchenfelder Straße wie eine unspektakuläre, teils recht zusammengewürfelte, teils ganz normale Wiener Straße – etwas über 2 km lang, führt sie von der Zweierlinie zum Gürtel. War‘s das? Ein Projekt von Elke Krasny und Angela Heide hat diese Straße genauer besehen und die Menschen, die hier ihre Geschäfte führen, mit persönlichen Befragungen aus der Anonymität geholt. Die Lerchenfelder Straße, sehr international, verrät, was Stadt letztlich immer zusammenhält: Verknüpfungen, Vielfalt, Überlebenswille und Flexibilität. Nicht nur die unterschiedliche Herkunft der Menschen, auch die Mischung der Geschäfte – manche langlebig und etabliert, manche kaum eröffnet und schon wieder weg – ist dafür exemplarisch. Die Ausstellung dokumentiert nicht nur Fassaden, sondern auch das Innenleben: Es wird Spiele- und Filmtage geben, die aus den Vorlieben der Befragten gestaltet werden, es gibt ein Podium und eine Kuratorinnenführung. Nächstes Jahr wird bei Turia+Kant ein Buch zum Projekt erscheinen.

Ausstellung
Aufbruch in die Nähe. Wien Lerchenfelder Straße
Ausstellungsdauer: 1. Oktober bis 15. November 2009
Öffnungszeiten: Di 10-12.30 und 15-19 h, Mi 15-19h, Do 10-12.30h
Weitere Informationen: <www.lerchenfelderstrasse.at>

Cinema Komplex
Susanne Karr

Bis 8. November gastiert eine feine Selektion von Experimetalfilmen in den Räume­n der Secession, die sich aus diesem Anlass von schwarzen Kuben besetzen lässt: In jedem Kubus spielt sich ein eigener Film ab, für jeden Film ein eigenes Kino. Für die Auswahl war wichtig, dass alle der sieben präsentierten Filme sich ihrerseits mit der Thematik Film beschäftigen. So gibt es Arbeiten aus Found-Footage-Material, Remakes oder Szenen-Dekon­struktion. Da gibt es die Gegenüberstellung von Material aus Überwachungskameras und Tagebuchnotizen in der Tonspur (Dariusz Kowalski). Oder Innen und Außen werden in Hausfassade und innerem Monolog kontrastiert (Annja Krautgasser). Unheimliche nächtliche Stadttableaus (Ben Pointeker) wollen dechiffriert werden. Ein anderer Film arbeitet mit dem Vertigo-Effekt (nach Hitchcock) und verwendet betörend ein Waldstück als Anti­these zum technischen Aufwand (Johann Lurf). Bei einem hochkomplexen Übertragungsvorgang der zweidimensionalen Bildfläche eines Stanley-Kubrick-Films in 3D und zurück werden Soldaten zu geo­metrischen Pixelanhäufungen (Dietmar Offenhuber). Wiederholung bis zur Sinnleere konstituieren filmisch den Alltag eines Paares (Norbert Pfaffenbichler). Das Projekt Moderne wird in Borgate – einst Drehort von Federico Fellini, Pier Paolo Pasolini und anderen – in seiner Zerrissenheit vorgeführt (Lotte Schreiber).

Ausstellung
CINEPLEX.
Experimentalfilme aus Österreich
Secession, Friedrichstraße 12, 1010 Wien
11. September bis 8. November 2009
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog in deutscher und englischer Sprache.
Weitere Informationen: www.secession.at


Heft kaufen