Andre Krammer

Andre Krammer ist selbstständiger Architekt und Urbanist in Wien.


Der 18. UmBau präsentiert sich in einer neuen Gliederung, die laut Vorwort auch für kommende Ausgaben als Maske dienen soll: Ein aktueller Teil beinhaltet Interviews und Kritiken, gefolgt von einem Fotoessay und Texten, die sich auf Themen beziehen, die im Rahmen der ÖGFA (Österreichische Gesellschaft für Architektur) aufgeworfen wurden. Den zentralen Teil bilden Aufsätze zu einem spezifischen Thema, für das ein Call for Papers erfolgt. Gedruckt wird eine Auswahl an Texten, die von einem wissenschaftlichen Beirat ausgewählt werden.
Am Beginn des neuen UmBau finden sich zwei Interviews mit dem neuen Stadtrat für »Stadtentwicklung und Verkehr« Rudolf Schicker (SPÖ) und dessen Vorgänger Bernhard Görg (ÖVP). Zur Sprache kommen klassische Konflikte: Soll es eine zentrale Steuerung der Stadtentwicklung geben oder auf private InvestorInnen gesetzt werden? Interessant wird es, wenn Görg als Vorbild Mitterrand nennt: Dieser habe von einer Jury vier Projekte auswählen lassen und nach fünfminütiger Betrachtung eines davon zur Ausführung bestimmt. Das entspricht einer Tendenz, die von verschiedensten Seiten propagiert wird: Jener Juror wird als besonders fähig empfunden, der mit unglaublicher Geschwindigkeit und geschultem Blick ein Projekt erfasst und prägnant beurteilt. In einer Zeit, in der Architektur sich in einem stetig komplexer werdenden Feld aus Anforderungen und Parametern wiederfindet, ist diese Haltung wohl als fragwürdig anzusehen.
Nach diesem Eintauchen in die »Realpolitik« der Architektur folgen eine Nachbesprechung der Aktion »making it – a storefront discussion of viennese architecture« – »talking it« – und ein Fotoessay, der die einzelnen Arbeiten zeigt. In dem Projekt wurden leerstehende Geschäftsflächen im 5. Bezirk temporär für »architektonische Installationen« genutzt. Das führte in der Folge zu interessanten und grundsätzlichen Diskussionen über die Beziehung zwischen Architektur, Kunst und deren sozialem Umfeld. Es wurde deutlich, dass Interventionen im öffentlichen Raum nicht in einem autonomen, keimfreien Raum entfaltet werden können, sondern zwangsweise eine Position im sozialen Gefüge der Stadt markieren; gleichgültig, ob nun bewusst und kritisch oder indifferent und ahnungslos agiert wird. In der Diskussion, die in UmBau 18 nachzulesen ist, findet man leider nur manche dieser kritischen Hinterfragungen wieder. Da ist beispielsweise von der »Aufwertung durch kulturelle Events« die Rede, aber den Begriff der Gentrifizierung (soziale Verdrängungsmechanismen in der Stadt) sucht man vergebens.
Zwei Arbeiten, die im Rahmen des Schütte-Stipendiums 1999 zum Thema »Urbane Unschärfen« entstanden, bilden den Mittelteil. Wilfried Kühns Text »Tabula rasa und dergleichen« spannt einen Bogen vom »Plan Voisin« Le Corbusiers und den Arbeiten der Smithsons bis hin zu Oswald M. Ungers’ Idee des »Stadtarchipels« und Rem Koolhaas. Augenmerk wird vor allem auf die Idee der »Leere« gerichtet, die in den vorgestellten Arbeiten immer wieder neu definiert und in ihrer Bedeutung transformiert auftaucht. Weiters stellt die Gruppe SARS ihre Analyse der Stadt Aktau-Schewtschenko in Kasachstan vor. Sie zeigt, dass die am Reißbrett entworfene »funktionalistische Industriestadt« nur auf den ersten Blick als starres Gebilde funktioniert. Auf verschiedenen maßstäblichen Ebenen kam es parallel zu politischen Veränderungen auch zu räumlichen Transformationen. Einerseits kam es zu einer sozialen Segregation in der Stadt, auf der anderen Seite aber auch zu neuen Nutzungskombinationen und Adaptionen: Beispielsweise wurden Wohnungen als Geschäfte genutzt und neue Erschließungssysteme errichtet. Das Aneinanderrücken von Geschäftszone und Wohnzone beziehungsweise deren Verschmelzung beeinflusste wiederum die Strukturierung angrenzender Freiräume. Diese wurden allerdings in ihrer Dimension für ein Kollektiv entworfen, das heute nicht mehr existiert, so dass ihre Neuinterpretation zu den großen Problemen derartiger Planungen gehört.
