Christa Kamleithner


So beginnt die Studie zum Thema Shopping, dem zweiten Teilprojekt des Harvard Design School Project on the City, das Rem Koolhaas mit seinen Studierenden vor vier Jahren in Angriff genommen hat. Koolhaas hat damit den Beginn einer neuen Form des Architekturunterrichts gesetzt (die auch bereits andernorts erprobt wird, bspw. steht dieses Jahr in der Klasse von Nasrine Seraji das gleiche Thema am Programm), bei der nicht der fertige Entwurf das Endresultat darstellt, sondern die Analyse, die jedem Entwurf vorangehen sollte, aber aus Zeitmangel meistens unterschlagen wird. Wird die Analyse zum Ziel, und die Theorie zur eigentlichen Praxis, ist mehr Zeit für sie vorhanden: die Studierenden beschäftigen sich jeweils ein Jahr mit einem Thema und der Aufbereitung für eine Publikation. Auf diese Publikationen wartet man schon länger, sowohl das erste Projekt Pearl River Delta, als auch Shopping sollten bereits im Taschen Verlag erschienen sein; Shopping ist nun für nächsten Sommer angekündigt, inzwischen kann man sich aber mit dem Ausstellungskatalog zu Mutations begnügen, in dem alle vier Projekte vorgestellt werden, also auch die Studie zu Lagos und How to Build a City. Roman Operating System. (Letzteres ist mehr eine Ankündigung, verspricht aber besonders Spannendes: die römische Stadtplanung, die mit mehr oder weniger identischen Städten die Homogenisierung des Römischen Reiches vorangetrieben hat, wird unter dem Aspekt der Generic City und der heutigen Globalisierung betrachtet.) Die Aufbereitung der Themen ist natürlich keine »wissenschaftliche« (was immer das auch sei), sie ist immer auch optische Aufbereitung - schließlich sollen vor allem ArchitektInnenaugen oder jene von AusstellungsbesucherInnen angesprochen werden -, dennoch steckt hinter den Schlagwörtern und Kurzformeln meist eine eingehendere Auseinandersetzung mit dem Thema, auch vor dem Hintergrund philosophischer Lektüre, wie vor allem bei Shopping sichtbar wird. Die wichtigste Feststellung, die in Shopping getroffen wird und die zeigt, daß es sich nicht um irgendein Thema handelt, ist, daß mittlerweile alles zum Shopping geworden ist: Flughafen und Museum als Malls, aber auch Erziehung, Regierung, Militär, Kirche als Formen von Shopping. Obwohl die Formel des edutainment bekannt ist, oder auch die Einsicht, daß politische Entscheidungen längst zu wirtschaftlichen geworden sind, ist dies in solch einer Radikalität (und so großen Lettern) wahrscheinlich noch nie aufgeschrieben worden: Government = Shopping, Education = Shopping, etc. Davon ausgehend ist klar, daß die Tätigkeit des Shopping die Stadt zentral bestimmt und für ArchitektInnen/UrbanistInnen zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen werden muß. Und unter diesem Blickwinkel ist auch die einleitende Bemerkung zu verstehen, daß Shopping die letzte Form öffentlichen Agierens ist, die uns geblieben ist. Koolhaas interpretiert nicht die Tätigkeit des Einkaufens an sich als politischen Akt, als Form des Herstellens von Öffentlichkeit, als Einflußnahme durch die KonsumentInnen - eine Sichtweise, die von OptimstInnen jetzt gerne gepflegt wird -, sondern da kaum eine andere Tätigkeit geblieben ist, muß man sich notgedrungen mit dieser einzig verbliebenen auseinandersetzen, auch unter dem Gesichtspunkt ihrer möglichen politischen Relvanz (die ihr nicht primär anhaftet, sondern die erst hergestellt werden muß.) Malls sind nicht an sich öffentlicher Raum, aber sie können zu einem solchen erklärt werden: Koolhaas zitiert einen solchen Akt, eine Deklaration des Obersten Gerichtshofes in New Jersey ... wobei allerdings offen bleibt, was diese Gesetzeslage bedeu-tet: eine tatsächliche Aufhebung von Privateigentum scheint in den U.S.A. kaum denkbar, geschweige denn durch-führbar.

