Herbert Eichholzer: Architekt und Kommunist
Besprechung von »Totes Leben gibt es nicht. Herbert Eichholzer 1903-1943« von Antje Senarclens de Grancy und Heimo Halbrainer und »Herbert Eichholzer. Architekt« von Dietrich Ecker und Peter H. SchurzAntje Senarclens de Grancy / Heimo Halbrainer
Totes Leben gibt es nicht.
Herbert Eichholzer 1903-1943.
Architektur / Kunst / Politik
Mit einem Vorwort von Friedrich Achleitner und einem Beitrag von Urs Hirschberg
Wien: Springer Verlag, 2004
235 Seiten, 25 Euro
Dietrich Ecker (Autor)
Peter H. Schurz (Hg.)
Herbert Eichholzer: Architekt.
Reihe »Wissen aus dem Archiv«
Band 01
Wien, Graz; Neuer Wissenschaftlicher Verlag, 2004
210 Seiten, 48 Euro
»Das Hauptmerkmal des menschlichen Lebens, dessen Erscheinen und Verschwinden weltliche Ereignisse sind, besteht darin, daß es sich selbst aus Ereignissen gleichsam zusammensetzt, die am Ende als eine Geschichte erzählt werden können, die Lebensgeschichte, die jedem menschlichen Leben zukommt und die, wenn sie aufgezeichnet, also in eine Biographie verdinglicht wird, als ein Weltding weiter bestehen kann.« (Hannah Arendt, zitiert nach Eva Meyer, Autobiographie der Schrift, Frankfurt/Main, Basel, 1989)
Architekturschaffende hinterlassen in der Welt neben der Geschichte ihres Lebens auch gebaute Objekte und virtuelle Projekte. Und wenn sie, so wie Herbert Eichholzer, auch noch politisch aktive Menschen waren, darüber hinaus Spuren in der kollektiven, polyphonen Geschichte einer Gesellschaft und Nation. Die Biographie der ArchitektInnen wird oft zur Monographie reduziert, die Gebautes und visuell Dargestelltes umfasst; für den Lebenslauf genügt ein kurzes tabellarisches curriculum vitae und damit keine Narration. Eine gute Biographie sollte jedoch beide Leben, die jede und jeder hat und lebt, das berufliche Leben und das politische Leben als Citoyen und Citoyenne, beschreiben und erzählen.
2004 erscheinen zwei Bücher, die das Leben und Werk des steirischen Architekten und Kommunisten Herbert Eichholzer thematisieren und abbilden. Das erste Buch ist die Publikation der Dissertation, die von Dietrich Ecker, einem steirischen Architekten und Assistenten an der TU Graz, bereits 1984 verfasst, und letztes Jahr als erster Band der Reihe »Wissen aus dem Archiv« herausgegeben wurde. Fast zwei Jahrzehnte sammelte und katalogisierte Dietrich Ecker das Werk und den Nachlass Eichholzers, die Dissertation ist das Ergebnis dieses akribischen Zusammenstellens.
Das zweite Buch, mit dem poetisch-traurigen Titel »Totes Leben gibt es nicht«, ist ein Ausstellungskatalog, der in Zusammenhang mit dem digitalisierten Eichholzer-Nachlass steht. Die Dissertation von Dietrich Ecker ist die offensichtliche Basis für die zweite Bio-/Monographie mit den AutorInnen Antje Senarclens de Grancy und Heimo Halbreiner.
Wenngleich Dietrich Ecker seine Intention im Vorwort als »die Idee, eine eigene biographische Arbeit über Herbert Eichholzer zu verfassen« beschreibt, bildet das Leben des Architekten bloß die übergeordnete Struktur, in der das Werk Eichholzers akribisch recherchiert und zusammengestellt chronologisch platziert wird. Die architekturhistorische Bewertung des Oeuvres und der politischen Handlungen bleibt aus – das ist eigentlich fast ein Vorteil. Für die denkende Leserin eröffnet sich ein Horizont, der eine eigene Bewertung und Interpretation zulässt. Am Ende gibt es einen Anhang mit Texten von Herbert Eichholzer. Besonders wichtig ist der Text »Mein Weg«, den Eichholzer im Gefängnis als Basis für die eigene Verteidigung schrieb. Das ist bereits das Ende seiner Lebensgeschichte. Das Ende ist die Hinrichtung durch das Nazi-Regime wegen Hochverrats. Dietrich Ecker beschreibt die Bauten nüchtern und zurückhaltend, oft ergänzt mit Passagen aus dem Bauakten.
