Huda Tarkriti


Der Preis der Kunsthalle Wien 2020 ging an Abiona Esther Ojo und Huda Takriti. dérive nimmt das zum Anlass, Huda Takriti einzuladen, ihr Projekt of cities and private living rooms vorzustellen. Dafür hat die Künstlerin Ausstellungsfotos der Installation in der Kunsthalle Wien mit Fotos aus ihrem Archiv, das die Grundlage für das Projekt bildet, verknüpft. So zieht uns Huda Takriti hinein in eine spekulative Narration, in der sie über konsequente Recherche ihre Familiengeschichte mit Migrations- und Diasporageschichte, Identität und Repräsentation, zwischen Fiktion und Realität, verschränkt.
        Seit nunmehr mehr als zwei Jahren ist Huda Takriti auf der Spurensuche nach der Geschichte ihrer Urgroßmutter Fatima, die ursprünglich Viktoria hieß und ein Kind russischer oder polnischer Eltern war, die Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts auf der Flucht vor Verfolgung in das osmanische Syrien eingewandert sind. Hinter dem harmlos anmutenden Titel of cities and private living rooms wird schnell offensichtlich, dass der geheimnisvolle Namenswechsel der Großmutter ein komplexes Geflecht an Spekulationen für die aus Syrien stammende Künstlerin eröffnet. Dieses Familiengeheimnis wurde über Generationen hinweg gehütet und in Variationen weitererzählt, sodass es sich letztendlich so veränderte, dass die Künstlerin damit auch die Frage von Wahrheit aufwirft, die sich in (der) Geschichte immer weiter zu verlieren scheint. „Brauchen wir die Wahrheit?“ ist eine Frage, die im Video auftaucht und die die Künstlerin und die BetrachterIn gleichermaßen konfrontiert.
        Huda Takriti hat in Damaskus Malerei studiert, bevor sie an der Universität für angewandte Kunst Wien in der Klasse von TransArts ihr Kunststudium abgeschlossen hat. Sie stammt – wie schon ihre Groß- und Urgroßeltern – aus einer Familie mit intellektuellem Hintergrund und gemischtem kulturellem Erbe (ihre Mutter kommt aus dem Libanon, der Vater aus Syrien). Dies war – und ist auch heute noch – nicht immer ganz ungefährlich. So war der Wechsel des Vornamens der Urgroßmutter und das Schweigen in der Familie über die Herkunft von Viktoria schließlich politischen Ereignissen geschuldet.
        In der Installation in der Kunsthalle zeigte die Künstlerin parallel analoge und digitale Bilder über eine Dia- und Videoprojektion. Fiktion und konsequente Recherche zeichnen ein Bild der komplexen Migrations- und Diasporageschichte, die letztlich die Frage nach Identität und Wahrheit immer wieder neu stellt. In der Installation entfaltet sich das häusliche Geheimnis zu einem visuellen Essay, den Huda Takriti hier im Insert auf vier Seiten kondensiert zeigt. Auf der ersten Seite sieht man die Gesamtinstallation, auf der Doppelseite zwei Videostills, die den fiktiv-narrativen Charakter der Arbeit zusammenfassen: Eine Frauenskulptur, die aus der Zeit der Urgroßmutter aus Polen stammen könnten, und ein Archivbild einer vermeintlich orientalischen Festung. Die letzte Seite verweist mit dem Kodak-Karussell auf das private Familienarchiv.


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