Iris Meder


Es ist eine seltsame Sache mit Otto Neurath – so richtig populär ist er hierzulande nicht, und das von ihm begründete Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum fristet seit Jahrzehnten eine eigentlich zur Gänze unbeachtete Existenz. Das war früher einmal anders – im Roten Wien der Ersten Republik stellte Neuraths Lieblingsprojekt die gänzlich neue Konzeption eines „mobilen Museums“ dar. Josef Frank gestaltete die Räumlichkeiten im Rathaus, die mit arbeitnehmerInnenfreundlichen Öffnungszeiten und freiem Eintritt lockten und auch als Leselounge zu nutzen waren.

Es ist sicher auch kein Zufall, dass die jüngste Untersuchung zu Neuraths Konzept einer „globalen Polis“ einem New Yorker Forscher zu verdanken ist. Nader Vossoughians Buch, Begleitpublikation zur von ihm kuratierten Neurath-Ausstellung in Den Haag und überarbeitete Version seiner Dissertation, stellt das breite Spektrum von Neuraths Schaffen in ebenso kompetenter wie kurzweiliger Form vor. Ausführlicher Raum wird neben Themen wie Tauschhandel und Naturalwirtschaft der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg auch dem aus dem „wilden“ Siedeln der Anfangszeit in geordnete Bahnen übergeführten Siedlertum und damit verbundenen Konzepten wie der „Kernhausaktion“ des Österreichischen Siedler- und Kleingartenverbandes gewidmet. Vor allem aber natürlich auch der Bildstatistik, auch in ihrer von Gerd Arntz geprägten hohen ästhetischen Qualität.

Die problematischen Aspekte eines einseitigen Denkens in „Isotypes“ thematisiert bereits das Cover des Buches, mit Piktogrammen der ethnischen Gruppen in den Ländern der Erde auf der Vorderseite und der Fotografie zweier barfüßiger holzsammelnder Jungen auf der Rückseite. Die Isotypes propagierte Neurath unablässig nicht nur in Wien, sondern auch im Exil in den Niederlanden und England und auf der legendären CIAM-Tagung auf See und in Athen 1933, wo auch wesentliche Konflikte mit den Repräsentanten der Moderne deutlich wurden. Seine Vorstellung einer modernen Welt mit zeitgemäßen Menschen legte Neurath unter anderem in seinem 1939 in New York erschienenen Buch Modern Man in the Making dar. Der Utopie einer perfekt geordneten und bildstatistisch klassifizierbaren Welt blieb er zeitlebens treu.

Die erstklassige Qualität der Abbildungen, zumeist aus der Isotype Collection der University of Reading stammend, und ein hervorragendes grafisches Konzept tragen das ihre dazu bei, das Buch zu einer Empfehlung werden zu lassen.


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