Conny Cossa

Martin Denk

Patrick Hammer

Pia Spiesberger


Der Karlsplatz, „Ghetto am Rande des ersten Wiener Gemeindebezirks“, Verkehrsknoten, Schlafplatz, Postkartenmotiv, Freihandelszone, Dark Spot, kurz: ein Synonym für Heterogenität. Heterogenität, die als Nährboden für eine Vielzahl von Konflikten dient, welche ständiger Auseinandersetzung bedürfen und somit essenzielle Merkmale von Urbanität sind.

Planungsscheitern am Karlsplatz

Der Karlsplatz ist der bestimmt stärkste und interessanteste aller Wiener Plätze – eine Stärke, an der jedoch jedes Großprojekt zu scheitern scheint. Zahllose Planungen mehrerer Jahrzehnte, von denen bestenfalls nur einzelne Aspekte realisiert werden konnten – keiner stark genug, die Aura dieses Ortes entscheidend zu kippen. Im Gegenteil, der Karlsplatz scheint alle Veränderungsmaßnahmen durch radikale Nutzungen und Umwidmungen zu absorbieren und an ihnen zu wachsen. So werden beispielsweise Telefonzellen zu heiß umkämpften Drogenkonsumräumen, Stationsaufseher zu verständnisvollen Szenekennern, Kinderspielplätze zu Aufmarschplätzen regelrechter Polizeiparaden und die Hauptpassage zur hoch frequentierten 24-h-Indoor-Einkaufs- und Flaniermeile. Transformationsprozesse, die PolitikerInnen, StadtplanerInnen, DesignerInnen, SoziologInnen und AnrainerInnen vor immer neue Herausforderungen stellen und den Karlsplatz zu einem repräsentativen Urbantestgelände machen.

Auf diese Weise gelangen gefeierte Resultate, wie die erste Schutzzone[1] Österreichs, trotz ihrer schwierigen Durchsetzbarkeit und ihrer zweifelhaften Wirkung – einmal am Karlsplatz erprobt (Prädikat: karls-platz-proofed) – im gesamten Bundesgebiet und darüber hinaus zur Anwendung. Das neueste Steckenpferd der Stadt Wien im Kampf gegen den Wildwuchs am Karlsplatz wurde am 20. Mai 2006 unter dem Titel Kunstplatz Karlsplatz[2] eröffnet – und die Kunst so zu einer Waffe der Stadtplanung und Reglementierung.

KEUK _ Kommission zur Erhaltung der Urbanzone Karlsplatz

Um die Diskussionen über Heterogenität und die daraus folgende Urbanität am Karlsplatz zu verstärken, formierte sich im November 2005 KEUK, die Kommission zur Erhaltung der Urbanzone Karlsplatz. KEUK sieht im homogenisierenden Branding Kunstplatz Karlsplatz keine wirkliche Auseinandersetzung mit den Ursachen der dortigen Konflikte, sondern vielmehr eine Instrumentalisierung der Kunst zur Schwächung der starken und gegensätzlichen urbanen Identitäten des Karlsplatzes. Das Ziel ist nicht nur eine rein städtische Aufwertung des Karlsplatzes durch Vereinheitlichung und Normierung, sondern ebenso die Verharmlosung von Sicherheits- und Überwachungskonzepten: Ein trojanisches Pferd der Stadt Wien.

KEUK möchte auf die Gefährdung einer der lebendigen Urbanzonen Wiens aufmerksam machen und wichtige Diskurse über Heterogenität, Urbanität und die Planungsparadigmen des Stadtmarketings in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken. Der konfliktimmanente Wert dieser Vielfalt ist bedeutender Teil der positiven Identität der Urbanzone Karlsplatz. Durch die Nutzung verschiedener Medien und Kommunikationsformen will KEUK eine größtmögliche Anzahl von Mikrokosmen ansprechen und aktivieren.