Das zentrale Thema der Ausgabe Im Sog des Neuen. The Call of the New wird in fünf weiteren Aufsätzen umrissen. Gefragt wird nach der Möglichkeit des »Neuen« in der Architektur. Den Anfang macht kein Unbekannter: Charles Jencks – der »Pate« der Postmoderne. Der Text trägt den Titel »What is critical modernism?« Jencks argumentiert, dass die aufklärerische Erneuerungsformel innerhalb der modernen Bewegung zu einer zwanghaften und ständigen Neuerfindung des Architekten führte – auch innerhalb einer Biographie. So entstanden laut Jencks statt kontinuierlicher historischer Prozesse architektonische Moden, die sich beispielsweise im wiederholten Auftauchen des Minimalismus manifestieren. Hierin findet sich ein klassisch postmodernes Argument gegen die Forderungen der Avantgarde, von Grund auf Neues zu schaffen, verbunden mit der gleichzeitigen Aufforderung, sich wieder in den historischen Prozess einzuklinken. Jencks hat selbst zu zahlreichen Klassifizierungen innerhalb der Architektur beigetragen (»Postmoderne«, »Spätmoderne«) und dazu genealogische Stammbäume entwickelt: Ein Diagramm der architektonischen Strömungen im 20. Jh. wird auch in UmBau 18 abgebildet. Insgesamt führt eine Klassifizierung immer zu Vereinfachungen, so dass auch die Gegenüberstellung von postmodern – also kontextuell, symbolisch, metaphorisch, ... – und modern – sprich technologisch, funktional ... – jeden Diskurs im Voraus determiniert. Am Ende des Textes steht ein architektonisches Beispiel, das für Jencks die Möglichkeit eines kritischen Modernismus aufzeigt: das jüdische Museum in Berlin von Daniel Libeskind. Jencks beschreibt es als Produkt aus metaphorischen, symbolischen und architektonischen Themen (Postmoderne!) jenseits der »Rationalisierungen« des »white modernism«. Der hohe Abstraktionsgrad verweise wiederum auf die Moderne. Jencks will mit diesem Beispiel einen Ausweg aus einer dogmatischen Moderne aufzeigen. Man könnte in Libeskinds Projekt aber auch eine Durchdringung von avantgardistischen und kontextuellen Traditionen sehen, die sich in vielen Projekten der »klassischen« Moderne finden lassen. Eine Ablösung vom historischen Kontext war letztlich vor allem Bestandteil der Rhetorik der modernen Bewegung.
Kari Jormakka und Dörte Kuhlmann diskutieren in »Differenzen und Wiederholungen« die Rückbezüge der »gegenwärtigen Avantgarde« (insbesondere Peter Eisenman und Greg Lynn) auf die Avantgarde der ersten Hälfte des Jahrhunderts (Friedrich Kiesler, Kurt Schwitters, Hermann Finsterlin...). Nicht zuletzt die Kontinuität herangezogener Referenzen wie »Materie und Gedächtnis« von Henri Bergson oder die Chronofotografien von Marey und Muybridge erklären laut Jormakka/Kuhlmann die häufige »Wiederkehr des Gleichen«. Bernhard Langers Artikel beschäftigt sich mit »virtuellen Utopien« im Sinne von Vilém Flusser und Gilles Deleuze und versucht eine Anwendung auf den architektonischen Diskurs. Beschrieben wird eine »Nivellierung« zwischen Realität und Cyberspace, dem als sichtbarer Bilderwelt ebenfalls Wirklichkeitsstatus zuerkannt werden muss – wie umgekehrt der (gebauten) Wirklichkeit Virtualität – im Sinne von Kraftfeldern – innewohnt. Kristian Faschingeders »Architekten ohne Architektur« dreht sich um den Computer und dessen Einfluss auf die Architektur. Er tritt bei Frank Gehry als »tool« oder bei Peter Eisenman als konzeptueller Ausgangspunkt auf. Der Computer als Bringer des Neuen, als »Vorbote der Zukunft«? Wenn man von spezifischen Inhalten dieser drei Aufsätze einmal absieht, so lässt sich