Christoph Vivenz

KomIdee


Als ein weiteres Beispiel im wahrsten Sinne im öffentlichen Raum gelebter Kommunikationsguerilla haben einige Personen aus der Gruppierung KomIdee (Komitee zur Analyse gesellschaftlicher Prozesse[1]) das Straßentheaterstück »Richtungswechsel« in dieselben Gegenden wie die Hütte verlagert: mitten in den Weg:
»Richtungswechsel« ist ein kurz-prägnantes und verbal schlagkräftiges Stück Straßen und Plätze[2]. Der rhythmisch durchgespielten Sprechfolge, die gewisse politische Zielrichtungen und populistische Redensart(en) widerspiegelt, entspricht eine formal einprägsame Bewegungsfolge, die den Ablauf der Szene körperlich zum Ausdruck bringt. Vier Personen nehmen mit fadenscheinigen Argumenten, die sie nur ihren realen Vorbildern abgehört haben können, beliebigen Spielraum für sich in Anspruch, wobei sie stets ein blaues Seil, in Kreuzform geknüpft, verbindet.
Wohin das führt, illustriert der Ausgang des Geschehens.
So beschreibe ich es als Autor. Entstanden unter der Verwendung von Aussagen, Redewendungen, Slogans eines ehemaligen Obmannes und seiner Partei, ist diese je nach Tempo fünf- bis siebenminütige Sprech- und Bewegungsszene als dekonstruktive Maßnahme verstehbar.
Das Straßenstück wird vermittels seines Spiels schauplatzergreifend. Seine DarstellerInnen schreiben im jeweiligen Medialisierungsversuch sein Geschehen in einen überschaubaren Ort ein. Einen Moment lang obliegt es allen mehr oder minder zufällig sich in diesem Rahmen Aufhaltenden, darauf auf eine gebührende Weise zu reagieren, sich zu einem unerwarteten Geschehnis zu verhalten. Da diese nicht vorgeschrieben ist, bleibt genügend Raum und wenig Zeit, ein neues Muster zu generieren. Dieses kann sowohl einen emotionalen als auch intellektuellen Bestandteil haben, wenigstens aber ersteren. Unser kleines Stück ist eine Sequenz verdichteter Wörter- und Körpersprache. Ganze Sätze bleiben ganz, aber werden satzteilweise und nicht ohne Hintergedanken auf die Sprechenden verteilt. Ihre Physiognomie wirkt unterstreichend, wobei rhetorische und suggestive Phrasen aus ihrem Einbettungsrahmen geschüttelt, dieser und ihre Zweckgebundenheit dekonstruiert werden. Die Konnotate bleiben selbst(-)redend auf(-)recht, doch der denotative Gehalt im Verlauf seiner darstellerischen Transformation entstellt. Das Publikum ist eigentlicher Akteur, was es in seiner Bewegung durch den Ort schon gewesen ist. Es kann nun die Sicht auf gewöhnlicherweise kaum bewusste emotionale Aufladungen des Wortguts und seiner Verwendung wagen oder verweigern. Das Wortmaterial selbst könnte auch pro ihren üblichen VerwenderInnen inszeniert werden. Es verbliebe dabei in seiner gewohnten Verwendung.
Mehr als ein Dutzend mal gespielt, ist der Zusammenstoß mit der Menge, aus der sich ein paar Subjekte hinreißen lassen, stehen zu bleiben und sich sehr verschiedentlich zu äußeren, immer ein neues Erlebnis. So gelangweilt in der Gegend von Graben und Kohlmarkt emsig Geschäftige die Augen abwenden, so sehr mag man uns vor dem Einkaufszentrum Simmering gefragt haben, was Straßentheater überhaupt bedeute und wie lang es das schon gebe. Dies nur zwei Reaktionen unter vielen, die Zustimmung, Ärger oder Geschimpfe auf die immer nur kurz verweilenden AkteurInnen loslassen.
Beiden unterschiedlich medialisierten Umsetzungen einer gemeinsamen Haltung ist gemeinsam, dass wir mit ihnen auf das verführerische Potential appellativer Botschaften aufmerksam machen wollen und darauf, dass aus verkürzten Formeln folgenschwere Vorurteile entstehen. Theoretische Reflexionen erreichen meist nur ein Publikum, das für solche ohnehin bereits aufgeschlossen ist. Der sprichwörtliche kleine Mann und auch die kleine Frau von und auf der Straße sollen durch uns (und andere) zur Konfrontation mit ihrem eigenen Gedankengut und ihrer politischen wie sozialen Gesinnung provoziert aber auf keinem Fall angeleitet werden. Wir treffen sie vermutlich dort, wo sie sich durch ungewohnt verwendete Schlagsätze einen Augenblick aus gewohnten Gedankenkreisläufen und scheinbar fest verankerten Überzeugungen geworfen fühlen könnten. Die vorsichtige Formulierung kommt nicht von ungefähr. Zu oft ist uns selbst der Zeigefinger oder ein zu solidarischen bis demonstrativen Äußerungen aufrufendes Flugblatt entgegengestreckt worden. Und wenn denn jemand seine Bekenntnisse über die Lippen bringen soll, dann ist es das Publikum, das in unseren Settings als eigentlich handelndes angenommen wird.
Natürlich lässt sich durch solcherlei Aktionen kein nachhaltiger Eindruck feststellen, mittels punktueller Auftritte und künstlerischer Demonstrationen, Installationen kein (Gegen-)Staat machen, schon gar keine pädagogische Maßnahme zweckhaft umsetzen. Absichten dieser Art liegen den AktivistInnen gedanklich zwar nicht fern, stehen aber in keinem realistischen Zusammenhang mit ihrem Vorhaben und den uns zu Gebote stehenden Mitteln. Der berühmt-berüchtigte Tropfen auf dem heißen Stein kann mal wieder ins Treffen geführt werden und dass ein paar tausend weitere ihm zur Kühlung verhelfen könnten, … Die Podiumsdiskussion im Rahmen einer »Abschlusspräsentation« der beiden bisherigen Aktionen am 30.11. und 1.12. des vergangenen Jahres im ‚Podroom‘ in der Joanelligasse, an der Stefan Nowotny, Gini Müller und Hakan Gürses teilnahmen, zeigte in der Einschätzung eigener und der Aktionen anderer Gruppierungen Ohnmacht und Frust über so genannte Widerstandsarbeit auf, die Begrenztheit kreativer Kommunikationsguerilla im Besonderen. Welcher Sinn soll dahinterliegen? Erwähnt wurden hauptsächlich die Beruhigung des höchsteigenen sozialen Gewissens, der Eindruck, wenigstens irgendetwas als überhaupt nichts zu tun, da größere öffentliche Beachtung oder finanzieller Gewinn gar nicht erwogen werden können oder sollen. Auch bedeuten der Zugewinn persönlicher Kompetenzen und die Informationen aus dem Umgang mit PassantInnen und Behörden ein nicht unwesentliches Potential, sind aber nicht ausschlaggebend für die Motivation diverser Projekte.

