Thomas Ballhausen

Thomas Ballhausen, Autor, Film- und Li­te­r­­­a­turwissenschaftler, ist Mitarbeiter der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur im Literaturhaus Wien / Leitung der Pressedokumentation.


Vor der Krise ist nach der Krise ist vor der Krise – diesen Eindruck gewinnt man, ruft man sich den Zeitraum der Eröffnung und die Laufzeit der Ausstellung Die Moderne als Ruine. Eine Archäologie der Gegenwart, die in der Wiener Generali Foundation zu sehen war, ins Gedächtnis. Perfekter als jeder Zeitplan es hätte vorgeben können fiel die Laufzeit 19. Juni bis 20. September 2009 wie ein getimtes, zu besichtigendes Statement in die aktuelle Wirtschaftskrise und die daran gekoppelten Diskussionen und Debatten. Was von der Krise bleibt oder sich schlicht als bleibend herausstellen wird, kann wohl noch nicht abschließend gesagt werden.

Was von der überaus gelungenen, intelligent angelegten Ausstellungen auf jeden Fall bleiben wird, ist der dazu erschienene Katalog. Herausgegeben von Sabine Folie, Leiterin der Foundation und Kuratorin von Die Moderne als Ruine, ermöglicht das Buch retrospektiv betrachtet eben nicht nur eine Rückschau auf die ausgestellten Werke, sondern erweist sich auch als reich bebildertes, niveauvolles Lesebuch einer speziellen Themenstellung mit allgemeinem Diskussionspotenzial: Im Mittelpunkt stehen die uneingelösten Versprechen eines alle Lebensbereich umfassenden Designbegriffs und die exemplarischen Untersuchungen utopischer Modelle über künstlerische Zugriffe seit den 1970er Jahren, die sich in der Formulierung ihrer Ansätze und Kritiken schlicht der verbliebenen Reste bedienen.

Der reich bebilderte Band wird aber nicht allein wegen seiner Zusammenschau wesentlicher Projekte und Primärtexte bleiben, auch die ergänzenden Spezialuntersuchungen lassen diesen wohlmeinenden Schluss zu. Nicht zuletzt trägt die ansprechende Gestaltung des Bandes, die vom Team Schmauszer/Rieper umgesetzt wurde, zu seiner Qualität bei. Was Kataloge leisten können und sollen, wenn mit ihnen ein größer Anspruch von Nachhaltigkeit verbunden wird, wurde da schon mit der ebenso eigenwilligen wie gelungenen Begleitpublikation zur Porn Identity-Ausstellung, die im Frühjahr dieses Jahrs in der Kunsthalle Wien zu sehen war, unter Beweis gestellt.

Was bleibt? Diese Frage zieht sich auch wie ein roter Fragen durch die vergleichende, archäologische Untersuchung, in der das examinierte Design bereits von einem Zustand des Verfalls erfasst worden ist, dieses Moment des unwiderruflichen Auflösens schon immer in sich getragen hat. Die Ruine fungiert dabei, abseits aller zumindest kritisch zu befragender Romantik, als Schnittfläche zwischen den historischen Verläufen und als Scharnier zwischen den laufenden Diskursen.

Das immer noch gültige Spannungsverhältnis von Utopie und Dystopie zeigt sich dabei etwa im Anblick der Städte: Zerfall und Zersetzung durchziehen die intellektuelle und real-physische Substanz des Befragten, Verwüstung und Verwahrlosung erscheinen als die Erbschaft eines Zeitalters, das seinen Zenit hinter sich hat.

Mit Gordon Matta-Clark und Robert Smithson sind zwei zentrale Gegenpositionen zum funkelnden Glitzer-Pop benannt, die ihren Weg klar über das rohe Material nehmen; beide haben sich durch die Wahl ihrer Mittel und Themenstellungen als Vorläufer für neuere Arbeiten, die sich bewusst auf diese beiden Künstler beziehen, in die Geschichte (und eben nicht nur die Kunstgeschichte) eingeschrieben. Die Dysfunktionalität der utopischen Architektur und Stadtplanung der Moderne schlägt sich mit unübersehbarer Deutlichkeit in ihren Arbeiten nieder, alles Errichtete erweist sich unter dem Druck einer „ausbeuterischen, verrohten Gesellschaft der Konkurrenz, des Profits und des Fanatismus“ (Sabine Folie) als erschreckend/überraschend fragil. Spätestens im Kenntlichmachen dieses entropischen Moments ist die historische Dimension mitgemeint – und mitgedacht.

Die allgemeine Brüchigkeit in der Auseinandersetzung zum etablierten Leitmotiv, geht mit dem Errichten das Einrichten von Vergangenheit einher. Der sprichwörtliche Rost (Robert Smithson) ist schon vorangelegt und tritt spätestens – wenn nicht sogar: insbesondere – in angespannten Zeiten umso deutlicher zutage. Die Allegorisierung des Ruinenbegriffs verlangt im Rahmen einer selbstreflexiven und zugleich konstruktiv-kritischen Herangehensweise also, praktisch im Nichts anzusetzen und mit den verbliebenen Resten der Moderne etwas zu machen. Dies besitzt für historische wie für aktuelle Arbeiten gleichermaßen Gültigkeit, vom Rest gelangt man zum Werk – und zu einer entsprechenden Aussage abseits aller Sentimentalitäten.

Um die oben aufgeworfene Frage wieder aufzunehmen und auf das Verhandelte anzuwenden: Was bleibt also? Was bleibt abseits der Auswirkungen eines scheiternden Kapitalismus und dessen Auswirkungen auf ein gesamtgesellschaftliches Lebensumfeld? Ähnlichkeiten, die über die Zeit hinweg wirken, liegen in thematischen Kontinuitäten, einem berechtigten Verlangen nach politischer Verantwortung und der Herausbildung von Terminologien, die nicht einem zu kritisierenden normativen Deutungsmonopol entstammen und sich von ihm emanzipiert oder zumindest vorläufig einer Vereinnahmung entzogen haben. Die Strategien des Recycling und der Bricolage eröffnen in diesem „Jahrhundert der Armut“ (Yona Friedman) neue (Denk)Wege und machen es möglich, Orte des Übergangs und der Auflösung zu Räumen der Kritik und der (leisen) Hoffnungen zu machen.


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