KEUK aktiviert und adressiert Karlsplätze

Eine der ersten öffentlichen Interventionen von KEUK hatte gerade die Visualisierung dieser zahlreichen den Karlsplatz formenden Mikrokosmen zum Ziel. Die Tatsache, dass nur etwa die Hälfte der an den Karlsplatz angrenzenden Gebäude auch wirklich die Anschrift „Karlsplatz“ trägt, führte zu einer Untersuchung über die tatsächliche Ausdehnung der Urbanzone. Eine Homogenisierung der Anschriften würde die Frage nach physischen und psychologischen Grenzen des Karlsplatzes und auch die Möglichkeit einer Ausdehnung dieser Grenzen aufwerfen. In der darauf folgenden Intervention wurde jedes Haus am Platz mit einer neuen Karlsplatz-Hausnummer versehen, welche gleichberechtigt neben der bisherigen Tafel angebracht wurde. Zusätzlich wurden die BewohnerInnen der betreffenden Gebäude mittels Aushängen darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie nun offiziell BewohnerInnen des Karlsplatzes seien. Die Resonanz der Aktion bestätigte die Gegensätzlichkeit und Widersprüchlichkeit als einen zentralen Wert der „Identität Karlsplatz“: Die meisten AnrainerInnen wehrten sich standhaft gegen das „Prädikat Karlsplatz“ und erklärten, dass sie sich eher den angrenzenden Bezirken als dem Karlsplatz zugehörig fühlen. Umgekehrt verblieben auch einige wenige Haustafeln – ob nun aus Gleichgültigkeit oder aus Akzeptanz – bis heute an ihrem Platz und zeichnen so ein völlig neues Bild dieser Gegend, ein Bild, das gewissermaßen die psychischen Konflikte der städtischen Identität widerspiegelt und so das positive Potenzial des Konfliktes an sich betont.

KEUK richtet Planungsansuchen an die Magistratsabteilungen

Als direkte Antwort auf die zahlreichen, unter dem Deckmantel der Kunst durchgesetzten Veränderungen zur Erhöhung der Sicherheit und Ausweitung der Kontrolle entwickelte KEUK eine Reihe von Planungsapplikationen, in denen das Ziel verfolgt wurde, das heterogene Netz der Strukturen, verschiedenen UserInnen und Identitäten der Urbanzone offen zu legen und weiterzuspinnen.

Die bedrohten Schleiereulen, fettleibige TouristInnen, die historischen Telefonzellen, die stillgelegte Sternwarte der Technischen Universität und begeisterte WintersportlerInnen treten als potenzielle Geschädigte an die Stelle der unerwünschten Randgruppen und setzen sich damit für die Wahrung der Vielfalt ein. So wie die Planung des Kunstplatz Karlsplatz eigentlich ein trojanisches Pferd zur Durchsetzung ganz anderer, in den seltensten Fällen hauptsächlich der Kunst verpflichteter Veränderungen war, arbeitete auch KEUK mit „trojanischen Pferden“, um die für urbanes Leben so wichtige Vielfalt und Gegensätzlichkeit wieder auf den Karlsplatz zu schmuggeln und dort auch weiterhin Konflikte – und somit Leben – zu ermöglichen. Diese „virtuellen“ Projekte sollen auf das abseits jeglicher städteplanerischer Großeingriffe bereits bestehende positive Potenzial hinweisen.

KEUKs „trojanische Pferde“ wurden direkt an die verantwortlichen Ämter gerichtet und verfolgten anscheinend verschiedene recht pragmatische Ziele.

KEUK verdunkelt den Karlsplatz

Ein von KEUK an die Magistratsabteilung 33 (Beleuchtung) gerichtetes Ansuchen befasste sich mit der Reaktivierung der alten Sternwarte der TU, die aufgrund der steigenden Lichtverschmutzung des Karlsplatzes in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihren Betrieb einstellen musste. Voraussetzung zur Beobachtung des funkelnden Sternenhimmels ist die Reduktion der Lichtverschmutzung durch eine temporäre Verdunkelung des Karlsplatzes – eine unkontrollierbare Dunkelheit, die neben den Augen der AstronomInnen auch die Augen anderer Karlsplatz-UserInnen funkeln ließe.

KEUK verdichtet die Hecken

Ein von KEUK an die Magistratsabteilungen 22 und 42 sowie an die Bibliothek der TU Wien gerichtetes Schreiben befasste sich mit den im städtischen Bereich bereits vom Aussterben bedrohten Schleiereulen. Die Voraussetzungen für die Wiederansiedlung dieser einst auch in Wien heimischen Eulenart sind den nach Kontrolle und Übersichtlichkeit heischenden Planungen des Kunstplatz Karlsplatz diametral entgegengesetzt – es geht nicht um normierte 50-cm-Hecken[3] und brav im Wind wippende Gräser, sondern um wilde Hecken und wucherndes lebendiges Grün. Dies würde den bedrohten Schleiereulen ermöglichen, auch weiterhin Teil der österreichischen Artenvielfalt zu sein – und im Schatten dieser Artenvielfalt würden auch andere am Karlsplatz lebende UserInnen wieder ihren Raum finden.

