Alexander Hamedinger


In vielen westlichen Ländern ist momentan ein Wechsel von einer Arbeits- in eine Freizeitgesellschaft zu beobachten. Gemeint ist damit nicht nur, dass viele Menschen mehr »freie Zeit« zur Verfügung haben, indem etwa der Anteil der Erwerbsarbeit an der Lebenszeit generell abgenommen hat, sondern dass der Freizeit ein immer höherer Wert in der individuellen Lebensgestaltung zugewiesen wird. In einigen Städten, in welchen sich dieser Übergang am deutlichsten zeigen lässt, stellt sich damit die dringende Frage, wie mit einem »Mehr« an »freier Zeit«, die sich individuell sehr unterschiedlich darstellt, seitens der Politik und seitens der Stadtplanung umgegangen wird. Vielerorts sind Bestrebungen zu beobachten, dem angesprochenen Wandel, mit einem modernen Freizeitkonzept zu begegnen, welches sich dadurch auszeichnet, den veränderten Bedürfnissen an die Gestaltung von Freizeit angemessene Einrichtungen anzubieten und das Management eines immer vielfältigeren Freizeitsektors effizient zu gestalten. So gibt es auch momentan in Wien innerhalb der Magistratsabteilung 18 Diskussionen um die Erstellung eines den gegenwärtigen Bedingungen angepassten Freizeitkonzeptes[1]. Damit ist auch schon die zentrale Frage dieses Beitrages umrissen: Welche neuen Anforderungen, die sich aus den gegenwärtigen sozialen und ökonomischen Umstrukturierungen ergeben, werden an die Stadtplanung und an die Freizeitpolitik gestellt?

Vorweg ist zu klären, was denn unter »Freizeit« verstanden werden kann: Freizeit ist diejenige Zeit, die den Menschen außerhalb ihrer notwendigen Arbeiten wie Erwerbs- und Versorgungsarbeit sowie Tätigkeiten der Regeneration für die Umsetzung ihrer Interessen und Bedürfnisse zur Verfügung steht. Diese »freie Zeit« hat sich für viele Österreicher wesentlich ausgedehnt. Zwischen 1950 und 1990 nahm die Tagesfreizeit von 1,5 Std. auf 4,1 Std., die Jahresfreizeit von 1,8 Wochen auf 6 Wochen und die Zeit des Ruhestandes von vier Jahren auf 20 Jahre zu. Die zur Verfügung stehende »freie Zeit« wird von vielen Österreichern mit Tätigkeiten wie Fernsehen, Radio hören, Zeitung lesen, telefonieren, u.a. ins Beisl gehen.... - also primär mit Tätigkeiten, die in der Wohnung oder in der Wohnumgebung durchgeführt werden - ausgefüllt (siehe Anhang - Diagramm 1). Wie die Veränderungen im Volumen zur Verfügung stehender Freizeit zu erklären sind, soll im Folgenden grob skizziert werden.

Freizeit im Wandel

Ökonomischer Wandel

Die vergangenen drei Jahrzehnte sind durch erhebliche soziale und ökonomische Transformationen gekennzeichnet. Dieser beruht auf einer Reihe von Faktoren, wobei der zentrale der Übergang vom »Fordismus« zum »Postfordismus« ist. Damit ist die Veränderung eines Systems gemeint, bei der die Art der Wertschöpfung und deren Verwendung (Stichwort: Globalisierung), die Art, wie die Arbeit neu organisiert wird (räumlich durch das Entstehen neuer Produktionscluster, arbeitsrechtlich durch die Deregulierung von Arbeitsverträgen), die Art der Organisation gesellschaftlicher Institutionen (durch Rückgang deren normativer und funktionaler Bedeutung) sowie die Konsummuster (Stichwort: Lebensstile) neu aufeinander bezogen werden. Hierbei wird das angemessene Gleichgewicht aus Wirtschaftswachstum und sozialer Integration neu debattiert und sehr oft zu Gunsten der Stärkung der Wirtschaftsstandortes entschieden. Im Rahmen dieses Übergangs wird auch von einem Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft gesprochen, die einerseits zu einer Zunahme hoher beruflicher Qualifikation (Professionalisierung) und damit veränderten Berufsbildern führt (insbesondere in den unternehmensbezogenen Dienstleistungen), welche wiederum zu veränderten Wertemustern und Lebensstilen führen. Andererseits setzen diese neuen Jobs eine neue Art von Dienstleistungen voraus, die mit einem niedrigen Qualifikationsniveau auskommen. Jene Jobs sind arbeitsrechtlich und zeitlich sehr flexibel organisiert. Insgesamt weist der Dienstleistungs- gegenüber dem industriellen Sektor eine höhere Lohnspreizung und unterschiedlichere kulturelle Muster sowie eine unterschiedlichere Sicherheit der Arbeitsplätze auf. Dies zieht das Risiko marginalisierter Jobs und des daraus resultierenden Phänomens des ‚working poor' nach sich.