Als Autor des Straßenstückes und Beteiligter an beiden Aktionen meine ich: Das mag vielleicht schon alles sein, schließlich bewegen wir uns in einem symbolischen Rahmen, beeinflussen mit paradoxen Äußerungen kurzfristig Tagesgespräche und –abläufe, irritieren kurz nur den scheinbaren Gleichlauf von Bevölkerungsteilen unter dieser und jener Regierung und ihren Beschlüssen, bewegen uns für ein paar Minuten oder höchstens Stunden auf ausgesuchten allgemein zugänglichen Orten, geben wenig Information, entnehmen sie eher, verschwinden schon wieder, tauchen wieder ein in die Anonymität, aus der wir unangekündigt eben erst hervorgetreten sind. An der Oberfläche mögen sich die Wogen baldig glätten – der Impuls, so klein und ohne Nachhall er gewesen sein mag, als so absurd er auch von der Umgebung aufgenommen worden sein dürfte, kann seine noch so gering angenommenen Spuren zu hinterlassen beginnen.

Fußnoten


  1. Eine Gruppe von TheoretikerInnen, AutorInnen und KünstlerInnen, die sich mit kulturellen und gesellschaftlichen Prozessen befasst. 1996 im Rahmen einer universitären Philosophielehrveranstaltung konstituiert, widmete sich die Gruppe in ihrer ersten Phase vornehmlich der Entwicklung und Ausführung von Straßentheaterformen und alternativen Initiativen zur Informationsweitergabe, die sich aufgrund des damaligen ‘Sparpaketes’ und seiner sozialökonomischen Folgen für die davon betroffenen Bevölkerungsgruppen als notwendig erwies. Unter der Bezeichnung ‘Ultimativ’ vertiefte sich in den folgenden Jahren ein Großteil der mittlerweile praktisch Erfahrenen in unterschiedliche sozialphilosophische Themenstellungen und Literaturen. Im vergangenen Jahr verknüpften wir erneut den akademischen mit dem lebensweltlichen und künstlerischen Ansatz, um auf die Zeichen der Zeit für alle, die sich ihnen nicht entziehen können, mit noch größerer Deutlichkeit zu reagieren. ↩︎

  2. Hier ist nicht etwa eine Präposition ausgelassen worden. Das Straßenstück wird vermittels seines Spiels schauplatz-ergreifend. Das Weitere ergibt sich aus dem Text. ↩︎


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