Robert Temel

Robert Temel ist Architektur- und Stadtforscher in Wien.


Was Landschaft tut und wie sie es tut, nicht was sie ist, wird in dem Sammelband Landschaftlichkeit thematisiert, den die drei KunstwissenschaftlerInnen Irene Nierhaus, Josch Hoenes und Annette Urban vom Institut für Kunstwissenschaft und Kunstpädagogik der Universität Bremen herausgegeben haben. Der Band ist Resultat einer Tagung unter dem Titel Landschaft, Gehäuse, Orientierung. Territorialisierungs- und Naturalisierungsprozesse in Stadt, Wohnen und Körper, die 2009 in Bremen stattgefunden hat.
Was bedeutet nun also Landschaftlichkeit? Der Band steht mit seiner spezifischen Perspektive in direktem Bezug auf, aber auch in kritischer Abgrenzung von W.J.T. Mitchells Landscape and Power von 1994. Dieses Buch war überaus einflussreich vor allem darin, den Landschaftsbegriff zu dynamisieren, Landschaft nicht als Objekt, sondern als Prozess oder Kraft zu verstehen, und ist damit einer der Ausgangspunkte für die gegenwärtige Landschaftstheorie, die mittlerweile auch im deutschsprachigen Raum einige wichtige Publikationen hervorgebracht hat. Mitchell fragte also, was Landschaft denn täte. Die Abgrenzung von Mitchell in diesem Band besteht wesentlich in einer kleinen, aber zentralen Akzentverschiebung: Während Mitchell den scheinbar neutralen Begriffen Ort und Raum die Landschaft als diejenige räumliche Formation gegenüberstellt, die mit dem Bild verknüpft ist, werden hier alle drei Begriffe als bildbezogen verstanden – ein Zugang, der sicherlich von der seit 1994 fortgeschrittenen Theoretisierung des Raumes profitiert.
Was aber bedeutet Landschaft, wenn sie nicht einfach der bildhafte Ort oder Raum ist? Warum der Übergang zu dem überaus ungewöhnlichen Begriff Landschaftlichkeit? »Landschaftlichkeit meint das ,unebene‘ Ineinandergleiten von Displayräumen, entlang einer motivischen Wiedergabe von Landschaft.« Das Unebene bezieht sich auf Roland Barthes’ Charakterisierung der malerischen Landschaft der Touristenführer – Landschaft ist demnach zwar kontinuierlich, aber nicht homogen, sondern uneben. Man könnte schließen, dass Mitchell eher eine dynamisierte Perspektive auf – in dieser Konzeption – sonst statische Objekte (Raum, Ort) unter dem Begriff der Landschaft zusammenfasste, also ein landscaping des Raums und des Ortes, die dadurch mit Bildern verknüpft werden können. Dem gegenüber versucht dieser Band, verschiedene räumliche Objekte, die immer schon auch bildhaft sind, als landscaped zu betrachten, also auf eine spezifische Art synthetisiert, verknüpft, in einen mehr oder weniger kontinuierlichen Fluss gebracht, immer auch auf Basis dieser Bildhaftigkeit – Landschaft wird hier nicht, wie bei Mitchell, zum Verb, sondern zum Adjektiv. Damit wird die Landschaftlichkeit zum Charakteristikum aller synthetisierenden, unebenen Beziehungsräume, ob nun Stadt oder Wohnung, Grenze oder Körper. Die Frage ist somit nicht mehr nur: Was tut Landschaft? Sondern vielmehr: Was tut die (bildhafte) Synthetisierung von Räumen mit ebendiesen Räumen? Was tut sie dadurch für das Subjekt, den Staat, die Nation? Für die Gesellschaft, die Wissenschaft, die Kunst? »Letztlich heißt das: Es geht nicht allein darum, WAS Landschaft TUT, sondern vor allem auch darum, WIE sie es TUT.«
Ausgehend von einer solchen theoretischen Positionierung liefern insgesamt 21 Beiträge Beispiele dafür, welche Konsequenzen der Begriff der Landschaftlichkeit für Kunst- und Architekturgeschichte, Kunsttheorie und Philosophie hat. Drei grundlegende Artikel zur Landschaft als Raumdisplay (Irene Nierhaus), zu Subjekt und Landschaft (Cornelia Klinger) und zu Medien und Landschaft (Alessandra Ponte) leiten drei Kapitel ein: Raumorgane, Nationalisierungen/Kolonialisierungen sowie Planfiguren. Das Spektrum reicht von Jochen Beckers ethnografischem Bericht aus den brandenburgischen Tropical Islands im ehemaligen Cargo-Lifter-Dom, die in einer Tradition der Kolonisierung des Spreewalds stehen, bis zu Elke Krasnys Garden as Community, einer Analyse des »Gärtnerischen« und seiner sozialen Bedeutung im urbanen Raum. Als beispielhaft für die Kategorie der Landschaftlichkeit kann Christa Kamleithners kurze Untersuchung des liberalen Beginns der modernen Stadtplanung und seiner Auswirkungen auf die aktuelle Stadtplanungspraxis gesehen werden: Kamleithner sieht die Stadt als »differenzierte«, also ebenfalls unebene, »Interessenslandschaft«, demnach als heterogene Strukturierung des städtischen Raums ausgehend von Interessen der AkteurInnen, und das bedeutet vor allem auch: ausgehend von der Macht, mit der sich diese Interessen formieren. Die Basis der liberalen Stadtplanung ist das Modell des homo oeconomicus, des Menschen, der seinem Interesse gehorcht (Michel Foucault). Dieses Interesse konvergiert spontan mit dem Interesse der anderen. Doch dieses Interesse ist nicht die Natur des Menschen, sondern ein spezifisch modernes Konstrukt, das auch disziplinierend wirkt.
Sowohl dieser Band als auch sein Vorgänger (Elke Krasny, Irene Nierhaus, Josch Hoenes (Hg.): Urbanografien. Stadtforschung in Kunst, Architektur und Theorie, Berlin 2008) und das Nachfolgeprojekt wohnen +/– ausstellen sind Ausdruck des Forschungsprofils des Bremer Instituts für Kunstwissenschaft und Kunstpädagogik, das mit den Begriffen »Bild, Raum und Vermittlung« zusammengefasst wird. Diese drei Begriffe sind hier eng verknüpft, aufeinander bezogen und Grundlage dafür, die jeweiligen Themen interdisziplinär, ja sogar transdisziplinär zu untersuchen. Diese Ausrichtung und die Publikationen stehen somit auch im Rahmen der fortschreitenden Bedeutungssteigerung des Raumbegriffs, ohne dabei jedoch Macht als zentrales Analyseobjekt zu vergessen.


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