Aus der Sicht der Freizeitpolitik ist es vor allem relevant, welche Formen von Arbeitsverhältnissen im Rahmen der »Tertiärisierung« der Stadt in die lokale Ökonomie Einzug halten, da sich aus der Regelung der Arbeitszeit und der Art des Arbeitsverhältnisses unterschiedliche Freizeitwünsche ergeben. Eine zunehmende Deregulierung der Arbeit und ein schnelleres Veralten beruflicher Qualifikationen führt dazu, dass einmal erlernte Berufe immer seltener bis zum Ende der Erwerbszeit ausgeübt werden können; Passagen von Vollerwerbstätigkeit, Arbeitslosigkeit, Umschulung und Fortbildung und Teilzeitarbeit führen zur »Auflösung des Normal-Arbeitsverhältnisses« (Zunahme »atypischer Beschäftigungsverhältnisse«) und damit zu Veränderungen in der zur Verfügung stehenden »freien Zeit«. Dazu kommt, dass die neuen Formen der Prozessinnovationen auch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit beinhaltet (als Tages-, Wochen-, Jahres- und Lebensarbeitszeit), was erhebliche Auswirkungen auf die Verkehrs- und Freizeitentwicklungen nach sich zieht. Von diesen Veränderungen ist insbesondere das Urlaubsverhalten betroffen. Die Zahl der »Urlaube« pro Jahr nehmen zu, wovon insbesondere der Städtetourismus profitiert. Weiterhin fächert sich die Erwerbsarbeit selbst nicht nur auf; auch neben die Erwerbsarbeit treten andere sinnstiftende Konstruktionen; daher entstehen neue Wertegemeinschaften, die weniger über die Arbeit bestimmt sind, d.h. die normative Bindewirkung von Arbeit verliert an Intensität und an eindeutigen Inhalten.

Situation in Wien (vgl. Stadt Wien 1994):

  • die Arbeitszeitregelung entspricht im wesentlichen noch den »klassischen« Vorstellungen: Der überwiegende Teil der Befragten gibt an, nur montags bis freitags zu arbeiten und samstags nie (55%), während 13% werktags und manchmal am Samstag arbeiten. Für das zur Verfügung stehende Freizeitvolumen ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass 70% eine Sechstage-Woche haben und 26% der Berufstätigen häufig Überstunden leisten (s. Anhang - Diagramm 2).
  • Wegezeiten spielen eine wichtige Rolle in Bezug auf das Volumen der »freien Zeit«: Die Hälfte der Befragten muss Wegezeiten von der Wohnung zum Arbeitsplatz zwischen 20 und 30 Minuten hinnehmen, 26% benötigen sogar länger als 40 Minuten.