feststellen, dass die herangezogenen Beispiele in erster Linie von Peter Eisenman und Greg Lynn stammen. Auch jenseits einer Bewertung dieser Architektur in den einzelnen Beiträgen scheint dieser Fokus zu suggerieren, dass diese Architekten das Monopol für sich in Anspruch nehmen können, die Avantgarde der Architektur zu vertreten. Beide Architekten definieren das Neue primär über formale Experimente; Greg Lynns bisheriges Hauptwerk trägt den Titel: Animate Form. Christa Kamleithners Artikel versucht, das Neue als politische Kategorie zu fassen: Untersucht werden Parallelen zwischen den Diskurs- und Machtanalysen von Michel Foucault und dem Architekturdiskurs von Rem Koolhaas. Zum einen findet sich in Foucaults Schriften zentral eine Reihe architektonischer Metaphern (»parzellieren«, »ein- und ausschließen«, »Zwischenräume«, »leere Räume«), und zwar nicht nur in seiner Analyse panoptischer Architektur in »Überwachen und Strafen«. Bei Foucault wird ein Ineinandergreifen von Machtstrukturen und räumlichen Strukturen nahegelegt, wenn auch jenseits eines primitiven Determinismus. Gleichzeitig findet sich in Rem Koolhaas’ Schriften auch Foucault’sches Vokabular, zum Beispiel in seinem Text zur Berliner Mauer »The Berlin Wall as Architecture«. Beziehungen zwischen politischen/juridischen und räumlichen Konstellationen tauchen bei beiden Autoren auf – allerdings definieren beide diese Zusammenhänge nicht als direkt oder linear. Koolhaas ersetzt den traditionellen Masterplan durch eine Dialektik von Bestimmtheit und Unbestimmtheit, von voll und leer. So werden in seinen Entwürfen Zonen von hoher urbaner Funktionsdichte definiert, während dazwischen eine Leere bestehen bleibt, die Raum für zukünftige Programmierungen und unvorhersehbare Entwicklungen lässt – ein Thema, das Wilfried Kühn zuvor schon bearbeitet hat.
Die einzelnen Beiträge in UmBau 18 sind von unterschiedlicher Qualität. In der Gesamtheit fällt auf, dass viele inflationäre Schlagwörter des gegenwärtigen Diskurses zu finden sind: virtuell, Cyberspace, die Falte, die Leere ... – vor allem in den Texten, die sich auf das Thema der Ausgabe beziehen. Warum erscheinen immer wieder diese Denker und diese Architektur auf der Oberfläche des Diskurses? Selbstverständlich ist es es legitim, sich mit Greg Lynn oder Peter Eisenman (kritisch?) auseinander zu setzen. Warum aber sind jene die Erstgenannten, wenn es um das Neue in der Architektur geht? An diesem Punkt könnte eine Auseinandersetzung auch ansetzen: Befindet sich die Architektur in einem Rückzugsgefecht gegenüber der Gesellschaft, verstrickt in eine disziplinäre Selbstreferentialität?
Der vergleichsweise unspektakuläre Beitrag von SARS wirkt da erfrischend. Ihre Beobachtung, wie sich Ideologien zu räumlichen Manifestationen verhalten, wird zu einer spannenden Studie verdichtet. Nach 1989 findet man zahlreiche derartige »Laborsituationen« vor, und man kann davon ausgehen, dass sich eine Analyse der Transformationen ehemaliger sozialistischer Planungen lohnen wird. Abgeschlossen sind diese Entwicklungen noch lange nicht. Auch Christa Kamleithners Beitrag profitiert von der Reduktion. Es wäre auch nicht sinnvoll, »schillernden« Denkern wie Michel Foucault und Rem Koolhaas »schillernde« Analysen zu widmen.

Österreichische Gesellschaft für Architektur - ÖGFA und Institut für Architekturtheorie der TU Wien (Hg.)
UmBau 18: Im Sog des Neuen/ The Call of the New
Wien, 2001
Edition Selene.
144 Seiten.
ATS 150.-/ Euro 10,90


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