Control Space

An hoffnungsvollen Bemerkungen gibt es wenig in Shopping, die kritische Sicht überwiegt, wie auch schon in Junk-Space, einem Koolhaas-Essay, der sich mit dem eigenschaftslosen Raum der Mall beschäftigt und bereits die wesentlichen Elemente der Shopping-Studie enthält, zum Teil ausführlicher.[1] Die Kritik bezieht sich vor allem auf den Aspekt der Vereinheitlichung des Raums, wie sie durch Klimatisierung und Rolltreppen erst möglich gemacht wurde. Sie schaffen endlose unterschiedslose Räume, die jedoch aus technischen Gründen geschlossen sein müssen - ein zuerst technisches Faktum, das dann zu anderen Zwecken genutzt werden kann, wie etwa der Sicherheit. Beides führt zu more shopping ... und dient der Maximierung des Umsatzes, ebenso wie der permanente Umbau der Malls, der notwendig ist, um immer das Neueste anbieten zu können. Dazu kommt die Integration der Natur, die die Unterscheidung Natur/Kultur verunmöglicht und auch das Politische zum Verschwinden bringt: ist Shopping zur Ökologie geworden, zu einem selbstverständlich existierenden, quasi-organischen System, kann man ihm kaum mehr etwas anderes entgegensetzen. Herausgearbeitet wird vor allem der Aspekt der Kontrolle: was vorher noch Junk-Space geheißen hat, aber bereits den Raum der Foucault/Deleuzschen Kontrollgesellschaft gemeint hat, heißt jetzt tatsächlich Control Space. Der Control Space ist nicht mehr geprägt von architektonischen Elementen, sondern von ökonomischen Wertigkeiten und Strömen, die sich am besten statistisch darstellen lassen. Und dem entspricht auch die Kartographie des neuen Raums: was sie vor allem erfassen will, sind KundInnenprofile, wer kauft was wann wo, und wie hängen sie zusammen. Control Space ist daher der Raum der Statistik, der Information - es ist ein transparenter Raum, in dem die KundInnen durchleuchtet werden. Erscheint in Junk-Space ein Ausweg unmöglich, wird nun einer angeboten: der dauernde Umbau, der im Junk-Space so reibungslos vonstatten ging, daß er vollkommen unbemerkt blieb, erzeugt nun doch Abfall - Resträume -, die Lücken ins System reißen ... control space is still imperfect.

Wenn Koolhaas Shopping als letzte Form öffentlichen Agierens bezeichnet, dann auch mit einem Blick in die Vergangenheit, in der das Einkaufen noch etwas mit Handeln (im Sinn von Hannah Arendts Einteilung der Vita activa) zu tun hatte. Was auf Märkten passiert ist und in verschiedenen Teilen der Welt noch immer passiert (bspw. in La-gos), ist nicht passives Konsumieren, sondern aktives Verhandeln. Es geht dann um mehr als den bloßen Warentausch: verschiedene Lebensbereiche treffen zusammen, der soziale Austausch ist integriert. Richard Sennett beschreibt in seinem bekannten Buch Verfall und Ende des öffentlichen Lebens, wie mit der Einführung des Fixpreises und der ersten Warenhäuser eine Wende in der Tätigkeit des Einkaufens einsetzt. Die wesentliche Änderung liegt für ihn darin, daß die KundInnen als AkteurInnen von der Bühne gedrängt werden und ihnen statt dessen Spektakuläres vorgesetzt wird - aus Aktivität wird Passivität.[2] Was bedeuten würde, daß Shopping nicht immer das gleiche meint; eventuell wären Formen vorstellbar, die vielschichtiger und mit wechselseitigem Engagement ablaufen würden. Koolhaas analysiert das Phänomen Shopping vor allem deshalb, um mit ihm arbeiten zu können ... was er daher der europäischen Stadtplanung vorwirft, ist, daß sie dieses Thema nicht bearbeitet, es abspaltet und an den Stadtrand drängt. So entstehen an der Peripherie ganze neue Städte als entertainment centers, die Altstädte entleeren sich und werden musealisiert - auf diese Weise werden auch sie über die Hintertür ins System Shopping eingegliedert. Als Gegenteil nennt Koolhaas Tokio, wo dieses Phänomen viel selbstverständlicher behandelt und in das städtische Leben integriert worden ist: die Shopping-Strukturen sind kleinteilig, sie sind angebunden an das öffentliche Verkehrsnetz und verknüpfen sich daher mit anderen Lebensbereichen - sie stellen auch den sozialen Austausch sicher.

Dutchtown Almere

Koolhaas hat sich mit dem Thema Shopping bereits praktisch auseinandergesetzt, im Zuge des Masterplans für das neue Stadtzentrum von Almere, einer 1970 in den Niederlanden auf neu gewonnenem Land entstandenen Wohnstadt. (Unter dem Titel Dutchtown Almere hat die Galerie Aedes dem Projekt eine Ausstellung gewidmet, die im Dezember in Wien, im Zumtobel Staff Lichtforum, zu sehen war.) Ein solches neues Stadtzentrum definiert sich in Europa nach wie vor über Theater, Bibliothek und andere öffentliche Einrichtungen, doch zentral ist natürlich auch hier Shopping, und so bildet der sog. Block 6, mit dem O.M.A. (Koolhaas´Büro) weiter beauftragt ist, das Zentrum im engeren Sinn - und das ist ein entertainment center in klassischem Mix: Kinos, Restaurant und Supermärkte. Ein Vergleich von Koolhaas' Theorien mit ihren Umsetzungen drängt sich hier auf: inwieweit gelingt es Koolhaas, selbstgesetzte Ansprüche zu erfüllen, inwieweit gelingt es ihm hier, das Kollektive neu zu erfinden?[3] Auf einem Sockel von Tiefgaragen drängen sich in mittelalterlicher Manier (Koolhaas selbst verwendet die Metapher des mit-telalterlichen Stadtgefüges) die diversen Freizeit-Einrichtungen, die dadurch innerhalb einer Fußgängerzone liegen. Der Block 6 selbst ist auch von einer breiten »Straße« durchzogen, die unter der Bezeichnung void vorgibt, dem/der InvestorIn eine öffentliche Fläche abgerungen zu haben. Wenn bei schnellem Hinsehen vermutet werden kann, daß Koolhaas eine öffentliche Passage aus dem Block geschnitten hat, wird dies bei genauerem Hinsehen enttäuscht: das void entpuppt sich als übliches Cineplex-Foyer. Das Problem liegt darin, daß der Verweis auf das Mittelalter bloß mit der Dichte und einer gewissen räumlichen Kleinteiligkeit gerechtfertigt ist, nicht aber über die rechtlichen Struk-turen: nicht viele kleine Parzellen bilden den neuen Stadtkern, sondern einige wenige InvestorInnen treten als EigentümerInnen und damit als EntscheidungsträgerInnen auf. Mit architektonischen Mitteln ist dann nicht mehr viel zu machen - die lebendige Urbanität der asiatischen Städte, die Koolhaas immer wieder zum Maßstab macht, hängt weniger mit architektonischen als mit (besitz-)rechtlichen Faktoren zusammen ...