In einer »globalisierten Ökonomie« gilt es für Städte, sich für internationales Kapital attraktiver zu machen. In der sich daraus ergebenden Städtekonkurrenz werden sogenannte »weiche Standortfaktoren« wie die Lebensqualität oder eben der »Freizeitwert« einer Stadt zu zentralen Marketingeckpfeiler. Unterstützt werden Stadtmarketing-Strategien von Überlegungen zur »Festivalisierung« von Städten. In verschiedenen Kooperationsmodellen zwischen Unternehmen aus dem Freizeitbereich (Kultur, Mode, Tourismus, Musik, Medien, Food) wird einerseits »Hochkultur« und andererseits Freizeit-, Leistungs- und Funsport angeboten, welcher gezielt Jugendgruppen ansprechen soll. Diese Modernisierungs- und Wettbewerbsstrategie der Städte ist sehr ambivalent. Einerseits wird die Stadt als »Bühne« genutzt, mit der Folge, dass städtische Teilgebiete entsprechend »aufgemascherlt« werden müssen. Das bedeutet, dass die Stadt Anlagen einrichten und/oder das städtebauliche Ambiente (Architektur, Gestaltung und Sicherung des öffentlichen Raumes) zur Verfügung stellen muss. Andererseits ergibt sich die Möglichkeit, ein neues Image zu entwickeln, was sich für die Entwicklung des Standorts ebenso wie für die Tourismusindustrie auszahlt wie auch die Zufriedenheit der jeweiligen Bewohnergruppen steigert.

In stadtökonomischen Strategien spielt die Freizeitwirtschaft, die sich zu einer wachstumsstarken Industrie entwickelt hat, einer immer wichtigere Rolle. Dies hängt mit der Entwicklung des Freizeitangebotes und der -nachfrage zusammen. Noch weitreichender als in anderen Wirtschaftssektoren findet hier gegenwärtig ein ökonomischer Umstrukturierungs- und Konzentrationsprozess statt[2]. Die Freizeitindustrie, die Städte und die Einrichtungen der Hochkultur (z.B. »Kulturhauptstadt Europas«) gestalten zunehmend den Städtetourismus. Kunstausstellungen, Musicals, Sommerfestivals, Tagungen und Kongresse werden aufeinander bezogen und in ‚package'-Angeboten im Zuge des internationalen Städtetourismus positioniert und vermarktet, wobei aufgrund engerer fiskalischer Spielräume und eine allgemein rückläufigen Steuerungskraft des Marktgeschehens auch der Einfluss der Kommunen zurückgeht. Sowohl im Event- wie auch im investiven Bereich haben wir es mit einer Form der »Privatisierung« von Freizeiteinrichtungen zu tun, die sich darin ausdrückt, dass die Freizeitwirtschaft nicht mehr von gebietskörperschaftlichen Institutionen dominiert wird. An diese Stelle treten zunehmend international tätige Freizeitinvestoren.

Gleichzeitig verlieren traditionelle Einrichtungen der Freizeitwirtschaft wie etwa Sportvereine, die gemeinnützig arbeiten, an Bedeutung. Generell geht der Anteil an Personen, die in Sportvereinen Mitglieder sind, deutlich zurück. Demgegenüber nehmen kommerzialisierte, professionell gemanagte und auf Gewinn ausgerichtete Freizeiteinrichtungen (z.B. Sport- und Fitness-Centres, Urban Entertainment Centres) in ihrem Stellenwert für Freizeit zu

Sozialer Wandel

Generell kann von einer stärkeren Differenzierung von Wertvorstellungen und Deutungsmustern in Stadtgesellschaften ausgegangen werden, die sich in einer Vielzahl von Lebensstilen niederschlagen. In vielen Städten kann eine Zunahme vertikaler Ungleichheit (sozio-ökonomisch) festgestellt werden, die von sozio-kulturellen Heterogenisierungen begleitet wird. Sowohl die vertikalen als auch die horizontalen, »neuen« Ungleichheiten verräumlichen sich stärker, d.h. übertragen sich durch Wohnstandortwahl und Zuweisungen von Wohnraum in den Stadtraum und führen zum Phänomen der residentiellen Segregation, welche sich direkt auf die Lebensgestaltung und auf die Fähigkeit der sozialen Integration der Menschen auswirkt.

