Iris Meder


Seit dem Turmbau zu Babel, dem Koloss von Rhodos und den Pyramiden steht Megalomanie für menschliche Anmaßung; auch der Untertitel der Wiener Ausstellung impliziert es. Anmaßung wird hier aber synonym mit utopischem Denken gesetzt und somit positiv gewertet, was den komplexen Themenkreis stark simplifiziert. Gemäß dem linearen Modernebild des frühen 20. Jahrhunderts scheint einzig die große, radikale Idee als Bannerträger des Fortschritts zu taugen.
Die Affinität megalomaner Bauformen zu totalitären Regimes ist für die Moderne offensichtlich: Neben Hitler verfielen nicht nur Mussolini, Franco und Stalin dem architektonischen Größenwahn. Bereits die Architektur der Oktoberrevolution setzte mit Melnikow, Leonidow, Tatlin und EI Lissitzky auf die große Form als Metapher für große politische Entwicklungen. In der Weimarer Republik, den Niederlanden und der Tschechoslowakei wurde dagegen distinguiertes Understatement zum Zeichen demokratischer Selbstbescheidung.
Deutschland traute sich, zur Weltausstellung in Barcelona 1929 nichts weiter als den flach hingeduckten Glaspavillon Ludwig Mies van der Rohes auszustellen.
Konsequent knüpfte die Nachkriegszeit mit Bauten wie dem Bonner Bundeshaus und dem Karlsruher Bundesverfassungsgericht an den Spätfunktionalismus mit seinem baumassenauflösenden Pavillonsystem an.
Allerdings sind megalomane Elemente auch in demokratischen Staaten unübersehbar: Das für die Pariser Weltausstellung 1937 gebaute Palais de Chaillot lässt den Betrachter sofort verstehen, dass Albert Speers deutscher Pavillon in Paris mit einer Medaille ausgezeichnet wurde. Das Helsinkier Parlament könnte ebenso gut ein Bau der Nationalsozialisten sein. Und wer die »Mall« in Washington DC abschreitet, glaubt sich ohnehin schnell in der »Hauptstadt der Bewegung«.
Wie ist es andererseits mit den Stadtkronen Bruno Tauts oder Ludwig Hilberseimers radikalen Stadtplanungen? Welches Menschenbild steht letztlich hinter Le Corbusiers Aussage, die Bedürfnisse aller seien im Prinzip identisch?
Wer von der »schönen Ausstellung«, dem historischen Teil der als erster Termin einer Triennale experimenteller Architektur konzipierten »Mega«-Schau, Stellungnahmen zu diesen Themen erwartet, sieht sich enttäuscht. Offenbar nahm man an Exponaten, was zu bekommen war; vornehmlich aus der Österreichischen Nationalbibliothek und dort vor allem Kinoplakate der Zwanziger. Warum hat man nicht - was durchaus legitim gewesen wäre - eine Ausstellung über Wolkenkratzer im Kinoplakat gemacht? Warum sind im Gegensatz zu Phantasien der Renaissance und des Barock die waghalsigen Konstrukte der Gotik ausgespart? Wieso kommt der faschistische Palazzo della Civiltà Italiana nur in Form einer zeitgenössischen Lichtinstallation vor? Sollte es um kritische Auseinandersetzungen mit Gigantomanie gehen, dürfte Günter Domenigs Dokumentationszentrum im Reichsparteitagsgelände Nürnberg nicht fehlen. Was tut Erich Boltensterns Hochhäuschen für die Wiener Städtische am Schattenring hier? Wollte man einen Sponsor ehren? Ein Blick auf die »mega dankt«-Liste erhärtet den Verdacht.
Dazu kommt eine Exponatliste mit vielen Fehlern und kryptischen Objektbeschreibungen wie »Otto Wagner, Die Groszstadt. Modell nach einer Skizze, Holz, Meisterklasse Prof. Holzbauer 1997«.
Otto Wagners Buch, in Holz nachgebaut? Auch zu Hanns Dustmanns »Wien an die Donau« erfährt man nur, dass es in der Meisterklasse Holzbauer im Jahr 1997 gebaut wurde, nicht aber, dass es sich um ein Nazi-Projekt handelt.
Im Ausstellungsteil Mürzzuschlag geht es, etwas konkreter, um das »Syndrom Babylon und die moderne Architektur«. Was hier ausgerechnet Franz Schusters 1948 erschienenes Buch »Der Stil unserer Zeit« verloren hat, das Mäßigung und Bescheidenheit propagiert, ist rätselhaft. Dennoch ist das Konzept dieses Ausstellungsteils schlüssiger. Zikkuratartige Entwürfe aus der Otto-Wagner-Schule thematisieren ebenso das Babel-Syndrom wie Stadtplanungen Adolf Loos'. Den Hauptteil machen jedoch (neben einer Reihe von »Superstudio«-Grafiken) radikale österreichische Entwürfe der Sechziger aus: Günther Feuerstein, Carl Pruscha, Zünd-Up, Wilhelm Holzbauer, Anton Schweighofer, Johann Georg Gsteu. Wo sind Hans Hallein, Walter Pichler, Haus-Rucker-Co und Coop Himmelb(l)au? Der Grundgedanke ist klar: Nach dem in eine Sackgasse geratenen Pragmatismus der Spätmoderne soll radikales Denken durch Anknüpfen an die Sechziger wiederbelebt werden. Diesem Ziel wäre mit klareren Konzepten aber besser gedient.
Eine schöne Ergänzung ist im übrigen die kleine Zusammenstellung historischer Architekturphantasien im Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste. Von Fischer von Erlachs »Entwurff einer historischen Architectur« bis Hetzendorf von Hohenberg ist dort der Anspruch auf das Stehen in der Geschichtskontinuität als Triebfeder megalomaner Architektur thematisiert. Auch ein Aspekt eines Themas, das eine sorgfältigere Bearbeitung verdient hätte.

www.mega-architektur.at


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