» Texte / »I am Moscow«. Bilder vom Rande der Stadt

Ursula Maria Probst


Dem Phänomen, wie sich kulturelle Dynamiken und Energien zwischen dem Zentrum der Stadt und Randbezirken gestalten, geht das vom Leiter des Österreichischen Kulturforums in Moskau Simon Mraz initiierte Projekt Na rajone / Sa predelami 
zentra (Im Viertel / Außerhalb des Zentrums) nach und begibt sich in Moskauer Stadtviertel wie Ismailowo, Lublino oder Sewernoe Tschertanowo auf die Suche nach einer Ästhetik des Stadtrandes. Die Geschichte der Zerstörung sowjetischer Kinos, die im Rahmen dieses Projektes unter dem Titel Moscow Cinemas von der Künstlerin Vaselina Gankovska bearbeitet wurde, ist exemplarisch für die architekturhistorische Entwicklung Russlands, die sich derzeit abspielt. Während der Sowjetzeit gab es ein Programm für den Bau von Bezirkskinos als Anziehungspunkt für die Nachbarschaften. In den Kinos am Stadtrand wurden spezielle Avantgardefilme gezeigt, die außerhalb dieser Kinos unmöglich zu sehen waren. Vasilena Gankovska befasst sich in ihrem Projekt mit 39 sowjetischen Kinos, die seit den 1930er-Jahren am Rande Moskaus gebaut wurden. Mitte der 1990er-Jahre funktionierten viele dieser Kinos nicht mehr als Kinos, sondern als Jerewan, wo Popkonzerte gespielt wurden. Insofern verbinden viele MoskauerInnen mit diesen Kinos eine architektonische wie persönliche Geschichte. Im Laufe der vergangenen Jahre wurden diese Gebäude renoviert oder zerstört. Von Vaselina Gankovska entworfene Stadtplakate mit dem Bild des Kinos Orion im Stadtteil Babuschkinskiy laden BewohnerInnen des Bezirkes ein, ihre Erinnerungen über das Kino zu teilen. Die Kinos verfügen über eine historisch interessante Architektur, die rekonstruiert und neu formuliert werden könnte, doch das staatliche Programm sieht vor, aus diesen sowjetischen Kinos durch Umbauten neue Zentren für Kinderbetreuung und Shoppingmalls zu machen.
        Im Kino Zvezda (Ulitsa Zemlyanoy Val, 18/22 , стр. 2, Moskau, 105064) wurde Mitte Oktober im Rahmen des Projektes NA RAJONE / Beyond the center der Film I am the city, der über eine Zeitspanne von sechs Monaten realisiert wurde und das Ergebnis eines Open Calls ist, präsentiert. Moskauer BürgerInnen konnten auf die Website http://iamthecity.moscow eigenes Material hochladen. Das vorläufige Resultat dieses als Work in Progress angelegten Projektes zeigt neben Schnappschüssen vom Zentrum Moskaus Straßenzüge und private Aufnahmen aus den 1960er-Jahren bis heute und zeichnet ein teils sehr persönliches Bild der Stadt – alltägliche Momentaufnahmen wie vorbeiziehende Bilder von StraßenmusikantInnen, mit 
Handykameras aufgenommen. Das gesammelte Videomaterial wurde von AbsolventInnen der Moskauer Dokumentarfilmschule und dem Marina Razbezhkina und Mikhail Ugarov Theater bearbeitet. Das konzeptuelle Vorbild dieses Kinoporträts von Moskau ist ein Projekt des Österreichischen Filmmuseums in Wien mit dem Titel Am Rand: die Stadt. Gustav Deutsch und Hanna Schimek produzierten aus Filmmaterial, Handyvideos und Überwachungsmaterial mehrere Dokumentarfilme, die sich um Wien, deren EinwohnerInnen und die Prozesse der Veränderungen der Stadt in den vergangenen Jahrzehnten drehen. 
I am the city ist nun die erste Initiative in Moskau mit Amateurfilmen als Bestandteil des städtischen Kulturerbes zu arbeiten.


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