Festzustellen ist eine Ausdifferenzierung der Freizeitlebensstile, die insbesondere die Jugendlichen betrifft, die über besonders viel Freizeit verfügen und in diesem Sektor hohe Pro-Kopf-Ausgaben tätigen. Diese Ausdifferenzierung breitet sich im Rahmen einer »neuen Jugendkultur« zudem über verschiedene Kulturbereiche in die gesamte Gesellschaft aus (Musik, Mode, Medien, Freizeit, Sport) und ist so unmittelbar »markt«- und standortrelevant. Innovative und kreative Programme wie in Wien das »UrbanSpaceLab« oder »Interface« kommen den Bedürfnissen der Jugendlichen entgegen, wobei zunehmend Mehrfachnutzungen öffentlicher Anlagen und die Einrichtung von Räumen als mögliche Treffpunkte gewünscht werden; traditionelle Jugendorganisationen und Vereine verlieren jedoch an Attraktion, weil sie als »unmodern« erscheinen.

Situation in Wien (vgl. Stadt Wien 1997):

  • Einen großen Teil der Freizeit verbringen die Jugendlichen zu Hause oder in ihrer Wohnumgebung. An der Spitze der Freizeitaktivitäten liegen Musik hören, soziale Kontakte pflegen, Styling, Fernsehen, Zeitschriften lesen, Telefonieren und Ausgehen. Shopping ist ein zentraler Bestandteil der Verwendung der freien Zeit.
  • Jeder zweite Wiener Jugendliche gibt an, häufig Sport zu betreiben, wobei hier Radfahren, Schwimmen, Schifahren und Inline-Skating sowie Bodystyling wichtig sind.

Weitere zentrale Elemente des sozialen Wandels sind:

  • Die zunehmende Überalterung der Gesellschaft (‚greying society'): diese führt neben dem quantitativen Zuwachs an älteren Menschen zu einer Ausdifferenzierung der Lebensverhältnisse und Lebensweisen auch unter den älteren Menschen. Dieses wirkt sich auch auf die Menge und die Art der Freizeit in dieser Altersgruppe aus. Von denen, die die Zeit nach dem Ruhestand und dem Auszug der Kinder aus dem Elternhaus als eine dritte Lebensphase gestalten können (»neue Alte«), zeigen viele ein sehr ausgeprägtes Freizeitverhalten (Bildung, Kultur, Reisen, Wellness), was jene Altersgruppe erstmals zu einem relevanten Marktsegment des Freizeitsektors macht.
  • Die Zunahme an Scheidungen, der Rückgang der Geburtenrate, der Zahl der Eheschließungen und des Erstheiratsalters sowie die Zunahme an »neuen Partnerschaften« führen zu Veränderungen in der Abfolge der Haushalts- und Beziehungsorganisation. Je mehr durch Trennung und Scheidung, Zurückweisung von Geburt und Ehe die Biographien vielfältiger werden, um so mehr spricht man von einer »Auflösung der Standard-Normalbiographie«. »Neue« Haushaltstypen und die veränderten Bedingungen des Arbeitsmarktes führen zu einer zunehmenden Flexibilisierung der Zeitmuster.
  • Schließlich ist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der gestiegenen Mobilität für die Freizeitentwicklung hinzuweisen, wobei inzwischen der Freizeitverkehr den bedeutendsten Verkehrszweck darstellt. Die Ursachen für die gestiegene Freizeitmobilität liegen dabei vor allem in der Abnahme der Erwerbsarbeitszeit, dem gestiegenem Lebensstandard, der Flucht aus dem Wohnumfeld und der Schaffung von Freizeitgroßangeboten im Umland von Städten.

Alle aufgeführten Trends werfen Schlaglichter auf einen intensiven gesellschaftlichen Wandel, ohne jedoch die Komplexität der einzelnen Interdependenz zu benennen. Grundsätzlich gilt, dass die deutlicher werdenden Trends an mehr frei verfügbarer Zeit, frei verfügbarem Geld, an Befreiung von normativen Zwängen, an ausdifferenzierteren Wertestrukturen aber auch mit zunehmenden Ungleichheiten in eben diesen Dimensionen einhergehen. So stehen die Zunahme von ‚Armut im Wohlstand' und ein zunehmend extensives Freizeitverhalten ebenso wenig im Widerspruch zueinander wie die Freiheiten der Entstrukturierungen (Biographie, Arbeitsplatz, Familie, Zeitablauf) mit den Zwängen der Neu-Orientierung von Personen (Lebensstile) und Institutionen (politische Steuerung, lean administration, new public management).

