Daniel Kalt

Daniel Kalt lebt als Kulturwissenschaftler, freiberuflicher Journalist und Übersetzer in Paris.


Als es im ersten Beitrag zu dieser dérive-Serie um Space Invader ging, tauchte bald das Motiv eines dezidiert ludisch gehaltenen Konnexes zwischen Kunst und öffentlichem Raum auf. Mit der Stadt und den BewohnerInnen spielen, zur Interaktion auffordern, neues Stadterleben inaugurieren; man erinnert sich vielleicht. Die ganze Dimension der invasorischen Spiel-Metapher inkludiert zudem auf rückbezügliche Weise die Handlungsweise des bekanntermaßen nicht eigentlich legal operierenden, virenhaft einfallenden (wenigstens aus ordnungshütender Perspektive) Street Artists. Nun denn. Allerdings entbehrt ein gewissermaßen ruhendes Opus wie jenes von Space Invader, vielleicht weil es sich im Wesentlichen auf zwei Dimensionen beschränkt und in einer bestimmten Konstellation fixiert ist, bei aller Verspieltheit des ultimativen Interaktions-Anstoßes: Womit wir beim Thema dieser Magazin-Einschaltung angelangt wären.

CAN U KICK IT? Für die Berliner Mediengruppe LM/LN wurde es bei der WM mit Concrete Soccer ziemlich konkret ... © Mediengruppe LM/MN
CAN U KICK IT? Für die Berliner Mediengruppe LM/LN wurde es bei der WM mit Concrete Soccer ziemlich konkret ... © Mediengruppe LM/MN

In Deutschland kam letzten Juli bekanntermaßen der WM-Ball ins Rollen. Und dabei war das runde Ding keineswegs immer aus Leder. Wer sich in die Event-City Berlin bequemte, konnte sogar den Fernsehturm am Alex mit rosa Sechseckverzierung bestaunen (verantwortlich waren die Werbestrategen eines mobilfunkenden Großsponsors) und überhaupt setzte es an allen Ecken und Enden WM-Logos, WM-Slogans, WM-Burger, WM-Filzhüte, WM-Schlag-mich-tot… Schwarz-Rot-Gold glänzte es auf allen Stirnen und wehte gar per Spezialgenehmigung von Heckspoilern und aus Seitenfenstern vorbeizischender Pkws, was des Radfahrers Überleben an Ampeln bisweilen ein wenig erschwerte. Selbst der Kunstbetrieb, warum auch nicht, wollte naturgemäß ein bisschen mitnaschen, und wo man auf sich hielt, bespielten reihenweise Elferscharen die White Cubes. Inmitten einer solchen schwarz-weiß-gekachelten Gesamtkomposition, die der Verfasser dieser Zeilen in medias res zu erleben das Vergnügen hatte, ein kleiner Knalleffekt: Von zunächst anonymer Hand im öffentlichen Raum hinterlegt, trieben sechzehn angekettete Betonfußbälle ihr Unwesen. Dabei taten sie im Eigentlichen wenig anderes als harmlos herumzuliegen. Wobei das mit dem Harmlosen so eine Geschichte ist, im öffentlichen Raum.

Außerhalb des kontextualisierenden Ausstellungsraumes ist Kunst eben nicht so schnell als solche erkennbar. Und darob die schelmische Intention für die/den ungeübteN Kunstrezipientin/en nicht ohne weiteres verständlich.[1] Offenbar. Absurderweise reichte also der neckisch um die Betonbälle gesprayte Schablonenschriftzug Can u kick it? aus, um als Gebrauchsanweisung von einigen allzu wörtlich verstanden zu werden.

In manchen Kommentaren sah man sich veranlasst in dieser buchstäblich verkehrten Reaktion der PassantInnen auf die Arbeit (die Anweisung befolgen, anstatt sie als Paradoxon zu erkennen) ein Symptom für das Scheitern der Aktion festzumachen. Wiewohl außer Frage steht, dass Kunst tatsächlich scheitern oder missverstanden werden kann, sollte man sich im vorliegenden Fall womöglich eher um obrigkeitshörige Automatismen einiger StadtnutzerInnen die eine oder andere Sorge machen. Schließlich möchte bestimmt nicht jede im öffentlichen Raum schriftlich gestellte Frage – sei sie ernst gemeint oder nicht – mit bejahendem Enthusiasmus beantwortet werden.[2]

Die Angelegenheit also verlief nicht so glimpflich, wie die Macher und Mitglieder der Mediengruppe LM/LN – das sind Attila Zsolt Tornyi und Maximilian Lacher – sich das ursprünglich für Concrete Soccer vorgestellt hatten. Denn offenbar zogen sie allen apriorischen Versuchsanordnungen zum Trotze die Dynamik des unberechenbaren öffentlichen Raumes nicht ausreichend mit in Erwägung. Wer nämlich ausgerechnet Kinder ein Spiel austesten lässt, wie die beiden es taten, handelt womöglich ein wenig zu naiv und vergisst auf eine im Lauf des Menschenlebens stattfindende Spielentwöhnung. „Grober Unfug“ lautete denn auch eine der erhobenen Anschuldigungen, nachdem die Staatsanwaltschaft sich eingeschaltet hatte. So dass die Debatte um den Kunstwert bzw. Kunstcharakter der Aktion von GesetzesvertreterInnen geführt werden musste, um ein adäquates Strafausmaß zu eruieren. Denn ein paar verstauchte Füße und gebrochene Zehen können schnell die Verurteilung mutmaßlich böswilliger Kunstguerilleros notwendig machen. Harmlose Street Artists oder doch urbane Westentaschenterroristen: Die Frage ging letztlich aufgrund ihrer polizeivermerklosen Unbescholtenheit zugunsten der Mediengruppe aus.

