» Texte / Historische Fotodokumentation des Ruhrgebiets

Michael Freerix


Im Auftrag des Fischer-Verlages fuhr der Autor Heinrich Hauser im Herbst 1929 durch das Ruhrgebiet, um „ein Bildmaterial des Ruhrgebietes durch eigene Aufnahmen zu beschaffen“. 127 von seinen Aufnahmen erschienen in Verbindung mit einem langen Text 1930 als Schwarzes Revier. Hauser wurde 1901 in Berlin als Sohn eines Arztes geboren, fuhr als Seemann bis Chile und Australien und probierte sich in vielen Berufen aus, bevor er 1926 Redakteur bei der Frankfurter Zeitung wurde. Doch trotz des Gerhart-Hauptmann-Preises, den er 1928 für seinen dritten Roman Brackwasser verliehen bekam, konnte er sich im deutschen Literaturbetrieb nicht etablieren. Das lag vor allem am unruhigen Leben des Kreativ-Schreibenden. Er fuhr lieber mit einem selbstgebauten Campingwagen durch Deutschland, machte den Flugschein oder probierte sich als Testfahrer aus, anstatt sich um eine geradlinige literarische Karriere zu kümmern.
Schwarzes Revier ist eine eigenartige Mischung zwischen Reisebericht und ethnografischer Beschreibung. „Laub ist grau, nicht grün. Gespenstig graugelbes Licht (die Belichtungszeit muss mehr als fünffach verlängert werden!),“ beschreibt er seine Arbeitsbedingungen und fixiert damit die Atmosphäre, die er vor Ort vorfindet und die sich durch das Buch zieht. Wie kaum ein Autor in seiner Zeit dokumentierte Hauser dabei auch die ungeheuere Umweltzerstörung, von der das Ruhrgebiet in dieser Zeit betroffen war: „Landschaft, die halb bedeckt ist mit Glas, mit Stein, mit Eisen und zur anderen Hälfte nackte Erde, aufgerissen, aufgewühlt, beschmutzt, befleckt mit dem Abfall der Städte. Sehr viel künstlicher Dünger, sehr wenig Pflanzenwuchs.“
Doch immer wieder ist Hauser von der technischen Leistungsfähig der „wundervollen“ Maschinen  zutiefst fasziniert. Gleichzeitig klammert er die fatale Auswirkung, die deren Funktionsfähigkeit auf die Menschen und Umwelt haben, nicht aus. Minutiös beschreibt er, wie sich dieses Industriegebiet permanent um- und überformt, ohne das sich daraus eine Struktur ergibt. Zentrum dieses Wachstums war immer die Ausbeutung von Bodenschätzen. Wohnareale entstanden vor allem um die Zechen und Stahlwerke herum. Dies führte dazu, dass Städte, wo sie vorhanden waren, sich in ihrer Struktur permanent veränderten. Stadt und Land oder Stadt und Stadt waren voneinander nicht getrennte Bereiche, sondern Übergangsformen: „Daraus erklärt sich die auffallende Erscheinung, dass Stadt und Land sich fast gar nicht voneinander abheben. Andererseits sind die Städte des Reviers auch ländlicher als andere Siedlungen gleicher Größe: Dicht vor dem Rathaus einer Hunderttausendstadt wächst ein Getreidefeld, mitten zwischen den größten schwerindustriellen Werken stehen Bauernhöfe in vollem landwirtschaftlichem Betrieb, wenige Schritte von den asphaltierten Hauptstrassen mit ihren großen Läden beginnt oft ein Wildwest von Schutthaufen, Bretterbuden, Feldwegen, Autofriedhöfen und Abdeckereien.“ Der permanente Wandel des Lebensumfeldes sorgte bei den Menschen, die von ihm betroffen waren, für Desorientierung: „Diese Umstände führen dazu, dass etwa die Bewohner von X. in Y. besser Bescheid wissen als in ihrer eigenen Stadt, oder das ein Verkehrspolizist, den ein Reisender nach einer Strasse fragt, oft keine auch nur ungefähre Auskunft geben kann, dass Stadtpläne von vor zwei Jahren heute oft schon völlig veraltet sind.“ Die Stadt war, als Ort der Orientierung oder Identität, gar nicht vorhanden.

Heinrich Hauser selber bezeichnete seinen Text, der stark von einer rein journalistischen Arbeitsweise abwich, als ein Experiment, das „Elemente der Reisebeschreibung, des Essays und der Erzählung“ in sich vereint. Immer wieder mischt sich seine Begeisterung für menschliche Ingenieurskunst in den Vordergrund. Hauser weiß den nüchternen technisch-industriellen Prozessen, die er beschreibt, etwas sinnliches abzugewinnen: „Der Stahlblock, aus dem eine Platte gewalzt werden sollte, fiel dröhnend auf die eiserne Walzenstraße. Es war, als fiele die Sonne vom Himmel herab, weißglühend, geladen mit lebendiger Energie, eine strahlende Hitze, ein vierkantig konzentrierte Masse im Gewicht von dreißig Tonnen. Jetzt rollte sie vorwärts. Die Rollen der Walzenstraße bewegten den Block mit einer fast erschreckenden Schnelligkeit. Er erreichte die Walzen. Die glatten Walzenflächen drehten sich spiegelnd, nahmen den Block zwischen sich. Er fiel, wie ein Stier fällt, wenn der Hammer des Schlächters den Dorn in seine Stirn schlägt.“
Heutzutage ist Schwarzes Revier noch immer ein faszinierendes, vielfarbig schillerndes Dokument seiner Zeit. Bei der Neuausgabe von Schwarzes Revier hat sich der Weidle Verlag große Mühe gegeben. Zwar sind viele von den 127 Negativen der Fotos, die im Buch abgebildet wurden, heute verschollen. Doch hat man diese durch ähnliche Aufnahmen aus dem Nachlass von Hauser ersetzen können. In seinem dokumentarischen Charakter ist Schwarzes Revier das seltene Beispiel für einen sozialdokumentarischen Gestus in der Literatur der Weimarer Republik und gleichzeitig – vor allem – ein aufregendes Stück moderner Literatur.


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