Freizeitpolitik und Stadtplanung

Freizeitpolitik und Freizeitinfrastrukturplanung können die skizzierten Trends nicht verhindern; sie sollten sich vielmehr den neuen Gegebenheiten in sinnvoller Weise anpassen. Aufgrund des skizzierten sozialen Wandels gibt es weniger Eindeutigkeit und Sicherheit für Politik und Planung. Die Ansprüche an die Stadtplanung sind vielfältiger geworden und es sind differenziertere Bedürfnisse zu befriedigen. Arbeitslosigkeit, Zuwanderung und ein zunehmend deregulierter Arbeitsmarkt werden die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen weiter vergrößern, dem ein modernen Sozialstaat weder durch eine Steigerung der Transferleistungen noch durch eine Zunahme der Zahl der Sozialarbeiter wird begegnen können. Eine zunehmende sozio-kulturelle Heterogenisierung der sozialen Milieus und der Lebensstile wird die Unterschiede innerhalb der Gesellschaft weiter vergrößern, was die gesellschaftlichen Fähigkeiten zur Integration und Solidarität weiter zurückdrängt. Es stellt eine große Herausforderung an eine moderne Freizeitpolitik dar, dass sie mit ihren Mitteln einen Beitrag zur Integration von Stadtgesellschaften leistet. Die entstehenden Segregations- und Konzentrationsmuster der Raumnutzung können die sozialen Ungleichheiten zwischen gesellschaftlichen Gruppen weiter verstärken. Das bedeutet eine zunehmende Verantwortung der Kommunen für die nahörtliche Freizeitinfrastruktur in diesen Gebieten, in denen die Menschen Geld- und/oder Zeitknappheit haben. Eine entsprechende Wohnumfeldgestaltung würde insbesondere denjenigen Menschen entgegenkommen, die aufgrund ihres Alters, ihrer sozialen Lage und ihrer Herkunft und/oder ihrer Gesundheit eine hohe Immobilität aufweisen. Nicht zuletzt sind es jene Gruppen, die sich vermehrt im öffentlichen Raum ihrer Wohnumgebung aufhalten. Hier gilt es, Möglichkeiten für diverse Nutzungen zu verschiedenen Zeiten zu schaffen (Orte für Jugendliche, Grünraum, Spielplätze, Sportmöglichkeiten). Es ist festzuhalten, dass es in Wien - regional unterschiedlich verteilt - ein Defizit an öffentlich zugänglichen Spiel- und Sportflächen und an Freizeitangeboten im Wohnumfeld gibt.

Situation in Wien (vgl. Stadt Wien 1994):

das Fehlen von Naturraum, von Bädern, einer Grünanlage, Sporthallen für nicht vereinsgebundene Aktivitäten in der Wohnnähe wird am häufigsten kritisiert (siehe Anhang - Diagramm 3). Mit der Ausstattung der Wohnumgebung mit Kinderspielplätzen sind vor allem jüngere Leute unzufrieden.

Aus den veränderten Zeitmustern ergeben sich für die Stadtplanung u.a. folgende weitere Anforderungen:

· Verbesserung der vorhandenen öffentlichen Freizeiteinrichtungen- und flächen in Richtung Kundenorientierung (z.B. flexible Öffnungszeiten, Mehrfachnutzungen) und Modernisierung des Managements (betriebswirtschaftliche und soziale Kompetenzen verstärken); Mehrfachnutzungen von Freizeiträumen vor allem in der Wohnumgebung müssen den differenzierteren Ansprüchen der Bevölkerung entgegenkommen. Hier ist an die Mehrfachnutzung etwa von Sporthallen in Schulen oder Schulsportplätzen oder an die Nutzung von Baulücken, Freibädern (außerhalb der Badezeit), Vereinssportplätzen, Kindergärten oder privaten Gärten zu denken (dazu gibt es konkrete Konzepte in der MA 18)