Noch mehr als ihre einigermaßen beschauliche Innenraumschwester taugt Kunst im öffentlichen Raum als echte Aufregerin. Denn zwischen künstlerischer Ambition und böswilligem Vandalismus besteht für viele der – unfreiwilligen – RezipientInnen von *Public Art * kaum ein Unterschied. Und wenn einem die Kunst auf den Leib rückt, den man zwar selbst dagegen werfen muss, ist wohl überhaupt der Gipfel erreicht. Über Geschmack kann man bekanntlich schon schlecht streiten. Über lädierte Knochen aber endgültig gar nicht mehr.

Can u kick it? dérive im Gespräch mit Attila Zsolt Tornyi, Mitglied der Berliner Mediengruppe LM/LN

dérive: Von welchem Gedankengang ausgehend habt ihr die Aktion Concrete Soccer, wie sie am Ende stattgefunden hat, konzipiert?

Attila Zsolt Tornyi: Verschiedene Aspekte haben dazu geführt, dass wir Concrete Soccer realisiert haben, und es hat nicht ein einzelner auslösender Blickeinfall die Aktion motiviert. Abstrakter Ausgangspunkt war in etwa folgende Skizze: Ein Mann will einen Stein wegtreten, der aber an seinen Fuß gekettet ist. Eine Metapher also. Dazu hat es sich dann natürlich günstig ergeben, dass in Deutschland die WM ausgetragen wurde. So ist das eine zum anderen gekommen und aus Bleistiftskizzen wurden kleine Monumente.

dérive: In diesem Entwicklungsprozess war es für euch von Anfang an klar, dass das Projekt im öffentlichen Raum funktionieren würde?

AZT: Natürlich. Concrete Soccer musste auf die Straße. Wir wollten das Ganze auch anonym anlegen: Die Aktion im öffentlichen Raum ansiedeln und ursprünglich kein großes Drumherum machen. Also das Ganze unerklärt lassen. Sechzehn Bälle in einem Großraum wie Berlin sind ja verschwindend wenig. Die Presseerklärungen, die wir abgaben, wurden allerdings später notwendig und durch den Umstand erzwungen, dass die Polizei uns ausgeforscht hatte.

dérive: Wer mit Kunst in den öffentlichen Raum geht, weiß freilich nie ganz genau, wie die dort platzierte Arbeit angenommen werden wird und auf welche Weise die StadtnutzerInnen damit interagieren werden. Abgesehen von den Reaktionen auf das Werk in seiner ästhetischen Dimension hat sich bei euch ein Problem ganz anderer Natur eingestellt. Wart ihr euch im Vorhinein überhaupt des Risikos bewusst, dass es zu Körperverletzungen kommen könnte?

AZT: Selbstverständlich haben wir die Gefahr in Erwägung gezogen, dass etwas passieren könnte. Deshalb haben wir einen Prototyp gebaut. Auf unserer Homepage ist zu sehen, wie Kinder aus der Nachbarschaft damit spielen, ohne sich zu verletzen. Kindersicher sozusagen.

dérive: Was so dann allerdings leider nicht gestimmt hat. Wie viele Leute haben sich letztlich bei Kickversuchen verletzt?

AZT: Es gab neun Opfer, davon zwei Personen mit gebrochenen Zehen.

dérive: Eure Installationen fanden in der Stadt während der Fußball-WM statt. War es auch ein Anliegen, den Link zwischen Fußball und Öffentlichkeit zu thematisieren; zwischen der WM und dem Prinzip der Event-City? Die von Fußball-Manie drangsalierte Stadt-Gesellschaft zu repräsentieren?

AZT: Es war perfekt, weil die ganze Stadt von Hinweisen auf die WM übersät war. Der Link mit Fußball war also jedenfalls nahe liegend. Und es handelte sich bei der WM um ein Spektakel, an dem man unmöglich vorbeikommen konnte. Erinnere dich doch an die FIFA-Geschichte und die Aufregung um tausende patentierte, gesicherte Sprüche und Logos. Daran, dass diskutiert wurde, ob man mit dem eigenen Trikot überhaupt die abgesteckte Fanmeile betreten durfte. Darum ging es uns auch.

dérive: Das Überregulierte ansprechen und es widerlegen…?