Das zweite Buch: »Totes Leben gibt es nicht« besteht aus mehreren Teilen: einem Vorwort von Friedrich Achleitner, einem biographisch-historischen Teil geschrieben von Heimo Halbreiner, einer kunsthistorischen Evaluation von Antje Senarclens de Grancy sowie »Betrachtungen über das Virtuelle Eichholzer Archiv« von Urs Hirschberg.
Die Biographie Herbert Eichholzers ruft, wenn man sie liest, viele andere Biographien ins Gedächtnis, das Leben von Menschen, die seine ZeitgenossInnen und politischen GefährtInnen waren und deren Wege sich teilweise mit seinem Weg kreuzten. Namen wie Margarete Schütte-Lihotzky, Wilhelm Schütte, Anna Lülja Simidoff (-Praun), Franz Schuster, Franz Schacherl, Ernst May, Clemens Eichholzer, Roland Rainer, Hans Schmid und Le Corbusier tauchen auf. Aber auch das Leben von Hannah Arendt, Walter Benjamin und Martin Heidegger.
Für Architekturschaffende der Vorkriegsmoderne muss festgehalten werden, dass sie in erster Linie bauen wollten, ihre architektonischen und urbanistischen und humanistischen Ideen umsetzen wollten und deshalb dort waren, dorthin folgten, wo nach Prinzipien der Moderne und nicht nur nach diesen gebaut wurde: nach Frankfurt am Main unter Ernst May (Schütte-Lihotzky, Franz Schuster), dann in die Planungskombinate nach Moskau (Brigade May: Mart Stam, Ehepaar Schütte, Bruno Taut etc.). Auch Herbert Eichholzer geht für kurze Zeit nach Moskau. Der Weg führt weiter über Paris in die Türkei, die zu einem wichtigen Exilland für ProtagonistInnen der Moderne wurde.
Weil Bauen in größeren Dimensionen vom politischen Umsetzungswillen abhängig ist, muss man, wenn man bauen will, die Nähe zu politischer Macht suchen. Margarete Schütte-Lihotzky, die im Unterschied zu Herbert Eichholzer überlebte und ein Resumée ihres Lebens ziehen konnte, schreibt in ihrer unvollendeten Autobiographie Warum ich Architektin wurde: »Mein theoretisch-marxistisches Wissen ging zu jener Zeit über die Kenntnis des kommunistischen Manifests und einiger Schriften von Engels nicht hinaus.« Alle, die nun das biographische und das architektonische Werk Herbert Eichholzers zusammengestellt haben, gehen behutsam und sorgsam vor, aber sie gehen nicht weit genug. Heimo Halbreiner baut auf der biographischen Zusammenstellung von Dietrich Ecker auf und ergänzt diese um historische Ereignisse. Diese Ergänzungen bleiben – nicht zuletzt wohl auch aus Platzgründen – episodenhaft. Ein weiterer Grund dürften jedoch auch fehlende bzw. unzureichende Forschungsergebnisse z. B. im Zusammenhang mit der stalinistischen Tradition der KPÖ sein.
Jede Biographie ist immer auch – trotz des Strebens nach Objektivität – eine fiktive Geschichte. Die karge Darstellung der Februar-Ereignisse des Jahres 1934 bei Halbrainer kann keine eigenen biographischen Erlebnisse evozieren und ruft keine Emphase hervor. Herbert Eichholzer war Schutzbündler und nahm an den Februarkämpfen teil. Danach wurde er verhaftet. Dazu muss man sich an das eigene mangelhafte historische Wissen halten, das einer sagt, dass der Februaraufstand von der unzufriedenen Basis ausging. Die Sozialistische Partei Österreichs sah damals (nur damals?) der Demontage des demokratischen Staates zu. Jede/r, der/die an Demonstrationen teilgenommen hat, wird das erhebende Gefühl des Aufbruchs kennen, inmitten der Macht eines Kollektivs. Das euphorisierende Gefühl, die Gewissheit, dass auch eine andere Welt möglich ist, ein besseres Leben für alle. Wie mag das Herbert Eichholzer bei den Februarkämpfen empfunden haben?
In seinem Leben als Architekt ist die Bilanz nüchterner, auch weil wenig davon im Original erhalten ist. Die Moderne in Österreich blieb nach dem fulminanten Start durch Otto Wagner und Adolf Loos eher eine marginale, moderate Moderne. In der steirischen Provinz klassifiziert Antje Senarclens de Grancy sie sogar als »bodenständige Moderne«. Die Architektur Herbert Eichholzers ist im Vergleich zum systematischen, rationell motivierten wie auch das Klima berücksichtigenden und auf vorhandene Baumittel und –techniken bezogenen Entwerfen des Ehepaars Schütte / Schütte-Lihotzky eher eine formal vollzogene Moderne. Zum Beispiel, weil Eichholzer Versatzstücke aus dem formalen Vokabular Le Corbusiers verwendet. Besonders gut und originell finde ich in seinem Werk die minimalistischen Würfel, ganz besonders das skulpturale Haus Pistor, erbaut 1932/1933. Der architektonische Stil bei Eichholzer ist nicht stringent.Vieles in seinem politischen Leben ist jedoch von erstaunlicher Klarheit und Entschlossenheit. Am Tag des Anschlusses Österreichs an Hitler-Deutschland verlässt er Österreich und geht ins Exil. 1940 kehrt er zurück, radikalisiert im Exil und entschlossen, sich am Aufbau des Widerstandes gegen den Faschismus zu beteiligen.