· Stärkere Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in der Planung und Umsetzung von Freizeitprojekten im Sinne einer stärkeren Bedürfnisorientierung

· Durchführung eines effizienten Flächenmanagements im Sinne einer aktiven Bewirtschaftung von Flächen

· Effiziente Planung des stärker werdenden Freizeitverkehrs, in welchem der Autoverkehr dominiert und Einführung von Maßnahmen der Verkehrsvermeidung

Neben der angesprochenen Verantwortung der Kommunen für die Versorgung der Bevölkerung mit Freizeitmöglichkeiten in ihrem Grätzl, in der Wohnumgebung stellt sich die Frage wie die Stadtplanung mit Freizeitgroßprojekten wie Sportevents oder Urban Entertainment Centers umgehen soll. Events bedeuten die Koordination von Netzwerken, die Einbindung in ‚Tournaments' und das zur Verfügung stellen städtischer Räume. Sie sind von der Anbieterseite in Projekten organisiert, d.h. zur Ausrichtung einzelner Events oder ganzer Tournaments arbeiten vor Ort jeweils Spezialisten befristet zusammen, welche von einer zentralen, oft internationalen Organisation gesteuert werden. Städte sollten sich als Kooperationspartner diesen flexiblen Strukturen anpassen (public private partnerships) und entsprechend flache Entscheidungsstrukturen ausarbeiten. Dazu gehört jedoch eine Strategie, in welche Themen sich die Stadt wie aktiv einbinden lässt (zwischen dem zur Verfügung stellen des Ortes der Aktivität, über Mit-Managemnet bis zum Auftraggeber und Mit-Profiteur). Die Themen und das Ausmaß des Engagements wird durch die Positionierung gegenüber Milieugruppen der Wohnbevölkerung, die erreicht werden sollen, sowie den Schichten der Touristen und der Branchenstruktur, die an Wien gebunden werden soll, bestimmt.

Den neuen Freizeittrends wird etwa auch in Multiplexx-Kinoanlagen Rechnung getragen, da konzeptuell auf die Verbindung von Erlebnisgastronomie, Shopping und Kino gesetzt wird. Als Investoren treten zumeist internationale »Freizeitkonzerne« auf, die das notwendige Kapital für die Errichtung aufbringen und sich einen schnellen Gewinn bei hoher Rendite erwarten. Folgende Aspekte sind dabei seitens der Stadtplanung zu berücksichtigen: Multiplexx-Kinos haben einen Einzugsbereich mit einem Radius von mindestens 20 km, was bedeutet, dass die Auswirkungen auf die gesamte Region, zumindest das regionale Segment gravierend sein werden; das Verkehrsaufkommen wird beträchtlich zunehmen, da zu solchen Einrichtungen vor allem mit dem PKW gefahren wird; durch die zusätzliche Errichtung von Multiplexx-Anlagen entsteht ein Verdrängungswettbewerb gegenüber den bestehenden Kinos in der Region und zwischen den gleichartigen Einrichtungen selbst; der Kaufkraftsog solcher Einrichtungen, vor allem bezogen auf die umgebende Gastronomie ist beträchtlich; die Errichtung solcher Anlagen unterstützt die zunehmende Kommerzialisierung und Konzentration in der Film- und Kinolandschaft zu Lasten qualitativ hochwertiger Angebote.

Bezogen auf die Errichtung solcher Großanlagen (wie etwa auch von Urban Entertainment Centers) hat das Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen schon Mitte der 90er Jahre auf kritische Punkte hingewiesen (s. Anhang - Diagramm 4). Negative Auswirkungen bezogen auf die Raumentwicklung, die Umwelt, den Verkehr, das Landschaftsbild und die regionale Wirtschaft werden dabei in Betracht gezogen. Gefordert werden: · eine weitreichende funktionale und städtebauliche Integration, · eine ökologische Integration, · eine verkehrliche Integration, · eine soziale und kulturelle Integration des Landschaftsbildes und · eine wirtschaftliche Integration.