KEUK konsumiert neue Räume

In einem an das Bundesdenkmalamt gerichteten Schreiben tritt KEUK für die Schaffung eines „Memorials der verlorenen Zellen“ am Karlsplatz ein, das den für das Bild Österreichs so typischen geschlossenen Telefonzellen eine neue Heimat bieten würde. Die Rettung dieser Telefonzellen wäre nicht nur für interessierte HistorikerInnen eine Freude, sondern würde auch den Raum des Karlsplatzes um die lang ersehnten Konsumräume erweitern.

KEUK liebt Karlsplatz

KEUK produziert und etabliert Merchandising. Nach anfänglichen Bedenken entwickelte sich I LOVE KARLSPLATZ zu einem Slogan, der sich vor allem auf T-Shirts und Buttons besonders bei KunststudentInnen und KritikerInnen des Suchtmittelgesetzes größter Beliebtheit erfreut. Die Affinität zur weltweit bekannten „I LOVE NY“-Kampagne wurde bewusst gewählt. Dieser einst zynische Kommentar entstand in einer Zeit, in der New York selbst bei seinen EinwohnerInnen auf dem Tiefpunkt der Beliebtheitsskala angelangt war – der Grund für solch eine Liebeserklärung gerade in diesem Moment war ein „Ja“ zum urbanen, unkontrollierten, wilden und auch gefährlichen New York City, ein „Yes, but ….“. Besonders nach 9/11 wurden diese einfachen Worte zu einem Sinnbild für Widerstandsfähigkeit und Solidarität, zu einem lebendigen „Trotzdem!“.

KEUK versuchte durch Adaptierung dieses Statements dem eindimensionalen Image von Kunstplatz Karlsplatz das große Potenzial der heterogenen Urbanzone gegenüberzustellen und der Karlsplatzdebatte zu positiven Vorzeichen zu verhelfen.

Gleichzeitig wurde der Diskurs rund um den Platz auf eine für alle zugängliche Ebene gebracht. Reaktionen zeigen, dass der Karlsplatz kein neues aufgesetztes Image benötigt, da der Name Karlsplatz bereits ein Sinnbild für Vielfalt darstellt.

Die AutorInnen Conny Cossa, Martin Denk, Patrick Hammer und Pia Spiesberger studieren Architektur am Karlsplatz, an der Akademie der bildenden Künste Wien.

Kontakt für Ihre karlsplatzspezifischen Anliegen: k_e_u_k@yahoo.de

Fußnoten


  1. Einführung der Schutzzone Karlsplatz im Februar 2004; […] Im Bereich der Schutzzone sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, einen Menschen, von dem aufgrund bestimmter Tatsachen, insbesondere wegen vorangegangener gefährlicher Angriffe, anzunehmen ist, dass er strafbare Handlungen nach dem Strafgesetzbuch, dem Verbotsgesetz oder gerichtlich strafbare Handlungen nach dem Suchtmittelgesetz begehen wird, aus der Schutzzone wegzuweisen und ihm das Betreten der Schutzzone zu verbieten. […] http://www.polizei.gv.at/wien/pdf/verordnung-schutzzone.pdf ↩︎

  2. Der Begriff „Kunstplatz Karlsplatz“ war der Name des Siegerprojekts eines im Jahr 2000 vom Wiener Künstlerhaus veranstalteten Wettbewerbs. Das aktuelle, von der Stadt Wien initiierte Projekt umfasst die Vernetzung von 15 Kunst- und Kulturinstitutionen durch ein „unaufdringliches Kunstleitsystem“, die Schaffung neuer Fußgänger- und Radverbindungen und die gärtnerische Umgestaltung zur Verbesserung der Überblickbarkeit. Neben der Erhöhung des „optischen Komforts“ und der Userfreundlichkeit des neuen „Kunstplatzes“ sorgt weiters ein auf Bewegungsmelder gestütztes Lichtkonzept für eine 300 prozentige Erhöhung der Helligkeit des Platzes. http://www.wien.gv.at/verkehr/strassen/bauen/strasse/karlsplatz.htm ↩︎

  3. Sowohl das Stadtgartenamt (MA42) als auch das Frauenbüro der Stadt Wien (MA57) erarbeiten Planungsrichtlinien zur Gestaltung von öffentlichen Flächen nach „geschlechtssensiblen“ Gesichtspunkten der Sicherheit. ↩︎


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