Iris Meder


Das immer wieder als deutsch apostrophierte Projekt Autobahn ist nicht erst seit dem Song der Band Kraftwerk in unterschiedlichster Weise reflektiert worden. Einen kompakten Versuch einer Aufarbeitung des Konzepts plus eine kritische Reflexion der Autobahn als räumliches Prinzip unternimmt das Buch von Benjamin Steininger.

In fast schon Thomas Mann‘scher Manier muss man sich nach der kurzweiligen Einleitung („Der dissonante Auftakt aus Fahrzeugen, gewöhnlichen bis schlechten Straßen sowie Spitzenfahrern hat sich in einen harmonischen Dreiklang aus Fahrzeugen, Spitzenstraßen sowie gewöhnlichen bis schlechten Fahrern aufgelöst“) zunächst durch ein sehr ausführliches Kapitel über Betonplatten und Untergrundbefestigung arbeiten. Mit der nach zahlreichen Testfahrten der erwähnten „Spitzenfahrer“ getroffenen Entscheidung für die Betonplatte und gegen Bitumen und Kleinpflaster, soviel wird klar, war die technische Voraussetzung für ein schnelles Voranschreiten der Arbeiten geschaffen.

Das raumplanerische Konzept ging dabei zunächst unter Fritz Todt von der geraden Linie als Ideal aus: „Wir wollen unser Ziel weit vor uns sehen, wir wollen gerade und zügig dem Ziel zustreben; Durchkreuzungen überwinden wir, unnötige Windungen sind uns fremd. Ausweichen wollen wir nicht, wir schaffen uns genügend Bahn zum Vorwärtskommen (…). So bauen wir im Dritten Reich die Straßen, so erziehen wir die Menschen, so errichten wir das ganze nationalsozialistische Reich“, so Todt 1933. „Wir werden nach Möglichkeit Geraden haben von mindestens sieben Kilometern Länge; dann kommt ein Knick mit einem Einheitshalbmesser von zweitausend Metern und wieder eine Gerade. Denn auf den Autobahnen fährt man nur mit zwei Fingern am Lenkrad; bei einem solchen Knick zieht man ein wenig mit zwei Fingern und hat eine neue Richtung.“

Todts absolutistischer Ansatz impliziert die Horrorvision einer Autobahnplanung, die z. B. in Frankreich bald gezwungen war, die Böschungen mit bunten Kunstwerken zu versehen, da es infolge der extremen Monotonie der Strecke zu zahllosen Unfällen gekommen war. Heute stellt sich dagegen das (von Steinigner nicht behandelte) Problem der Lärmschutzwand-Lobby, die die hohlen Gassen der Autobahnen flächendeckend abschottet.

Auftritt Alwin Seifert, Münchner Gartenarchitekt mit anthroposophischem Hintergrund und „Reichslandschaftsanwalt“. „Nicht die kürzeste, sondern die edelste Verbindung zweier Punkte heißt es zu schaffen!“ war nun die Parole, 1936 wurde der Fotowettbewerb „Die schöne Straße im Bau und unter Verkehr“ ausgeschrieben. Große Aufmerksamkeit widmete man dem Thema Kurvenradius und –form. Als Optimum siegte die „Klothoidkurve“.

Steininger referiert auch den Themenkreis Kreuzung – einst Ursprung für eine Ansiedlung, bei der Autobahn aber ein paradigmatischer Unort, an dessen Rändern sich aber wieder Gewerbegebiete ansiedeln. Gegenüber dem Vorschlag einer Hakenlösung (zum Nazi-Hakenkreuz wegen Rechtsverkehrs dummerweise seitenverkehrt), aber auch den leider nicht näher erläuterten Modellen „Barock-Kreuzung“ und „gotische Kreuzung“ setzte sich wegen der geringen Zahl an Überbrückungen letztlich die auch als auch „Renaissance-Kreuzung“ bezeichnete Kleeblattkreuzung durch.

Das rasche Fahren ohne störende Kontakte mit Fußgängern (in Österreich wurde parallel 1935 mit der Wiener Höhenstraße die erste Autostraße eröffnet) unterbrachen Tankaufenthalte in den Raststätten, von denen Steininger mit dem Rasthof Chiemsee nur eine einzige vorstellt, mit leider sehr mangelhafter Abbildungsqualität. Sie stellt den Modellfall eines Versuchs dar, ein großes Ausflugsgasthaus (mit „stillem Strandweg“ am See direkt neben der Autobahn) zu schaffen, das sich als „Fischerwirt“ mit eigenem Wappen und „Bauerngarten“ in seiner ubiquitären Blut-und-Boden-Architektur mit aufwendiger Betonfundierung und pseudo-authentischen Deckenbalken in „geschrubbter Fichte“ auch noch den Anschein des Bodenständig-Gewachsenen geben sollte. Technisch war der heute von der US-Armee genutzte Bau mit seiner Radio- und Fernsprecherverkabelung State of the Art – wobei sich dem linientreuen Baukünstler ungeahnte Probleme stellten: „Lautsprecher und Radio geben dem Architekten noch selten geknackte Nüsse auf.“

Auf die Sinnhaftigkeit eines Autobahnbaus in einer Gegend ohne nennenswerten Verkehr angesprochen, meinte der oberste Ausflügler: „Glauben Sie denn, dass da kein Verkehr ist, wenn wir erst die Autobahn fertig haben?“ Hitler sollte in diesem Punkt Recht behalten, wie auch Fritz Todt 1938 erkannte: „Wer je einmal am Sonntagabend in der Dämmerung auf dem Samerberg oder dem Irschenberg gestanden hat und die endlose (…) Lichterkette verfolgt, die gebildet wird von den Scheinwerfern der Wagen, die von der Wochenendfahrt auf der Reichsautobahn Salzburg-München aus dem Gebirge zurückkehren, um ihre Insassen neu gestärkt an die Tagesarbeit zu bringen, über den hat die Autobahn Macht gewonnen, der glaubt an ihre Aufgabe und ahnt, was sie wirtschaftlich bedeutet.“


Heft kaufen