Elisabeth Haid


Das ArchitektInnenduo Lacaton & Vassal hat längst internationale Bekanntheit erlangt, sei es durch ihre (unkonventionellen) Wohnbauten – vom Einfamilienhaus bis zu Großwohnsiedlungen –, Kulturbauten wie das FRAC Nord-Pas de Calais (siehe Abb.) oder die Adaptierung des Palais de Tokyo 
in Paris. In letzterem findet man sich beim Betreten der Ausstellung inhabiting: pleasure and luxury for everyone im Innsbrucker 
aut wieder: Ein Foto des Innenraums gibt einen lebhaften, fast maßstabsgetreuen Eindruck eines der größten Zentren für zeitgenössische Kunst. Großzügigkeit, Freiheit und Vergnügen – für das Schaffen der beiden ArchitektInnen zentrale Begriffe – treten bereits hier deutlich zutage und werden greifbar. Eine Besonderheit des 1999-2001 bzw. 2010-2012 von Lacaton & Vassal adaptierten Museumsbaus ist die große Freiheit, die er sowohl BesucherInnen, KünstlerInnen 
als auch den ausgestellten Werken zuteil werden lässt und ihn zu einem Ort der Begegnung, Diskussion und Aneignung macht. Dahinter steht die Vision, mit gezielten, minimalen Eingriffen ein Maximum an Raum zu bieten, wie auch die Möglichkeit, die einzelnen Räume flexibel und unabhängig zu nutzen. »Räumliche Großzügigkeit ist wesentlich«, schreiben Anne Lacaton und Jean Philippe Vassal in einem Text zur Ausstellung. »Uns geht es darum, zusätzlichen Raum ohne vorgegebene Funktion zu schaffen, um eine Vielzahl von Nutzungen und Aneignungsmöglichkeiten zu bieten. Dies entspricht unserem Verständnis von Luxus, den wir im Sinn von Großzügigkeit, freier Verwendung und Freude neu definieren.« Ein Prinzip, dem insbesondere auch in den Wohnbauten von Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal große Bedeutung zukommt.
Diese bilden einen zentralen Bestandteil der Ausstellung. Großformatig projizierte Innenraumansichten geben Einblick in neun zwischen 1993 und 2016 realisierte Projekte. Die Fotografien ermöglichen es, in die verschiedenen Projekte einzutauchen und die Wohnräume aus der Perspektive der Bewohner- und NutzerInnen wahrzunehmen. Die im Ausstellungsraum platzierten Möbel laden zum Verweilen ein und wirken wie Versatzstücke aus den Fotografien. Zusätzlich werden ebenfalls mittels Projektionen in Form von (Kurz)Filmen und Studien weiterführende Informationen zugänglich gemacht. Da ist zum Beispiel die Cité Manifeste in Mulhouse. Errichtet wurde die experimentelle Reihenhaussiedlung unter der Prämisse, bei gleichbleibenden Kosten ein Maximum an hochwertigem (Wohn)Raum zu schaffen. Entstanden sind 14 loft-ähnliche Wohnungen, die nicht 
nur aufgrund ihrer Größe (sie weisen fast das doppelte Raumvolumen des üblichen Standards im sozialen Wohnbau auf) 
das Potenzial der Aneignung und kreativen Nutzung durch ihre BewohnerInnen in 
sich tragen. Durch das »Setzen von Prioritäten« und die Verwendung einfacher und kostengünstiger Materialien gelingt es Lacaton & Vassal »gute Architektur leistbar zu machen« und hohe (räumliche) Qualität zu schaffen.
Zu sehen ist auch das Haus Latapie, ein Einfamilienhaus am Stadtrand von Bordeaux. Es ist das erste realisierte Projekt der beiden und nimmt bereits viele der zentralen Aspekte und Grundzüge ihrer Arbeit vorweg: Eine Stahlkonstruktion, zum Garten hin mit durchsichtigem PVC beplankt, umschließt einen einfachen hölzernen Kubus, der alle grundlegenden Funktionen beinhaltet. Sie bildet die klimatische Hülle aus und definiert zusätzlichen, flexibel nutzbaren Raum in Form eines Wintergartens. Je nach Bedarf und Jahreszeit kann das Gebäude durch Tore, Fenster und Klappen den Bedürfnissen 
der BewohnerInnen angepasst werden. Versatzstücke und Elemente industrieller Gewächshausanlagen bilden ein wiederkehrendes Motiv in den Bauten von Lacaton & Vassal. Sie ermöglichen es, das Raumklima zu steuern und gleichzeitig kosten-günstig zusätzlichen Raum zu schaffen. 
Eine zentrale Rolle kommt diesen meist frei programmierbaren Räumen, von der klimatischen Funktion ähnlich der eines Wintergarten, auch bei der Transformation und Erweiterung bestehender Großsiedlungen zu.
2004 setzen Lacaton & Vassal gemeinsam mit Frédéric Druot den Plänen der französischen Regierung, etwa 200.000 in den 1960er und 1970er Jahren errichtete Wohnsiedlungen abzureißen und durch neue Wohnbauten zu ersetzen, die Studie plus entgegen. Darin propagieren sie den Erhalt und die Sanierung der Bauten und stoßen international auf große Resonanz. Mit dem Tour Bois le Prêtre, einem 1961 errichteten Wohnhochhaus im 17. Pariser Arrondissement, bot sich die Möglichkeit, den in ihrer Studie plus vorgestellten Ansatz in die Realität umzusetzen und so das Potenzial aufzuzeigen, das der Umbau bestehender Wohnkomplexe birgt, um ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltigen Wohnraum zu schaffen (bei weitaus geringeren Kosten). Das Wohnhochhaus erfuhr eine technische Sanierung. Durch großzügige Wintergarten- und Balkonmodule wurden die bestehenden Wohnungen um bis zu 40% der ursprünglichen Fläche erweitert. Ursprünglich vorhandene Gemeinschaftsräume wurden reaktiviert und lichte und offene Eingangsbereiche geschaffen. Das Wohnhaus blieb über die gesamte Bauzeit bewohnt, die Mieten erhöhten sich durch den Umbau nicht.
In dieser Herangehensweise wird die Bedeutung und der Wert des Bestehenden für den Planungsansatz von Lacaton & Vassal klar – »Jeder Ort hat schöne Seiten, wenn man ihn mit offenen Augen betrachtet. Jede Beschränkung lässt sich ins Positive wenden.« Der Umbau und die Erweiterung weiterer Wohnhäuser nach dem gleichen Prinzip folgte.
Die in der Ausstellung gezeigten Fotografien sprechen für sich. Sie verneinen die Perfektion, geben den Alltag der BewohnerInnen preis und zeigen, wie verschieden die offen konzipierten Räume von den Bewohner- und NutzerInnen angenommen, gestaltet und bespielt werden. Die absolut sehenswerte Ausstellung birgt unkonventionelle Zugänge und neue Perspektiven auf aktuelle Fragestellungen und Herausforderungen, insbesondere auch im sozialen Wohnbau – sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Konzepte ermöglichen eine Architektur der Großzügigkeit, der Freiheit und Freude: pleasure and luxury for everyone.


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