AZT: Wir wussten natürlich nicht, dass diese ganze Blase so platzen würde. Eigentlich wäre uns daran gelegen gewesen, einen anonymen Kontrastpunkt zu diesem Riesenbetrieb zu setzen und auf das Wesentliche zurückzukommen, unter anderem: Nämlich dieses Objekt, den Ball selbst, der auch einfach ein formschöner Gegenstand ist. Ihn anders zu verwenden war unsere Intention.

dérive: Als, wie du sagst, die Blase geplatzt ist, setzte schnell die Reaktion internationaler Medien in großteils recht aggressiv gehaltenem Ton ein. Oft wurde eure Aktion als Vandalismus abgetan – es kam zu kaum einer Reflexion über deren Hintergrund.

AZT: Die Kommentare waren oft wortgleich und wirkten wie voneinander abgeschrieben. Insgesamt war das Medienecho tatsächlich ziemlich niederschmetternd. Und böswillig. Es gab ein paar Stimmen, die differenzierter waren. Die taz ist zum Beispiel nicht auf den Tonfall des Boulevards aufgesprungen.

dérive: Obendrein wurdet ihr von Fernsehteams beehrt?

AZT: Ja, das Fernsehen ist auch gekommen. ProSieben Austria hat anschließend irgendwelches Bildmaterial irreführend zusammengeschnitten. Man sah in Handschellen von Polizeiwagen abgeführte Männer – und das waren nicht wir. Vielleicht mussten wir auch als Lückenfüller für das beginnende Sommerloch herhalten. Schlimm ist eigentlich, dass nach diesem Startschuss unsere Aktion in Richtung Terroranschlag ausgelegt wurde. Seit dem 11. September hat ja schnell etwas diesen bitteren Beigeschmack. Deshalb wollten wir ja auch die Straße haben, mit dieser Metapher einer Falle.

dérive: Wenn euer Ziel durch das Platzieren von Kunst im öffentlichen Raum die Provokation einer Medienhysterie gewesen wäre, hätte es nicht besser klappen können. Denn die Schneeballreaktion ist eingetreten.

AZT: Richtig. Das Ausmaß haben wir freilich nicht abschätzen können.

dérive: Wann sind die ersten Berichte aufgetaucht und wie lang hat das Interesse angehalten?

AZT: Innerhalb von kürzester Zeit. Am Donnerstagabend – Deutschland gegen Argentinien! - haben wir die Bälle ausgelegt. Ab Samstag gab es die ersten Berichte in der Zeitung. Und in der Woche darauf ging das Ganze weiter. Angedauert hat das Interesse der Medien ca. eine Woche.

dérive: Will die Mediengruppe LM/LN sich eigentlich in erster Linie als Street Artists verstanden wissen?

AZT: Wir versuchen autonom zu agieren und außerhalb des Kunstbetriebs oder Sponsorentums unsere eigene Bühne zu schaffen. Es geht um den Freiraum, der notwendig ist, um Ideen konsequent und kompromisslos umzusetzen. Ob man sich dabei auf der Straße bewegt oder anderswo, spielt eine sekundäre Rolle. Dass wir keine urbanen Terroristen sind, zeigt ja schon unsere Innenrauminstallation The Wall – Mauer versus Weltraum kurz vor Concrete Soccer. Wir haben quer durch unsere Räumlichkeiten ein Stück Mauer wieder aufgebaut, um diesen Abschnitt wieder begehbar und erlebbar zu machen.

dérive: Die Lust auf den öffentlichen Raum ist euch also nicht vergangen?

AZT: Auf keinen Fall.

dérive: Würdest du nach fünf Jahren in Berlin sagen, dass die Stadt, der Stadtraum selbst – auch nach dem Abklingen des Hypes – empfänglicher für kreative Dynamiken ist als etwa Wien?

AZT: Das glaube ich schon. Auch bedingt durch die Geschichte. Ich denke, in Berlin geht einfach mehr. Hier kann man sicher einfacher Sachen realisieren als in Wien, obwohl weniger Geld da ist. Wien ist cleaner, aber das nimmt auch Dynamik heraus.

dérive: Immerhin wird ja Wien auch bald Fußball-Stadt werden. Wird die Mediengruppe zur EM 2008 kommen?

AZT: Vorbeischauen werden wir sicher. Aber mehr kann ich jetzt noch nicht sagen.

Fußnoten


  1. Wobei es hier nicht einmal um die leidige Frage irgendwelcher Geübtheiten gehen soll, denn auch der Kunst-„Profi“ erfährt eine Stärkung seiner kritischen Urteilskraft, wenn er – räumlich bedingt – weiß, worauf er wie zu achten oder reagieren hat. Der eindeutig ausgewiesene Kunstkontext simplifiziert und entschärft. Der ambigue öffentliche Raum stellt ein jedenfalls heikleres Setting dar. ↩︎

  2. Folgendes ist wohl kaum bestreitbar: Wenn der Preis ein gebrochener Fuß ist, geht ein künstlerischer Denk-Anstoß zu weit. Dass es jedoch grundsätzlich solcher Denkanstöße bedarf und dass gerade Public Art – weil sie eben nicht durch den musealen Innenraum entschärft ist – dazu prädestiniert ist, innovative Impulse in diese Richtung zu geben, ist die Überzeugung des Autors. ↩︎


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