Milena Hufnagel


Nicht mehr und nicht weniger als eine urbane Revolution fordert Florian Schmidt in seinem Buch Wir holen uns die Stadt zurück. Wie wir uns gegen Mietenwahnsinn und Bodenspekulation wehren können. Der Berliner Baustadtrat für Friedrichshain-Kreuzberg teilt auf gut 280 Seiten seine Erfahrungen als ›Aktivist im Amt‹ über die Auseinandersetzung mit der allgegenwärtigen Wohnungs- und Bodenfrage.
       In leicht verständlicher Sprache und mit einem pragmatischen Ansatz geht er im ersten Teil des Buchs auf die Rahmenbedingungen des deutschen Wohnungsmarkts ein. Er zeigt auf, wie Gesetze Mietenrendite befördern, welche Dynamiken Spekulation und Gentrifizierung in Großstädten aufzeigen und welche Problematiken das Narrativ mit sich bringt, der Kauf von Eigentumswohnungen sei der beste Weg zur Altersvorsorge. Neben verschiedenen regulierenden Maßnahmen, welche den Markt einschränken, genannt sei hier der Berliner Mietendeckel, setzt sich Schmidt auch mit dem vermeintlichen Allheilmittel, durch Bauen das Angebot zu vergrößern auseinander. Anhand verschiedener Beispiele veranschaulicht er, dass es nicht die oft prophezeiten Auswirkungen auf die Mieten zeigt. Schmidt gelingt es hier, ein Thema zugänglich zu machen, welches zwar viele Menschen in ihrem Alltag betrifft, das sie aber nicht unbedingt alle verstehen.
       Der Kern seines Buchs und damit auch seiner Botschaft ist, die Perspektive Eigentum neu zu denken, weg von einer profitorientierten Immobilienwirtschaft, hin zu einem Umgang mit städtischem (Wohn-)Raum, welcher an Gemeinwohl und nicht an Besitz geknüpft ist. Im Zuge dessen stellt er verschiedenste Möglichkeiten der Gemeinwohlbewirtschaftung vor. Neben dem Mietshäuser Syndikat und der Stiftung Trias behandelt er unter anderem verschiedene Hausprojekte, Best-Practice-Beispiele aus Wien und München sowie Konzepte wie den Munizipalismus.
       Die Bausteine des Wandels, welchen Florian Schmidt als eben jene urbane Revolution beschreibt, sind: Rebellion und Selbstorganisation als Lebensstil, nachbarschaftlicher Austausch und Zusammenhalt, kollektives Eigentum und Selbstverwaltung, weniger privater Raum, mehr geteilter Raum und die Vertreibung des Autos aus der Stadt. Dieser Wandel, so Schmidt, findet in drei Dimensionen statt: in den Köpfen, in den Rahmenbedingungen von Immobilieneigentum und in der Bereitschaft, in Gemeinwohlimmobilien zu investieren, sowohl auf staatlicher als auch privater Seite. In der Formulierung seiner Vorschläge gelingt es ihm, die abstrakte Ebene zu verlassen und tatsächliche Vorschläge vorzubringen, wie ein Wandel gelingen könnte.        Die Akteur*innen, die diese Revolution möglich machen, finden vielfach Eingang in jedes Kapitel des Buchs. Sie sind stadtpolitische Bewegungen, radikale, aber pragmatische Politiker*innen, sowie gemeinwohlorientierte immobilienwirtschaftliche Organisationen. Schmidt zeigt durch sie in Form von Infokästen und Beispielen auf, was möglich ist, er macht das Buch dadurch zugänglich und das Erlernte greifbarer.
       Denn Wir holen uns die Stadt zurück kann als Lehr- und Handbuch verstanden werden, als Einführung in die stadtpolitische Selbstermächtigung. Am Ende des Buchs findet sich gar eine Anleitung für Stadtmacher*innen, welche für verschiedene Szenarien Möglichkeiten beschreibt, mehr zur gemeinwohlorientierten Stadt beizutragen. Sei es für Menschen mit Immobilienbesitz, welche mieter*innenfreundlich verkaufen wollen, oder für Miet­ende, welche erfahren haben, dass ihr Haus gerade verkauft wurde.
       Obwohl Schmidt auch auf die Situation einzelner Betroffener eingeht, verliert er in seiner Beschreibung immobilienwirtschaftlicher Phänomene nicht das große Ganze aus den Augen. Dieses Nebeneinander von systematischer Analyse und individuellen Hilfestellungen im Kampf gegen steigende Mieten und Wohnraumspekulation machen die Qualität der Publikation aus. Sie nimmt diejenigen an die Hand, die nicht genau wissen, was Spekulation (für ihre Situation) bedeutet und gibt ihnen das Handwerkszeug, dagegen vorzugehen.
       Für Expert*innen der relevanten Disziplinen zeigt das Buch kaum neue Themen und Inhalte auf. Das will und kann das Buch aber auch gar nicht leisten. Fachlich gebildete Leser*innen können allenfalls durch Schmidts Perspektive als Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg neue Einblicke gewinnen.
       Gerade weil das Buch besonders auch für ein Laien-Publikum interessant ist, ist die Covergestaltung leider eine vertane Chance, Menschen zum Lesen zu animieren, die den abgebildeten Florian Schmidt eben nicht kennen. Titel und Untertitel spiegeln den Inhalt passend wider. Die Bildgestaltung hätte diesen Zweck besser erfüllen können.
       Nichtsdestotrotz ist Wir holen uns die Stadt zurück ein sehr gelungener Überblick über die Möglichkeiten, die wir als Städt­er*innen haben, unsere Lebensräume so zu gestalten, dass sie dem Gemeinwohl dienen und nicht das Vermögen einiger weniger erweitern. Florian Schmidts Erfahrungen als Baustadtrat bieten Einblick in Abläufe und Dynamiken, welche schwer zu durchschauen sind. Gerade deshalb ist die Lektüre seines Buchs sehr zu empfehlen. In Berlin und anderswo.


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