Andreas Rumpfhuber

Andreas Rumpfhuber is an architect and researcher in Vienna.


Die Kulturwissenschaften wenden sich. Da der linguistic turn, dort der performative turn und andernorts der iconic turn. Mitunter wird einem schwindelig, bei so vielen Kehren und Wendungen; und man verliert leicht die Orientierung. Die Häufigkeit, mit der die Kehre und die Wendung als Denkfigur reklamiert werden, hat, so das Vorwort des vorliegenden Buches, mit dem Gegenstand der „Räumlichkeit“, die zusehends im kulturwissenschaftlichen Diskurs Verbreitung findet, zu tun. Die Hinwendung zum Gegenstand Raum/Räumlichkeit wird dann als topographical turn (Sigrid Weigl, 2002) oder auch spatial turn (Karl Schlögl, 2002) im Diskurs umschrieben. War noch in den achtziger und frühen neunziger Jahren die Neukonzeption des Körpers im Fokus des Diskurses, wird mit Peter Sloterdijk (siehe: Peter Sloterdijk, Sphären – Eine Trilogie; erschienen zwischen 1998 und 2004 bei Suhrkamp) die bei Heidegger implizit bleibende Hinwendung zum Raum expliziert. Dessen Schaum- und Zellenmotiv differenziert sich vom Netzwerkgedanken der letzten Jahre dahingehend, dass es nicht länger ausschließlich radikal unräumlich in Schnittstellen, Interfaces und Punkten denkt, sondern zu zeigen versucht, dass das kleinste Element, die Schaumblase/die Zelle, schon eine Eigenausdehnung hat (doch dazu an einer anderen Stelle mehr). Das erwachte Interesse den Raum/das Räumliche als Filter der kulturwissenschaftlichen Theoriebildung zu nehmen, war 2002 Anlass für die Gründung einer interdisziplinären Arbeitsgruppe unter dem Titel Raum – Körper – Medium, deren erste ambitionierte Publikation nun vorliegt.

Das Buch ordnet sich in drei Abschnitte. Der erste, einleitende Teil versucht mit zwei Beiträgen die Relation von Raum, Körper und Medium zu umreißen und das Fundament des Buches zu bilden. Wobei Hermann Doetsch mit Bezug auf Kant und Deleuze einen dynamischen Raum menschlicher Praxis entwirft und Andreas Mahler in der Tradition der Kulturanthropologie die „Positionalität des Menschen als raumkonstitutives Moment mit der Entstehung sprachlicher Ordnung sowie mit Theorien des Imaginären nach Lacan und Iser zusammen denkt“.

Der zweite Abschnitt widmet sich der Räumlichkeit von Schriftkultur(en). Anhand von Fallstudien aus der Literatur (u.a.: Ferragus von Honoré de Balzac oder Songs of Experience von William Blake) und der Geschichte (u.a. frühneuzeitliche Ständegeschichte) werden die Konzeptionen von Raum im Laufe der Geschichte untersucht.

Im letzten Teil des Buches wird die Relation von Räumen und technischen Medien im zwanzigsten Jahrhundert untersucht. So zum Beispiel eine Diskussion von Rainer Zuch über den Zusammenhang von Raumdarstellungen in der bildenden Kunst mit den jeweiligen Weltanschauungen oder einen wunderbaren Artikel über den gegenständlich gedachten Raum in David Lynchs Mulholland Drive von Victor Andrés Ferretti. Dietrich Scholler gibt uns Einblick in die Konstruktion von Raum in der Hypertextliteratur und Florian Leitner präsentiert schlussendlich die Räume der Computerspiele als eine Art „postorganischer Theatralität“.

Vor allem wohl der letzte Abschnitt des Buches öffnet den, mitunter komplizierten, explizit kultur- und raumtheoretischen Diskurs hin zu einem möglichen Diskurs in der Architektur und im Urbanismus, der z.B. bei Robin Evans (Figures, Doors and Passages, 1978) einen konkreten Anknüpfungspunkt hat. Die textuelle Konstruktion surrealer Räume, wie sie der Hypertext ermöglicht, die filmische Explikation einer „kurvenreichen Fahrt der Psyche“ (V.A. Ferretti S. 280) und schlussendlich die Analyse der Computerspiele als Raumkunst leisten einen Beitrag zum Verstehen einer zeitgenössischen Konzeption von Raum, die ihrer Umsetzung in Architektur harrt.

Das vorliegende Buch bietet eine gut sortierte Gemischtwarenhandlung von raumtheoretischen Fallstudien, die nur darauf warten gelesen zu werden. Darüber hinaus sei noch auf die umfangreiche Webseite der Arbeitsgruppe verwiesen: www.raumtheorie.lmu.de


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