Maria Welzig


„Ein Vogel scheißt nicht ins eigene Nest“. Dieses Sprichwort, auf einer Holztafel angebracht, begrüßte am Wochenende des 13. und 14. November 2009 die Besucher des Fertighauszentrums Blaue Lagune bei Wien. Weitere Sentenzen begleiteten den Weg durch die Mustersiedlung. Die Situation in Europas Hauptstadt der Fertighäuser interessiert Gabriele Rothemann und ihre Klasse für Fotografie an der Universität für angewandte Kunst schon seit geraumer Zeit. Sie gewannen die kunstinteressierte Geschäftsführerin der Blauen Lagune dafür, das 1:1 Schau- und Verkaufsareal für eine zweitägige Kunstintervention zu öffnen. In Kooperation mit der Klasse von Norbert Radermacher – Kunst im Kontext – an der Kunsthochschule Kassel setzten sich Studierende und die beiden Professoren mit den Gegebenheiten der Modellsiedlung auseinander; Gegebenheiten, die das allgemeine Wohnverhalten wesentlich prägen.

In Nordamerika oder Skandinavien seit dem 19. Jahrhundert eine Selbstverständlichkeit, entdeckte die Bauindustrie in Mitteleuropa das Fertighaus erst vor etwa einer Generation. Sie bietet es in allen vorstellbaren Formen und antizipierten Geschmackswünschen an – vom Palais zur rustikalen Villa bis zum vermeintlich stylischen Architektenhaus, immer umgeben von pflegeleichten Koniferen-Gärten. Die Freiheit der Wahl ist eine Scheinfreiheit. So ausgesucht disparat die Formenwelt, so monochrom der Lebensstil, von dem hier ausgegangen wird.

Die Kunstinterventionen sollen diese „repräsentierte, allgemein vorausgesetzte Sicherheit ins Wanken bringen“ (aus der Projektbeschreibung). „Sei still, ich hör‘ was!“ – Ein Angstgefühl der Bedrohung des Eigentums fängt ein im nächtlichen, Hunde-bewachten Areal gedrehtes Video ein, das auf einem schicken Flatscreen in einem Wohnraum läuft. Denn, wie ein Schild vor dem Fertighaus-Palais sagt: „Gelegenheit macht Diebe“. Dazu eine Soundinststallation – Aufnahmen des nächtlichen Froschkonzerts im Teich der Siedlung; ein intensiver Klang, der im Kontrast zur massiven Naturverdrängung dieser Bebauungsform steht. Die Lage der Fertighaus-Kleinstadt an der Autobahn und an der Peripherie entspricht den raumplanerischen Tatsachen, die die Verkaufsprodukte – freistehende Einfamilienhäuser – schaffen: Landschaftsfraß und Individualverkehr.

Die Vasistas Security verwehrt Kunstinteressierten den Zutritt zum Haus Nr. 84 und macht in dieser Intervention damit auf Sicherheit als vordergründige Rechtfertigung für Diskriminierung und Zensur aufmerksam. Ein in Frischhaltefolie gehülltes Haus („cocooning“) sieht nun aus, als hätte ihm jemand den Mund verklebt. In einem der Bungalows finden sich potenzielle Haus-Käufer mitten in einer typischen American Birthday Party mit allem standardisierten Beiwerk, das ungeschriebene Pflicht ist. Der Pavillon im Teich der Blauen Lagune wird durch im Wind klingende Glöckchen an goldenen Schnüren und die Farbe Orange zu einem Shintoismus-Schrein, in dem man auf die Erfüllung seiner Wünsche hoffen darf. Ein Musterhaus einer in Konkurs gegangenen Firma machten sich Studierende zu ihrem temporären Zuhause – welche Minimal-Eingriffe sind es, die ein Identitätsgefühl ermöglichen? Zu konfrontativ war die Idee, Flüchtlinge aus dem nahen Traiskirchen für zwei Tage und Nächte in einen „österreichischen Wohntraum“ zu „verlegen“.

Ein Vorgriff in der Geschichte ist die Arrangierung eines Hauses als „Volkskunde-Museum“. Im Gasthaus mit 1970er Jahre-Atmosphäre und -Geruch verstärkt sich der Eindruck, der beim Rundgang durch die „Haus-, Garten- und Garagenwelt“ entstanden ist: Hier ist irgendwie Zeit für Neues. Zeit für Gestaltungs- und Bauformen, die von weniger genormten Lebenskonzepten ausgehen. Für den Fertigbau selbst spricht heute – von der Energie bis zur Kostenfrage – nämlich fast alles. An Planungen für Fertighäuser der anderen Art mangelt es nicht, jedoch an der Produktion. Aber: „An ihren Taten sollt Ihr sie erkennen.“

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Hausstellung in der Blauen Lagune
Interventionen von Studierenden der Klasse
Norbert Radermacher, Kunsthochschule Kassel, und
Gabriele Rothemann, Universität für angewandte Kunst Wien
am 13. und 14. November 2009
in der Musterhaussiedlung Blaue Lagune.

Zahlreiche Fotos der Interventionen finden sich auf www.flickr.com


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