Aspekte einer modernen Freizeitpolitik

Eine moderne Freizeitpolitik hat entsprechend der jeweiligen gesellschaftlichen Sichtweise auf Arbeit und Freizeit die Rahmenbedingungen der Freizeit sicherzustellen. Es geht hier weniger darum, dass die öffentliche Hand die Verantwortung über die Finanzierung der Freizeit insgesamt übernimmt, sondern vielmehr darum, dass verschiedene Formen der Freizeit möglich sind. Dazu ist eine integrierte und ressortübergreifende Planung sinnvoll, welche die Erhöhung der Lebensqualität der Bevölkerung zum Ziel hat. Dazu muss es im Zuge der Modernisierung der Verwaltung (»New Public Management«) zu neuen korporatistischen Formen und Verhandlungsstilen in der Organisation von Freizeit kommen. Neue Kooperationsmodelle zwischen verschiedenen Freizeitanbietern, die sich in modernen Beteiligungsformen und Betreibermodellen ausdrücken, sind notwendig, um einerseits die Stadtplanung zu entlasten und andererseits trotzdem die Interessen der Stadt im Sinne eines ausformulierten Freizeitkonzeptes zu wahren. Hier gilt es, vor allem bezogen auf die Errichtung von Freizeitgroßanlagen, eine win-win-Situation zwischen betriebswirtschaftlichen und öffentlichen Interessen herzustellen.

Freizeitpolitik hat die Aufgabe, den verschiedenen Nutzergruppen gerecht zu werden, die sich in ihrem Verhalten, ihren Werten und Wahrnehmungen sowie in ihrem Lebensstil voneinander unterscheiden. Da diese große Klammer der Freizeitpolitik - Berücksichtigung von Freizeitbedürfnissen der Menschen mit niedrigem Einkommen und aus sozial benachteiligten Gruppen (etwa Arbeitslose, größere Familien, Frauen und Migranten) bis zu Bedürfnissen der Menschen mit hohem und sicherem Einkommen - nur schwierig zu leisten ist, muss seitens der Stadt eine besondere Akzentuierung der Freizeitpolitik in Richtung jener Nutzergruppen gehen, die sich als besonders benachteiligt darstellen. Andererseits ist es jedoch auch notwendig, auf die neuen Entwicklungen des Freizeitverhaltens zu reagieren. Gerade im Bereich der Jugendkultur(en) und in den neuen Branchen des Dienstleistungssektors entstehen vielfältige Formen der Freizeit in und neben traditionellen Formen der Freizeitgestaltung. Diese neuen Trends werden jedoch immer kurzlebiger. Eine überwiegend auf kurzfristige Kapitalinteressen ausgerichtete Freizeitpolitik ist daher ambivalent und entspricht nicht einem umfassenden und kontinuierlichen Ansatz einer neuer Freizeitpolitik. Für Wien wird es darum gehen, sich diesen in diesem Beitrag kurz skizzierten Herausforderungen zu stellen, indem ein Freizeitkonzept entwickelt wird, das der Ausdifferenzierung des Freizeitverhaltens und den immer heterogeneren Freizeitbedürfnissen, welche sich sowohl auf Freizeitevents als auch auf eine gute Ausstattung des Grätzls oder der Wohnumgebung mit Freizeiteinrichtungen beziehen, gerecht wird.

Die Version im Heft ist leicht gekürzt.

Fußnoten


  1. Dieser Betrag entstand im Rahmen des Projektes »Bausteine der Wiener Freizeitpolitik«, welches an der TU Wien, Institut für Stadt- und Regionalforschung, im Autrag der Stadt Wien, MA 18, durchgeführt wurde. ↩︎

  2. So kann für die Kinoindustrie festgehalten werden, dass nur sechs große internationale Verleihfirmen 90 % der Umsätze auf dem österreichischen Kinomarkt erzielen. ↩︎


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