Andreas Fogarasi

Andreas Fogarasi ist bildender Künstler und Redakteur von dérive.

Susanne Kriemann


Susanne Kriemanns Arbeiten changieren raffiniert zwischen dokumentarischer Genauigkeit und poetischem Zauber. Immer wieder geht sie geschichtlichen Ereignissen und ihren Auswirkungen auf die Gegenwart nach, globalen wirtschaftlichen Zusammenhängen und ihren lokalen Paradoxien.
Ihr Projekt One Time One Million begann mit dem Erwerb einer frühen Hasselblad- Fotokamera auf einer Auktion im Militärmuseum Stockholm. Victor Hasselblad baute die ROSS HK 7 als Luftaufklärungskamera 1941 im Auftrag der schwedischen Luftwaffe. Hasselblad, begeisterter Hobby-Vogelkundler, war schon lange bemüht eine Kamera zu entwickeln, die es ihm erlaubte, scharfe Aufnahmen von Vögeln im Flug zu machen, und diese Überlegungen flossen in seine allererste Kamerakonstruktion ein. Sie wurde zu einem Apparat, der zwischen dem Boden und der Luft, zwischen Natur und Technik vermittelt. Kriemann fängt diesen Schwebezustand ein, indem sie verschiedene Bildwelten ineinander verwebt. Makellos sachliche Produktfotografie zeigt die Kamera als ästhetisches Objekt, als sammelnswerten Fetisch, als technische Leistung, während die Aufnahmen der präparierten Vögel in der Vogelbalgsammlung des Museums für Naturkunde in Berlin voyeuristisch und beiläufig zugleich wirken.
Für die Luftaufnahmen schließlich setzte sich Kriemann in einen Helikopter und überflog Vororte Stockholms. Tensta und Rinkeby waren im Rahmen des Miljonprogrammet erbaut worden, das im Zeitraum von 1964–1974 vorsah eine Million neuer Wohnungen in Schweden zu errichten. Heute sind diese großen modernistischen Planstädte, wie viele ihrer Artgenossen, zu Orten des sozialen Konflikts geworden. Kriemanns Fotos zeigen die Wohnblocks – mal streng rechteckig, mal organisch gekurvt in die zuvor leergeräumte Landschaft gesetzt – als abstrakte Formationen. Hier trifft der kühl planende Blick aus großer Höhe auf den romantisch verklärten Blick in den Himmel.
Die Migrationsbewegungen von Zugvogelschwärmen, die beginnende Arbeitsmigration des Wirtschaftsbooms als heroisch angegangene Herausforderung für den Wohlfahrtsstaat, der menschliche Traum vom Fliegen und seine Erfüllung in der militärischen Nutzung; aus all diesen Komponenten entsteht das visuelle Universum von One Time One Million, aus dem Susanne Kriemann für dérive eine konzentrierte Auswahl getroffen hat.
In installativer Form war One Time One Million zuletzt im Rahmen der Ausstellung Beton in der Kunsthalle Wien präsentiert. Derzeit sind Arbeiten von Susanne Kriemann in zahlreichen Gruppenausstellungen zu sehen: im Witte de With Center for Contemporary Art, Rotterdam (The Belly of the Whale, bis 31.Dezember), im Konstmuseum Malmö (The Society Machine, bis 15. Januar), im 21er Haus Wien (Die Sprache der Dinge, bis 22. Januar) sowie auf der 11. Shanghai Biennale (bis 12. März).

Andreas Fogarasi


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