» Texte / Life Style Architektur für den Hire and Fire Alltag

Roland Schöny


Einer der Chefideologen unentwegter Selbstoptimierung unter dem Paradigma des Neoliberalismus inszeniert sich selbst als mobil lebender Guru. Mehr als 200 Tage jährlich verbringt der amerikanische Bestseller Autor Tom Peters symbiotisch mit dem Laptop verbunden in den Zimmern exklusiver First Class Hotels. Stets on the road tritt er des Abends als hohepriesterlicher Propagandist einer monadischen und auf irgendwelchen Projekt-Blasen basierenden flexiblen Existenz vor sein Rat suchendes Publikum. Da predigt er Selbstorganisation, Wandlungsfähigkeit und Waghalsigkeit als jenes Erfolgsmodell, das in der Realität sukzessive in unterbezahlte Verträge auf Zeit, prekäre Lebensverhältnisse und im äußersten in finanzielles Desaster und Privatkonkurs führt. Alltagsreportagen und Talkshows zahlreicher Fernsehkanäle bauen solche Untergangsszenarien des flexiblen Menschen bereits zu Themennachmittagen aus.

Doch halt: Hier werden räumliche Dispositive ausgeleuchtet. Was für den zynischen Propagandisten enthemmter Flexibilität, Tom Peters, in der von Andreas Rumpfhuber im Reader Arbeit Zeit Raum skizzierten Nahaufnahme das King Size Bett im noblen St. James Hotel in Montreal ist, endet in einem von Herausgeberin Gabu Heindl verfassten historischem Längsschnitt als glamourös gestylte Office-Kommunikationslandschaft für den Hire and Fire Alltag der Creative Industries. Wenn Foucault noch für die Periode der präfordistischen und fordistischen Disziplinierungsmilieus fragte: „Was ist daran verwunderlich, wenn das Gefängnis den Fabriken, den Schulen, den Kasernen, den Spitälern gleicht?“, dann ist auch für den Postfordismus nicht verwunderlich, wenn Büros Clubräumen und Autofabriken Museen gleichen. Mit Fokus auf diese strahlende Maschine der Verdrängung gesellschaftlicher Realität per Life Style Architektur für das Arbeitsleben schließt Heindl ihre entlang der Tangente der Rationalisierung in Fabriken und Büroclustern der USA, Japans und Europas verlaufende Analyse. Allerdings überrascht der überwiegend deskriptive Zugang, der bei Frederick Taylors Principles of Scientific Management von 1911 und den für Henry Fords Entwicklung der Fließbandarbeit maßgeblichen Fließketten in Chicagos Schlachthöfen ansetzt, in diesem Buch gelegentlich. Die auf die topografische Grammatik der Arbeitsorganisation konzentrierten Sondierungsbewegungen von Arbeit Zeit Raum belassen die im Subtext mitlaufende vierte Koordinate – den Begriff des in sich antagonistischen Gesellschaftlichen – etwas zu oft hinter der Bühne. Der primäre Blick auf morphologische Prozesse innerhalb der westlichen, euro-amerikanischen Moderne hat seinen Preis in der Konstruktion einer tendenziell linearen Abfolge von Entwicklungen, was Kamerafahrten auf Widersprüche und Widerstände weitgehend ausschließt.

Zum anderen jedoch gelang es der Herausgeberin, die mit ihrer eigenen Analyse eine der Hauptachsen legt, AutorInnen und Themen zu vereinen, die insgesamt eine dichte Makrolandschaft aneinander andockender Beobachtungsfelder konstituieren. Eine breite historische Folie entwirft Siegrid Mattl mit Zoom in Richtung Paris, Petersburg, Mailand und Wien, wobei er die Bedeutungen und strategischen Potenziale klassenspezifisch codierter Raumformationen von Plätzen und Straßenzügen – als Aufmarschgebiete etwa – wie auch von kommunalen Architekturen des Wohnens und Orten der Arbeit selbst durchmisst. Spürbar ist, dass Mattl den seinen Texten inhärenten Materialreichtum offenbar mit Strenge bändigen musste, um das Format des Essay-Bandes nicht zu überschreiten. Seine Theorie-Fluchtpunkte Richtung Gegenwart sind Saskia Sassens These von der Defragmentierung der Nationalstaaten und die von ihm oft ins Treffen geführten Lúc Boltanski und Eve Chiapello.

Positioniert vor diesen Koordinaten von Raum- und Zeitregimen, die letztlich in Jaques Tatis filmischer Diagnose Jour de féte ironisch kulminieren, bringt der Band zahlreiche Feinbeobachtungen. Mitunter wird die Perspektive von Innen nach außen, also aus der Sicht des Subjekts in Richtung Aktionsraum gedreht. Höchst verschieden und daher nur auf metaphorischer Ebene miteinander verwandt sind die Annäherungen von Karin Harasser und Klaus Neundlinger. Beide reflektieren in diesem Sinn spezifische Erweiterungen in den Raum. Während Harasser Geschichte und symbolische Bedeutung der Prothese von der Normierung der Prothetik im Zuge des ersten Weltkriegs bis zu Donna Harraways Plädoyer für den Cyborg-Körper als Überschreitung der Norm-Körperlichkeit und Subjekt-Dekonstruktion nachzeichnet, befragt Neundlinger den Aktions- – oder besser – Überlebensradius singulärer KleinstunternehmerInnen unter prekären Bedingungen. Angelpunkt dafür ist weniger der geografisch festgelegte Raum, sondern der Begriff des Spielraums als Entscheidungsdispositiv verbunden mit der ökonomischen Figur der Grenzproduktivität als mathematische Einheit des etwaigen Hinzufügens von Produktionseinheiten. In die Praxis übertragen würde das etwa zu paranoischen Überlegungen bezüglich der Erhöhung des eigenen Schuldenstandes zwecks Investition in einen neuen Auftrag führen, um dann 22, statt vorher 18 Stunden täglich zu arbeiten.

Ein Sprung in den medialen Orbit der Distanz könnte hier eventuell helfen, die Verhältnisse des Alltags zu vergessen. Etwa durch Flucht ins Internet. Dort bietet die Foto-Sharing Community Flickr Hunderttausende Amateuraufnahmen von Büroarbeitsplätzen, die Maya McKechneay als Selbstvergewisserungsstrategie zur persönlichen Verortung analysiert. Aber auch ein Kinobesuch – begleitet von Drehli Robnik – bietet sich an. Dieser widmet sich in einem bis in die Mikrofasern dichtem Text unter anderem auf Basis von Siegfried Kracauer dem körperlichen Massenornament auf der Leinwand des Kinos der 1920er Jahre als Spiegelbild von Produktionsabläufen. Angesichts des ganzen Arsenals an Raumformatierungsstrategien im 20. Jahrhundert mutet es fast tragisch an, dass alternative Konzeptionen bis auf die Verweise auf die Arbeiterbewegungen oder die sentimentale Idee eines produktiven Zusammenschlusses zweier komplett vereinzelter ProduzentInnen an den Randzonen des Neoliberalismus im Text von Klaus Neundlinger kaum beleuchtet werden.

Insgesamt aber ist Arbeit Raum Zeit als wissenschaftliches Nachfolgeprojekt zum Modul des steirischen Herbstes 2006 Der Arbeit nachgehen von Markus Bogensberger und Gabu Heindl im Haus der Architektur Graz ein kurzweilig zu lesender Essayband mit dem Charakter einer Toolbox, der in grundsätzlicher und gelungener Form Makrozonen kapitalistischer wie auch kriegsbedingter Formatierungsstrategien von Arbeit und Alltag ausleuchtet.


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