Modethema Shopping

Shopping ist mittlerweile zentrales Thema der (Architektur-)Theorie geworden, eine beträchtliche Anzahl von Ausstellungen und Publikationen sind dazu in letzter Zeit entstanden. Was vor allem debattiert wird, ist, ob man sich dem Thema mehr kritisch oder positiv nähern muß. Fragen treten auf, wie: Kann Shopping öffentliche Räume schaffen? Kann es als aktive, Entscheidungen treffende und daher politische Tätigkeit angesehen werden?

Können innerhalb dieses Systems widerständische Praktiken erzeugt werden? Oder führt es zu einer totalen Homogenisierung, der man, wenn überhaupt, nur von außen entgegentreten kann? Werk, Bauen + Wohnen vertritt in seiner Ausgabe über den FreizeitRaum eine eher optimistische Position. Shopping wird im Editorial als neue Sphäre des Kollektiven vorgestellt und als neue Form von Verantwortlichkeit - sämtliche Entscheidungen werden in Zukunft durch Konsumation getroffen, Staatsbürgerschaft wird dann die Form einer Verbraucher-Staatsbürgerschaft annehmen (John Urry). Ein anderer Aufsatz widmet sich der Annäherung der Kunst an das Shopping; die Strukturähnlichkeit, die hier festgestellt wird, liegt im Flanieren - denn flaniert wird, so scheint es, durch Rauminstallationen und Einkaufs-zentren gleichermaßen? (Philip Ursprung) Eine solche Synthese wird zur Zeit in Wien versucht, seit 24. Januar ist die Ausstellung Shopping in der Generali Foundation zu sehen. Die Synthese ist hier eine reflexive, die Ausstellung setzt sich gerade mit dem Spannungsfeld auseinander, das sich zwischen Shopping als kreativem und manipuliertem Konsum aufbaut - die Ausstellung selbst funktioniert allerdings nur nach dem ersten Modell, die Mitarbeit der AusstellungskonsumentInnen ist gefordert.

Die Dezember-Ausgabe der Stadt Bauwelt widmet sich dem gleichen Thema, wieder mehr in Hinblick auf städtebauliche Aspekte: am Programm steht die neueste Form der entertainment centers, nämlich die corporate image centers - wie Nike Town oder die Autostadt in Wolfsburg -, die zu neuen TouristInnenzielen werden, sowie die Stadt überhaupt als Themenpark. In einer Zeit, in der bald die meisten in Vororten wohnen werden, kann Urbanität an sich als Erlebnis verkauft werden, Beispiele hierfür sind Stadtzentren, wie der Times Square oder der Potsdamer Platz ... und auch das neue Zentrum von Almere könnte man wahrscheinlich in diese Kategorie einreihen ...

Fußnoten


  1. Rem Koolhaas, Junk-Space, in: ARCH+ Nr. 149/150. 2000, vgl. auch den Artikel In Big Mothers Bauch. Von Wunschmaschinen und Kontrollapparaturen in dieser Ausgabe, der u.a. auf Koolhaas' Junk-Space basiert. ↩︎

  2. Richard Sennett, Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Frankfurt a. M. 1986, vgl. das Kapitel Warenöffentlichkeit. ↩︎

  3. Rem Koolhaas, Bigness oder Das Problem der Größe, in: ARCH+ Nr. 132. 1996. ↩︎


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Literaturliste

Rem Koolhaas: Shopping (Harvard Project on the City), in: Mutations, hg. von ACTAR and arc en rêve centre d'ar-chitecture. Barcelona, Bordeaux 2000.

O.M.A., Dutchtown Almere, hg. von Aedes. Berlin 2000.

Werk, Bauen + Wohnen Nr. 6: FreizeitRaum. Inszeniertes Schauen. Zürich 2000 Stadt Bauwelt Nr. 48: Urban Entertainment Center. 2000.