Der wenige Widerstand wird hauptsächlich von der Kommunistischen Partei Österreichs konzipiert und organisiert. Die Haltung der KPÖ, aber auch der anderer nationaler KPs ist von den Direktiven aus Moskau abhängig. Der Hitler-Stalin-Pakt beeinflusste maßgeblich alle Entscheidungen, die von den einzelnen nationalen kommunistischen Parteien getroffen wurden. Selbst die Verfolgung kommunistischer AktivistInnen in Österreich hing mit den Verstrickungen zwischen Moskau und Berlin zusammen. Heimo Halbrainer schreibt über die Verteidigungsstrategie Eichholzers im Jahr 1942: »Die Angeklagten dürften zudem gewusst haben, dass seit dem Kriegsbeginn mit der Sowjetunion die Richtlinien des Reichsministeriums für Justiz in Kraft waren, nach denen bei allen Prozessen Todesurteile zu verhängen waren, wenn es um Anklagen wegen kommunistischer Betätigung gehe, während zur Zeit des Hilter-Stalin-Paktes selbst führende Kader des kommunistischen Widerstandes lediglich Freiheitsstrafen bis maximal 15 Jahren erhielten.«
In Jugoslawien zum Beispiel, das am 6. April 1941 überfallen wurde und als Monarchie bald kapitulierte, entstand der Widerstand in Slowenien bereits am 27. April 1941 mit der Gründung der »Befreiungsfront« auf Initiative der KP und wurde von allen slowenischen politischen Kräften mitgetragen. Der tatsächliche bewaffnete Widerstand setzte jedoch erst nach dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion am 21. Juni 1941 ein. Die Beteiligung und in der Folge Vereinnahmung aller politischen Kräfte war bewusste politische Strategie der KPs. Auch im spanischen Bürgerkrieg spielte die Sowjetunion eine unrühmliche Rolle, die darin gipfelte, dass die wirkliche revolutionäre, anarchistische Bewegung erstickt wurde.
Ich stelle unangenehme Thesen auf und stelle unanständige Fragen. Herbert Eichholzer und Margarete Schütte-Lihotzky hatten beide wenig theoretisch-politisches Wissen, auch wenn sie politisch couragiert und engagiert handelten. Meine Frage ist: War die Strategie des Wiederaufbaus der KP-Strukturen sowie der Infiltration der Nazi-Organisationen (eine Strategie, die Eichholzer konsequent verfolgte) im Herzen Nazi-Deutschlands bzw. in der »Ostmark« eine richtige politische Entscheidung und Taktik, wenn man die Begeisterung der Mehrheit der österreichischen Bevölkerung für das Nazi-Regime mit in Betracht zog? War die Strategie des Widerstandes im Inneren nicht einfach fasch? Glich sie nicht einer Kamikaze-Aktion? Oder ging es darum, den doch vorhandenen Widerstand in Inneren der Gesamtstrategie der KPÖ zu unterwerfen? Diese Entscheidung wurde weder von Lihotzky noch von Eichholzer getroffen. Die Wahl der Taktik traf die KPÖ. Soweit mein Verdacht und meine Einschätzung. Beides kann jedoch eine fundierte historische Recherche und Analyse, die noch aussteht, nicht ersetzen. Das ist es, was ich dachte, als ich die Margarete Schütte-Lihotzkys »Erinnerungen aus dem Widerstand« las, das ist es, was ich dachte, als ich Eichholzers Verteidigungsschrift »Mein Weg« las. Dass diese engagierten Menschen sinnlos, durch eine übergeordnete kommunistische Parteistrategie, verheizt wurden. Ihre konsequente Haltung und ihre Taten sind tragisch und heroisch zugleich.
Nein, zu keiner Zeit gibt es das »richtige Leben im Falschen«. Es gibt kein »draußen« außerhalb des kapitalistischen Systems. Eine klare eigene und reflektierte politische Strategie und Biographie zu haben, die parat liegen und die immer wieder einer Reflektion unterzogen werden müssen, das kann eine mögliche Taktik sein. Um jederzeit handeln zu können.
Maja Lorbek